Die vierte Gewalt im Staat? Wird der Qualitätsjournalismus seiner Rolle noch gerecht? in der Stadthalle von Mühlheim an der Ruhr – 5. September 2024
Die vierte Gewalt im Staat?
Wird der Qualitätsjournalismus seiner Rolle noch gerecht?
Grußwort:
Prof. Bodo Hombach
5. September 2024
Verehrte Damen und Herren,
Unser Thema ist von hoher Relevanz. Dass nicht nur argumentationsarme Politik intellektuelle Obdachlosigkeit und organisatorische Verwaisung verursachen kann, wissen wir. Kritisches Verstehen des ungehorsamen Wählers braucht auch Selbstkritik im Medienlager – kein Moralspektakel oder Wählerverdrossenheit. Das neue Brost-Buch „Mission Wahrheit“ bringt uns erneut zusammen. Dessen Autorenliste ist spektakulär. Unsere großartigen Gäste sind dabei. Auch in Ihrem Namen begrüße ich sehr herzlich: Frau Ulrike Demmer, Intendantin des ARD-Senders Berlin-Brandenburg, Herr Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Herr Gabor Steingart, Journalist und Medienunternehmer, Herr Prof. Dr. Hektor Haarkötter wird dafür sorgen, dass es übersichtlich zugeht. Seine „Initiative Nachrichtenaufklärung“ kürt jedes Jahr die Top Ten der vergessenen Nachrichten. „Vergessene Nachrichten“.
Ein schönes Stichwort. Christian Morgenstern gab sich erstaunt. Offenbar passiert in der Welt genau so viel wie in die Zeitung passt. Auf der letzten Seite seiner Zeitung gäbe es unten rechts nie eine freie Fläche. Tatsächlich ist mehr drin als passiert. Ereignissen wird Meinung und Deutung beigefügt. Dringend scheinende, uns häufig bedrängende Botschaften werden aufgesattelt. Eigentlich kein Problem. Jedes Medium siedelt eben in seinem weltanschaulichen Lager. Allerdings: Journalisten, die von sich selbst so überzeugt sind, dass ihm abwägendes Denken, Toleranz und Diplomatie als Verrat gelten sind Fälle für den Verbraucherschutz. Man sollte ihre Artikel, Sendungen oder Moderationen mit dem Bio-Siegel: „Stramm parteilich“ auszeichnen. Eine erwägenswerte Lösung. Vielfältige und meinungsmutige Presse – aber nur und unbedingt – mit offenem Visier – ermöglicht eine offene Gesellschaft. Jürgen Habermas hat das erklärt: Öffentlichkeit entsteht, wenn Bürger sie einfordern. Sie ist kein vorhandener Raum, der auf Besiedlung wartet. Demokratische Mehrheiten müssen sich in ihr wieder finden. Dann hat die Macht der Regenten ein Gegenüber. Nicht die Presse selbst ist „vierte Gewalt“ im Staat. Es ist die Öffentlichkeit sofern sie sich in freien Medien erkennen und artikulieren kann. Die „res publica“, muss kommuniziert werden. Interessen werden im „Für und Wider“ ausgehandelt. Verlautbarungen von oben nach unten haben sich strenger Kontrolle und Kritik zu stellen. Es gibt Medien-Vertreter die anfangen, die öffentliche Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen. Sie verengen Öffentlichkeit nach ihrem Bilde. Einige haben sich gleichgeschaltet. Das weckt Widerstände. Es polarisiert. Sozialpsychologen beschreiben ein anschwellendes Phänomen: Aus Unverstanden sein – und Entfremdung entwickelt sich „Reaktanz“. Reaktanz will eingeengte oder eliminierte Freiheitsspielräume und Ausdrucks-möglichkeiten zurückgewinnen. Sie wertet bedrohte oder verlorene Alternativen reflexartig auf. Reaktanz erfasst auch jene, die sich in ideologisch „betreuter Gesellschaft“ nicht wohl fühlen. Die fühlen sich wie in einem kratzigen Pullover. Die wollen sich durch Gängelung, plumpe Beeinflussung und unzureichend begründbare Verbote nicht verbiegen zu lassen. Dass die nicht falsch abbiegen, ist demokratische Aufgabe. Aber: Moralisch-ideologische Lautsprecher erreichen anschwellend nicht Gefolgschaft, sondern trotzige Distanz und Gegenbewegung. Auch Gutwillige winken ab und zeigen journalistischen Influenzern den bösen Finger.
In meiner Vergangenheit als Wahlkämpfer war der „bandwagon-Effekt“ ein nutzbares Rezept. Das setzte auf den Wunsch, sich dem Etablierten und der traditionellen Mehrheit anzuschließen. Der Unsichere wollte nicht noch einsam sein. Heute würde ich Reaktanz als wirkmächtiger sehen. Sie ist ein plausibler Reflex. Der kann emanzipatorisch sein. Er wird aber von Systemgegnern missbraucht. Freiheit im Blut“ ist nicht Geburtsrecht. Wer nicht wissen, sondern glauben soll, muss immer heftiger glauben. Die Realität kommt ihm nämlich ständig in die Quere. Die alten Griechen warnten sehr vor der Tragödie der Hybris. Auf jeder Seite meines Geschichtsbuches gibt es Beispiele für eine daraus resultierende Chaosspirale. Hitzköpfe haben uns längst von der Nachkriegszeit in die Vorkriegszeit politisiert, geschrieben und gesendet. Mögliche Schnittmengen und Spielräume werden nicht gesucht. Auch aufgeregte Journalisten vertiefen Gräben. Wenn die breite Akzeptanz der Presse leidet, leidet die Demokratie. Wokes Denken ist im öffentlichen Sprech recht dominant. Dessen Exponenten gebärden sich gern selbstgefällig. Etliche frühere Oppositions-Gene mutierten zum Anpassung- und Konformitätsdruck. Verdächtig ist, was im Mainstream nicht mitschwimmt. Die sich Selbstguten sind nicht gut mit anderen. Die vorhandenen, unaufgeregten aufklärerischen Medien sind konstitutiv für die Demokratie. Journalisten können und sollen enthüllen, was Macht und Mächtige verbergen wollen. Das diszipliniert deren Verhalten. Einer guten Sache kann man freilich Schaden zufügen, wenn man schlechte Mittel einsetzt. Intentionaler Journalismus, Skandalisierung, Kampagnen und Verkündigungseifer beschädigen die reinigende Wirkung nötiger Berichterstattung.
Sollte sich der Enthüller desavouieren reibt sich der Enthüllte die Hände. Werthaltiger Journalismus ist kritisch und muss auch selbstkritisch sein.
Glaubwürdigkeit ist sein Kapital. Natürlich kann man Journalisten die persönliche Überzeugung nicht nehmen. Wenn aber alle die gleiche haben, haben wir ein Problem. In unserer Welt sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Zukunft frei wählen können. Das geht, wenn sie möglichst wahrheitsgetreu informiert sind. Die eigene Entmachtung wählen wenige aus freien Stücken. Realitätsnahe Abbildung und Interpretation – nicht Appell ist Journalismus. Manipulieren, indoktrinieren oder determinieren will kollektivieren. Dabei zerbröselt individuelle Verantwortungsbereitschaft. Hölderlin lebte auch in unruhigen Zeiten. Als eine Art Resilienz-Training zitiere ich gerne seinen fidel trotzigen Optimismus: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Dazu braucht es Kenner und Könnerinnen. Gut, dass es die – und deren gut gemachten Journalismus noch gibt.
Wir haben die Guten auch heute bei uns.
Verehrte Gäste!
Ich will mein Privileg, Sie begrüßen zu dürfen nicht weiter strapazieren. Ich übergebe das Wort – nein, alle folgenden Wörter – an unser großartiges Podium.
Wir werden diesen Saal klüger verlassen, als wir ihn betreten haben.
Dafür vorauseilenden Dank.