„Journalisten und Verfassungsrichter müssen unsere Freiheit sichern“ – Handelsblatt, 24. Juli 2023

 Beitrag im Handelsblatt


Prof. Bodo Hombach

24. Juli 2023

Unabhängige Verfassungsgerichte und freie Medien werden an vielen Orten der Welt angegriffen. Dabei sind sie entscheidend für funktionierende Demokratien, mahnt Bodo Hombach.

Ein Korruptionsprozess rüttelt am Stuhl des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu. Warum also nicht eine Justizreform, nach der man Urteile des Obersten Gerichtshofes mit einfacher parlamentarischer Mehrheit kassieren kann!

Gegen diese Kernschmelze ihrer Demokratie demonstrieren Bürger massenhaft und beharrlich. Seit Monaten gehen Hunderttausende auf die Straßen. Israels Gesellschaft zeigt sich wehrhaft.

Sie geben ein Beispiel. Unabhängige Justiz und freie Medien sind konstitutiv für funktionierende Demokratien. Sie stehen vielerorts im Visier autokratischer Machtjunkies. Journalisten enthüllen, was Macht und Mächtige gern verbergen würden, und Oberste Richter übersetzen das Papier der Verfassung in die Lebensrealität des Staates.

Ungenutzte Freiheiten verkümmern. Journalisten und Verfassungswächter wissen das. Sie gehören Seite an Seite, wenn Kostbarstes in Gefahr gerät: die demokratische, rechtsstaatliche und gewaltenteilige Verfassung.

Wie ist das bei uns? Hat unsere Republik genügend Republikaner, die sich die Würde ihrer Freiheit nicht abkaufen oder wegtricksen lassen? Gäbe es hierzulande eine signifikante Mehrheit für ein Trutzbündnis von Demokraten und Verfassungsrichtern? Ist sich die Presse bewusst, dass die dritte Gewalt (die Judikative) auch ihre Freiheit sichert?

Alt-Bundespräsident Joachim Gauck stand in dieser Woche in einem fulminanten Gespräch mit Markus Lanz dafür ein, dass die Deutschen ihre Lektion gelernt haben. Sein Wort in aller Ohr.

Das Bundesverfassungsgericht ist dafür das passende Bollwerk. Man sollte mehr von ihm hören. Unter allen Verfassungsorganen genießt es die höchsten Vertrauenswerte in der Bevölkerung. Es hat der Politisierung und damit der Polarisierung widerstanden. Seine Urteile greifen maßgebend und oft mäßigend in gesellschaftliche Kontroversen ein. Gerade erst stellte es sich auf die Bremse, als das Energie-Gesetz der Ampel-Koalition im Sprint den Bundestag passieren sollte.

Zwar ist „Karlsruhe“ Gericht, zugleich aber politische Institution. Seine Medienpräsenz spielt eine wichtige Rolle. Der politische Diskurs ist langwierig und ungewiss. Parteistrategische Schaukämpfe vernebeln die Sachlage.

In diesem Gemenge und Gedränge soll das BVG das Grundgesetz wahren und fortentwickeln, indem es seinen Geist aktuell interpretiert und immer wieder neu zur Geltung bringt.

Lange war es üblich, einem ausgewählten Kreis von Journalistinnen und Journalisten Urteile vorab zur Kenntnis zu geben. Sie konnten sich damit gründlich befassen, bevor die Schlagzeilen der intentionalen Rummelplätze das Meinungsbild besetzten. An dieser Praxis gab es nachvollziehbare Kritik – stehen doch die Verfassungswächter für Gleichbehandlung.

Gerade ist das Verfassungsgericht im Frühjahr von den bisherigen Gepflogenheiten abgerückt. Den kleinen Zeitschlupf zwischen Ereignis und Medienbericht gibt es nicht mehr und damit auch nicht das Privileg einiger weniger, Urteile vorab zu kennen. Das Gericht nimmt mit der Entscheidung Redaktionen und damit die Pressefreiheit ernst. Es wird künftig mehr Wert auf Gehör und Verständlichkeit legen müssen.

Eine freie Gesellschaft kann zerfallen, wenn aus Gegnern Feinde werden.

Journalistische Freiheit wiederum rechtfertigt sich durch verantwortungsvolles Abwägen. Nur in kritischer Distanz zu den beiden anderen Gewalten (Parlament/Legislative und Regierung/Exekutive) erfüllen Bundesverfassungsgericht und Presse ihren Auftrag.

Wie ernst es damit ist, belegt eine andere Karlsruher Entscheidung: Die mediale Übermittlung von Lügen, die sich als Meinung tarnen, ist nicht durch die Meinungsfreiheit (Artikel 5.2 Grundgesetz) gedeckt.

Medien machen sich strafbar, wenn sie wissentlich Fakes und Desinformationen als Meinungen verbreiten, ohne auf deren nachweisbar falschen Inhalt zu verweisen. Die entscheidende, einschneidende Botschaft: Es gibt ein Recht auf Irrtum, aber nicht auf Betrug.

Schwer auszudenken, was ein solcher Grundsatz in manchen Staaten auslösen würde. Was würde aus einem der üblichen politisch Verdächtigen, wenn er – samt seiner medialen Ausrufer – nicht mehr fröhlich drauflos lügen dürfte? Seine Follower wären vertrieben aus dem Paradies ihres gefühligen Selbstbetrugs.

Auch die freieste Gesellschaft kann sich mit widerstreitenden Interessen überanstrengen. Sie kann zerfallen, wenn aus Gegnern Feinde werden. Andererseits findet sie Halt durch die Verlässlichkeit wertgeschätzter Institutionen und Ordnungsformen.

Eine lebensnahe Verfassung ist der Rahmen, nicht das Gemälde. Sie erlaubt eine „Wir-Idee“, die den Stress des politischen Alltags überragt.

Der Autor:

Bodo Hombach ist Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung. Der frühere Landes- und Bundesminister ist zudem Honorarprofessor an der Bonner Universität.