Diskussionsveranstaltung und Buchveröffentlichung: „Rückzug des Staates ?! – Das Spannungsfeld zwischen staatlicher und privater Sicherheit“ – Erich Brost Pavillon, Zeche Zollverein, 12. Dezember 2023
Begrüßung:
Prof. Bodo Hombach
12. Dezember 2023
Verehrte Gäste,
lieber Herr Minister Reul,
Anlass unseres Treffens ist ein neues Buch: „Das Zusammenspiel staatlicher und privater Sicherheit“. Es ist Teil 3 einer von Frank Richter angetriebenen Serie. Band 5 der jungen Brost-Bibliothek.
Unsere Akademie gibt Impulse aus dem Ruhrgebiet und in das Revier hinein. Wenn wir über die Leute sprechen, sprechen wir immer zugleich mit ihnen. Beim Thema Sicherheit empfinden die Menschen latente Gefährdung. Sie sind verunsichert, fühlen sich eingeschränkt, teils eingeschüchtert – so kennt man sie sonst gar nicht.
Dabei spielt das „große Ganze“ seine Rolle beim Lebensgefühl im privaten oder gesellschaftlichen Kontext, beim Beheimatungsgefühl in Zeit und Raum der Gegenwart. Die mediale Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit der Bürgerinnen und Bürger entwickeln sich auseinander. Statt Zukunftshoffnung und Aufbauwille kam viel Kleinmut, gar Angst übers Land. Verteidigungsfähigkeit wurde als friedensfeindlich gedeutet, gegenüber Forschung und Technik anschwellende Skepsis geschürt. Entscheidungen, die unserem Land die rote Schlusslicht-Laterne umhängen, sind zahlreich.
Feines Schweigen dazu, ist feiges Schweigen. So jagen wir apokalyptische Reiter nicht vom Hof. Die regelbasierte Weltordnung erlebt einen Stresstest. Ich konkretisiere aus dem Geleitwort von Herbert Reul: „Da wandeln sich Dinge, die zuvor unveränderbar erschienen. Wirtschaft, Forschung, soziales Miteinander, ganze Weltbilder werden nicht nur in Frage gestellt, sondern zerschmettert.“
In Goethes „Osterspaziergang“ wird biedermeierlich geplaudert: „Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, / als ein Gespräch vom Kriegsgeschrei, / wenn hinten, weit, in der Türkei / die Völker aufeinanderschlagen.“
Solch wohlig-gruselige „Ferne“ gibt es nicht mehr. Welt-Innenpolitik verlangt den Willen, Interessen derer zu erkennen, deren Weltsicht man nicht teilt. Auswirkungen fehlender Diplomatie spielen sich vor jeder Haustür ab. Zerrüttete Absatzmärkte, gebrochene Lieferketten, neue Allianzen, die uns draußen vorlassen, und auch Migration sind Beleg.
Bei unserer Befragung zum Heimatgefühl erwies sich das Thema „Sicherheit“ als dominant. Etliche Bewohner des Ruhrgebiets fühlen sich verunsichert, bedroht, bedrängt, fast verdrängt aus ihren angestammten Räumen und Gewohnheiten. Auch und gerade solche, die vor zwei Generationen eingewandert sind und hier Wurzeln geschlagen haben.
Es gab auch Gutes. Die Leute sagten spontan: „Endlich kümmert sich einer.“ Wir hatten nicht danach gefragt. Gute Gründe für unsere Stiftung, den ersten Brost-Ruhr Preis dem Innenminister dieses Landes zuzuerkennen. Er kümmert sich noch immer. Die Aufgabe ist nicht leichter geworden. Herzlich willkommen, Herr Minister Reul!
Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Wie erlebt das ein Polizeichef, der seine Beamten bei Straßentumulten losschickt? Herzlich willkommen, Herr Polizeipräsident Stüve!
Zahlreiche mutmaßliche Täter werden gestellt. Vom Gericht wurden alle freigesprochen. Die Presse schäumte. „Unerträglich!“ Das war auch meine spontane Reaktion. Eigene Nachfragen zeigten: Rechtsstaatlich war es korrekt. Es fehlte, was im Stadion längst technischer Standard ist: Der gerichtsfeste Videobeweis. Ein elementares Grunddaseinsbedürfnis (Gerechtigkeit, Sicherheit und Gefahrenabwehr) wird frustriert.
Auftrag und Wille sind vorhanden. Ausstattung, auch technische, muss verbessert werden. Können wir noch sicherstellen, dass Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen ihre Arbeit tun können? Es muss Sorgen machen, wenn sich solche Fragen überhaupt stellen. (Die föderale Struktur der Bundesrepublik wird oft geschmäht. Wir entdecken aber gerade ihr Gutes. Auf Länderebene ist manches realitätsnäher und schneller möglich als in der Hauptstadt. Wenn an deren Ampel alle drei Lampen gleichzeitig brennen, läuft gar nichts mehr. Es kommt dauernd zum Crash. Ins persönliche Dankgebet schließe ich die funktionierende Gewaltenteilung ein.)
In einem so wichtigen Integrationsgebiet ist das Lebensgefühl der Menschen ein sensibler Indikator. Der ist mit Kriminalstatistik nicht hinreichend beschrieben. Die Wahrnehmung der Leute wirft Licht auf die tatsächlichen Verhältnisse. Die werden durch verschiedene Komponenten moduliert. Auf Ihre Anregung hin, Herr Minister Reul, lassen wir das intensiver erforschen. Die kulturelle Konfrontation ethnischer Gruppen setzt auf Verdrängung statt Nebeneinander. Das ereignet sich in der Schule, am Arbeitsplatz, auf der Straße. Es gibt gewachsene und wachsende Clan-Strukturen. Die wünschen sich für ihr Geschäftsmodell rechtsfreie Räume.
Ein neues Schlachtfeld ist die Cyberkriminalität. Der Digitalverband Bitkom bezifferte den jährlich in Deutschland angerichteten Schaden auf 206 Mrd. Euro. Dagegen wirkt das 60 Mrd. Euro Haushaltsloch übersichtlich. 120 Milliarden jährlich erbeuten Steuerbetrüger vom deutschen Fiskus oder an ihm vorbei. Es gibt auch „Clan-Strukturen“ in Chefetagen. Stichwort: „Wirecard“ oder – von uns unvergessen – der „Cum-Ex-Skandal“.
Das Gewaltmonopol des Staates legitimiert sich einzig durch die Zustimmung freier Bürger – und auf der Basis eines Vertrages namens „Grundgesetz“. Ständige Verletzungen – auch verbal im Internet – testen die Spannkraft jedes Einzelnen. Wer ist der Herausforderung gewachsen, wenn die innere Sicherheit als Mängelverwaltung erscheint?
Politiker, die hier nicht hellwach und konsequent handeln, bekommen die Quittung, spätestens in der Wahlkabine. Vorher schon durch Unruhe im öffentlichen Raum, durch irrational erregte Debatten, durch Meinungsterror, Hassbotschaften in den sogenannten sozialen Netzwerken, Sprachverwirrung und Sprechverbote. Radikale Gruppen und Parteien fahren die Ernte ein.
Ein starkes Thema in unserem Buch ist die Frage nach dem Beitrag der Sicherheitswirtschaft. Es gibt Bereiche, wo sie Bewachung, Betreuung, Objektschutz und die Gefahrenabwehr steigern kann. Qualifizierte Unternehmen entlasten staatliche Kräfte für ihre Hauptaufgaben. Da ist noch Luft nach oben. Großes „Aber“: Die Hilfssheriffs müssen hohe Qualitätsstandards erfüllen. Man muss es können, um es zu dürfen. Einer, der es kann, wird es gleich beweisen. Herzlich willkommen, Herr Kötter!
Ich fasse zusammen … Ach nein. Das überlasse ich lieber Herrn Richter und Herrn Schneider. Der ist mit allen Wassern unseres Themas gewaschen. Er wird uns durch die Veranstaltung führen. Exzellente Gesprächspartner werden ihm die Sache erleichtern.
Frau Prof. Dr. Dienstbühl forscht und lehrt an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Sie redet Klartext, auch um den Preis von Diffamierung und Attacke aus dem Hinterhalt.
Frau Rademacher ist Juristin mit lebenslanger Verwaltungserfahrung, u. a. Polizeipräsidentin in Wuppertal und Regierungspräsidentin in Düsseldorf. Dort wird sie vermisst.
Herr Krum ist stellvertretender CIO bei der FUNKE-Mediengruppe. Als sein Betrieb gehackt wurde, half nicht die 110, sondern die sofort abrufbare Expertise von Kennern und Könnern der Materie. Kein Geld wurde gezahlt. Die Erpressung lief vor die Wand. Herr Krum ist Angegriffener und wehrhafter Selbstverteidiger.
Auf die Beiträge dieser Persönlichkeiten und des Herrn Ministers freue ich mich. Die garantieren, dass wir in 1 1/2 Stunden klüger sind, als wir es jetzt sind. Dafür vorauseilenden Dank!
Zuvor: Die großartige Idee, traumatisierten Kinder einen freundlichen Polizisten als Anton-Puppe anzubieten, hat die Stiftung beeindruckt. Dabei ist es nicht geblieben. Eine Kollegin wurde geschaffen. Heute lernen sich Anton und Antonia erstmals kennen: Ich bitte Herrn Minister Reul um die Patenschaft und Herrn Stüve und seinen Vorgänger, Herrn Richter, zur Übergabe zu mir.