„Das wird man wohl noch sagen dürfen?! Über die Meinungsfreiheit in Deutschland und dem Ruhrgebiet“ – Erich Brost-Pavillon, Zeche Zollverein, 6. Juni 2023
Diskussionsveranstaltung
„Das wird man wohl noch sagen dürfen?!
Über die Meinungsfreiheit in Deutschland und dem Ruhrgebiet“
Begrüßung:
Prof. Bodo Hombach
6. Juni 2023
Verehrte Gäste jedweden selbst definierten Geschlechtes,
Sie hörten: Ich stelle mich unserem Thema. Die DIN 5008 (es gibt sie wirklich) legt noch keine endgültige Form der angemessenen Anrede fest. Sternchen sind möglich. Man soll sich den Angesprochenen anpassen und die weitere Entwicklung abwarten. Das klingt vorsichtig, abwägend. Im Gehörgang von Genderist*innen echot es reaktionär.
Duden-Ratgeber wollen Kollisionen vorbeugen. Beim Erstkontakt empfehlen sie als „Verhütungsmittel“ die Frage: „Was ist ihr Pronomen?“ (Das gute alte persönliche Fürwort). Duden-Sprachschöpfer lassen die Leinen los. Statt: „Die Ärzte in Deutschland sind gut ausgebildet“, empfehlen sie: „Menschen aller Geschlechter mit der entsprechenden medizinischen Ausbildung“. Das generische Maskulinum soll ich umgehen. „Liebe Zuhörende“ hätte ich sagen sollen. Mitdenkende und Mitredende sind mir aber lieber.
Googeln Sie „gendergerechte Anrede“. Sie werden originell unterhalten sein. Es gibt Wörter … es gibt Un-Wörter. Revitalisierung von Demokratie klappt so nicht. Wenn man etwas nicht sagen soll, bedeutet das: Es gibt erwünschten und verordneten Sprech. Der demonstriert erwünschte Haltung. Die wird befördert, unerwünschte wird denunziert.
Demokratische Öffentlichkeit funktioniert so nicht. Die Gedanken sind frei. Man kann sie jedoch formen, um-formen, ver-formen. Warum? Wozu? Haltung prägt Handlung. Handlung gestaltet Wirklichkeit. Wer über die Sprache der Leute verfügt, verfügt über ihre Welt.
Das Allermeiste in unserem Kopf ist Sekundärerfahrung. Sprachlich und medial vermittelt. Ein enormes Einfallstor für schlechte Einfälle und böse Absichten. Den „Volksempfänger“ haben wir in der Tasche. Der ist zugleich Sender. Der kann Dumm- und Gemeinheiten verstreuen. Verbale Trommelfeuer stressen und erzeugen Gereiztheit. Die neigt zur Eruption. Kaum Substanz in der Sache, aber bleibende Verletzung im Haushalt der Gefühle.
Wer frei sein will, muss Worten Freiheit lassen. Sie müssen ein realistisches Bild unserer Welt zeichnen. Sprache als Lenkungsmittel klammheimlicher Absichten gilt es zu erkennen. Der hellwache Journalist Gabor Steingart listete kürzlich Beispiele auf. Ich zitiere: „Schulden sind nicht mehr Schulden, sondern Sondervermögen. Subventionen sind nicht mehr Subventionen, sondern Preisbremsen. Lustfeindliche Rigidität ist Progressivität. Sie sagen Transparenz – und bilden an der Spitze des Staates Clan-Strukturen aus. Sie berufen sich auf Wissenschaft und beauftragen ökonomische Laien mit dem Umbau der Industriegesellschaft.“ (Zitat Ende)
Propaganda macht immer nur die Gegenseite. Dass jede Wahrheit gleich viel wert sein soll, wird dem Nachwuchs eingehämmert. „Wording“-Profis treten als Apostel der wirklichen Wahrheit auf. Noch bevor wir wissen, ob das neue Gesetz nützlich ist, heißt es amtlich „Gutes Kita-Gesetz“.
Wir werden gerade von der Nachkriegszeit in die Vorkriegszeit politisiert, gesendet und geschrieben. „Zeitenwende“ – Das politische Barometer steht auf Sturm. Gesinnungsmission statt Diplomatie. Etliche seufzen: „Wenn das die Lösungen sind, dann hätte ich gern meine alten Probleme zurück.“ Sprache ist ein wundersames Werkzeug. Von den ersten Grunzlauten bis zum Rilke-Gedicht: Sie war die entscheidende Zeitenwende unserer Evolution. Sie ist Voraussetzung humaner, kultureller und technischer Zivilisation.
„Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser, vorsichtig zu sein?“, fragt das Orakel von Allensbach seit 1990. Damals sagten 78 % der Deutschen, sie könnten frei reden. Nur 16 % wollten vorsichtig sein. Bei der Befragung 2021 glaubten nur noch 45 % sie könnten frei reden. 44 % meinten, sie müssten vorsichtig sein. 11 % wollten sich gar nicht äußern. Wer jetzt an Orwell denkt, übertreibt. Seinen Albtraum nannte er „Wirklichkeitslenkung“.
Wer sich dem „Sprech“ nicht unterwarf, bewies staatsgefährdende Auflehnung. Skeptische Mimik war als „Gesichtsdelikt“ strafbar. Orwell beschrieb ein Endstadium. Wir diskutieren Anfänge. Wenn Sprachpolizei nachhelfen will, kann sie auch kläglich scheitern. Ein verbanntes Wort kommt vielleicht nicht mehr über die Lippen, aber es ist in aller Munde. Unzureichend Thematisiertes verstört. Chronische Diskrepanz zwischen privatem Denken und öffentlich verordnetem Sprech hinterlässt ein unangenehmes Gefühl. Vielen brennt das in der Seele. Als Massen-Phänomen fängt es an zu gären. „Faulgase“ werden frei, brennbar, explosiv. Dann fehlt nur noch ein politischer Pyromane. Das Gefühl „Endlich sagt es mal einer!“ macht ihn zum Heilsbringer. Dafür darf er anderes nehmen: Die Würde. Die Freiheit.
An welchen politischen Wiedergänger Sie jetzt denken, ahne ich. Übrigens: Nicht jedes stille Wasser ist tief. Mancher wundert sich bis zur Empörung, dass es aus dem Wald so herausschallt, wie er hineingerufen hat. Wer sich anderen moralisch überlegen fühlt, braucht keine Antenne für realitätsgedeckte Argumente. Dass der gute Zweck die Mittel heiligt, ist die DNA des Totalitarismus. Der Kampf um Köpfe ist Kampf um Aufmerksamkeit. Das mediale Sprachrohr muss lauter als andere tönen. Die anderen sollen zuhören – basta! Martin Luthers vermeintliche Weisheit „Eine offensichtliche Lüge ist keine Antwort wert“ hat er selbst widerlegt.
Wir glauben an den Willen zur eigenen Meinung. Sonst wären wir nicht beisammen. Und wir haben wunderbare Verbündete:
Herr Peter Müller war Justizminister und Ministerpräsident im Saarland. Seit 2011 ist er Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dieses genießt höchstes Vertrauen in der Bevölkerung. Nicht zufällig hassen und bekämpfen Autokraten zuallererst unabhängige Gerichte und freie Presse.
Unser Gast Dieter Nuhr ist Meister der geschliffenen Sprache. Er ist souveräner Freischwimmer gegen den Mainstream öffentlicher Sprachregelung.
Beide sind – jeder auf seine Weise und an seinem Ort – Frontkämpfer gegen Verdumpfung und Verdummung. Sie mucken für uns auf, wenn wir uns vielleicht schon ducken. Sie verweigern falschen Helden – Entschuldigung – Held*innen den Beifall. Ich bin freudig gespannt auf Ihre Sicht der Dinge. Ich begrüße sie – auch in ihrem Namen – sehr herzlich!
Unser Kuratoriumsmitglied Frau Ulrike Demmer ist hochdekorierte Journalistin. Sie war kürzlich noch stellvertretende Regierungssprecherin. Sie kann einschlägiges über intentionalen Journalismus und journalistische Klimakleber berichten. Heute moderiert sie. Auch ihr dafür herzlichen Dank!
In 90 Minuten werden wir klüger sein, als wir gekommen sind, dafür vorauseilenden Dank.