„Woanders ist überall“-Vernissage zur Ausstellung von Dieter Nuhr in Wien – 9. Juni 2024

„Woanders ist überall“
Vernissage zur Ausstellung von Dieter Nuhr in Wien

Grußwort:
Prof. Bodo Hombach

9. Juni 2024

Verehrte Frau Busse,

Sie haben uns in diesem renommierten Haus gastfreundlich empfangen. Ein sehr erfreulicher, motivierender Auftakt. Dafür möchte ich herzlich danken.
Verehrte Damen und Herren,

schön, dass wir uns gefunden haben. Dieses Treffen birgt Chancen für gute Erfahrungen. Ein Künstler, dessen Wanderausstellung das großartige Wien, diese wunderbaren Räume (unter einem Dach mit dem Verfassungsgericht) und dieses fantastische Publikum erreicht hat, ist wohl endgültig angekommen.

Allerdings: „Ankommen“ ist nicht sein Ding. „Endgültig“ schon gar nicht. Dieter Nuhr ist am liebsten unterwegs. Immer wieder woanders, das heißt überall. Der bildende Künstler ist fantastisch ausgebildet. Uns bringt er immer was mit. Gemalte Bilder, die irgendwie zu uns sprechen. Er lässt sich infizieren von Landschaften, Bauten, Menschen, Situationen. (Zu meiner persönlichen Freude auch von der Ruhrregion.) Die Kamera ist dabei, aber nur für den ersten Blick. Dessen technische Transformation ermöglicht faszinierende Erzählungen. Das Spiel mit Möglichkeiten weckt Lebensgeister.

Ich freue mich auf den klugen Präsidenten Woller und dessen weltoffene Sicht.

Aber es gibt nicht nur diesen Nuhr. In Deutschland werden Sie hören: „Nuhr? – Das ist doch der …?“ – Ja. Der ist es auch. „Nuhr im Ersten“ ist seit Jahren „meeting point“, Sprech-Stunde. Er erreicht auch jene, die sich in ideologisch „betreuter“ Gesellschaft nicht mehr wohl fühlen. Die fühlen sich wie in einem kratzigen Pullover. Die sind es satt, sich verbiegen zu lassen. Dass die nicht falsch abbiegen, ist Nuhr wichtig!!

Er tritt an gegen geistige Obdachlosigkeit und intellektuelle Verwaisung. Das ist Rolle eines Kabarettisten par excellence. Aber er ist wirkmächtiger. Er fügt sich nicht ein in die mediale Tarantella. Zum Chor und Trommeln öffentlicher Taktgeber findet er den Kontrapunkt. „Reaktanz“ nennen Sozialpsychologen ein neues deutsches Massenphänomen. Das ist Auflehnung gegen Bevormundung und Gängelung. Es ist die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume. Es ist Unwille, wenn Sprech immer gleich Bekenntnis ist. Reaktanz könnte emanzipatorisch sein. Fidele Resignation oder Trotz könnten aber auch von politischen Rändern bedient werden. Moralisierende, gefallsüchtige Politik von sich Selbstguten befördert das. Deshalb versagt sich Nuhr dem Bekundungsknebel und rudert gegen den allfälligen Mainstream. Er sagt, was gesagt werden muss.

Damit ereignet sich Demokratie und offene Gesellschaft. In Dieter Nuhr haben die in argumentationsarmer Zeit herumgeschubsten Leute eine Adresse und eine Stimme. Es sind düstere Zeiten. Wir sind aus der Nachkriegszeit in die Vorkriegszeit politisiert. Gerade jetzt gilt: Hoffnung ist keine beliebige Option. Sie ist trotzige Pflicht! Die ständig präsenten Apokalyptiker leben vom Problem. Die lösen keines.

Dieter Nuhr pflanzt eine Menge Apfelbäumchen. Er selbst wird sich als Mann des Wortes dasselbe auch heute nicht nehmen lassen. Ich freue mich über die Ehre, dass nun zunächst der Präsident des Wiener Landtages, Herr Woller, zu uns spricht, uns begrüßt – auch für eine Stadt, die ständig zur lebenswertesten der Welt gewählt wird.

Ich danke Ihnen allen für die Gastfreundschaft.