„Zukunft der Sozialdemokratie“

Diskussionsveranstaltung
„Zukunft der Sozialdemokratie“

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

Gastreferenten:
Lars Klingbeil MdB
Prof. Dr. Ursula Münch
Dr. Helge Matthiesen

21. November 2022

Verehrte Gäste,

134 mal BAPP in diesem Format. Ich begrüße Sie herzlich. Diesmal in Vertretung.

Im linken Liedbrevier findet sich: „Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht…“

Wir haben einen großartigen und kompetenten Gast. Sein Mandat und Ruf ist es, Antwort zu geben. Sich stellen. Konzeptionell und problemorientiert denken. Verständnis wecken und überzeugen. In argumentationsarmer Zeit hat das Seltenheitswert. Aber dann steht man auch im oberen Bereich der Beliebtheitsskala. Er beendet eine verstörend rasante Rotation auf seinem Stuhl. Ich begrüße herzlich – auch in Ihrem Namen – den Parteivorsitzenden der SPD, Herrn Lars Klingbeil.

Ich begrüße unsere wunderbaren, erfahrenen Podiumsteilnehmer: Frau Prof. Dr. Ursula Münch, Herrn Dr. Helge Matthiesen, Herrn Dr. Nils Minkmar. Herr Marlon Amoyal wird sie uns gleich protokollgerecht vorstellen und das Gespräch befeuern. Er selbst ist leitender Redakteur und Moderator des Senders Phoenix (der Sender, der Gebühren rechtfertigt). Die Conclusio übernimmt unser Kuratoriumsvorsitzender, Herr Ronald Pofalla.

Allen ein herzliches Willkommen und vorauseilender Dank.

Das Thema „Die Zukunft der Sozialdemokratie“ unterstellt, dass es eine gibt. Tatsächlich haben die Volksparteien ihre publizistischen Beerdigungsfeierlichkeiten überlebt. Konstante ist, dass in der deutschen Bevölkerung parteiübergreifend eine Art sozial-demokratische Grundmentalität vorherrscht. Links – Mitte – Rechts ist inhaltlich changierend. Da überlappt sich viel.

Kürzlich habe ich Befragungen ausgelöst. Die meisten wollen Mitte sein. Ankerthemen oder wasserfeste Etiketten fanden sich kaum. Das lebenskluge „sowohl als auch“, der Satz : „Nichts sollte so heiß gegessen werden wie gekocht“ oder : „Jedes Ding hat zwei Seiten oder mehr“ waren als Haltungsmuster signifikant übereinstimmend. Die Befragten definierten ihr Mitteverständnis nicht über Themen. Die Verbindung war undogmatische Meinungsbildung.

Zur Jahrhundertwende wurde Deutschland als der kranke Mann Europas beschrieben. Im September 1998 wurde zum ersten Mal eine Bundesregierung komplett abgewählt. Hier aus Bonn verbreitete sich Hoffnung. Zuversicht verdrängte die apokalyptischen Reiter – Stammgäste im deutschen Kollektiv-Bewusstsein.

Die erprobte Demoskopin Frau Noelle-Neumann fand damals nur zehn Prozent Bürger, die düster in die Zukunft blickten. „Nie ist in fünfzig Jahren vom Allensbacher Institut ein niedrigerer Wert verzeichnet worden.“ Das schrieb sie Anfang 2000.

Man setzte Vertrauen in eine Politik, die Wirtschaft fördern und faires Miteinander verbinden sollte. Bessere Zukunft durch wirtschaftlichen Aufschwung, der alle fordert, aber auch mitnimmt.

Mit der Parole „It‘s the Economy, stupid“ formierte Bill Clinton Mehrheiten in seinem Land. Er überbrückte gesellschaftliche Gräben. Das war erfolgreich. Allerdings: Nobelpreis-veredelte Ökonomen hielten Deindustrialisierung damals für zeitgemäß folgerichtig. Massenhaft kreditfinanzierte Häuschen galten ihnen als Sozialpolitik. Das wirkte später debakulös.

Es war eine Treppenstufe für den Aufstieg des Trumpismus. In den USA wurde das erkannt. Heute fördert man massiv Reindustrialisierung, Wertschöpfungsketten – und Bereitstellung günstiger Ressourcen wie Energie, Infrastruktur, vor allem digitale, und den Abbau bürokratischer Lustlosigkeit.

Im Angesicht chinesischer Wirtschaftserfolge müssen Demokraten beweisen, dass das Wohlstandsversprechen und Demokratie kompatibel bleiben.

In den USA soll positive ökonomische Zukunftserwartung wieder Zusammenhalt wecken. Folgerichtig rückt der Präsident bei jedem Auftritt im Land Wirtschafts- und Industriepolitik in den Mittelpunkt. Dass Ökologie Wachstum braucht, weil es viel Geld kostet, wurde dort verstanden. Es gilt, Arbeitsplätze in der Industrie zurückzuholen. Deutsche Unternehmen hören den Lockruf. Die Chemieindustrie – wie andere energieintensive Unternehmen – haben gepackte Koffer. Joe Biden verstreut keine moralisch lackierten Fehdehandschuhe in der Welt. Er pflegt die Kunst der Diplomatie – Anfang letzter Woche mit dem chinesischen Präsidenten. Beim G20-Gipfel war besonnene Abwägung, nicht Belehrung, sein Stil. Dem deutschen Kanzler wird wichtige Vorarbeit zugeschrieben.

In Deutschland steht das ökonomische Barometer auf Sturm. Die letzte Rezession dieser Art gab es 2020 in der Corona-Pandemie. Deutschland hat sich davon noch nicht erholt. Gegenüber Ende 2019 ist die Wirtschaft um erbärmliche 0,2 Prozent gewachsen. Fürs nächste Jahr erwarten Experten. dass sie stärker schrumpft als anderswo. Deutschland wird wohl die rote Laterne umgehängt. Schlusslicht im Westverbund.

Keine leichte Zeit für die, die ihrem Amtseid gerecht werden wollen. Höchste Zeit für Konzepte. Aus den 4 apokalyptischen Reitern ist eine Reiterei geworden. Aber Apokalyptiker beschreiben und bejammern Probleme, sie lösen keines … . Sie leben davon.

Es gibt noch Problemlöser – zu wenig beachtet und gewürdigt! Vorausschauende und Fürsorgliche haben kürzlich sogar einen Asteroiden aus der Bahn gedrängt.

Ich mag die Figuren, die vom Balkon der Muppet Show herunter nörgeln, nicht. Ich habe Respekt für die, die sich in dieser Zeit Verantwortung aufladen. Deshalb verdichtet und allgemein: Aus wohltuender Vernetzung wurde bedrohliche Abhängigkeit. Aus fairem Wettbewerb wurde aggressiver Isolationismus. Bedrohliche Spannungen schwinden nicht. Sie wachsen. Materiell und mental. Der SPD – Fraktionsvorsitzende mahnt besorgt diplomatisches Handeln an.

Viktor Adler, Begründer der Sozialdemokratie in Österreich, trumpfte provozierend gegenüber seinen Genossen mit dem Diktum auf: „Es ist besser, mit dem Volk zu irren, als gegen das Volk Recht zu haben.“ Das klingt populistisch. Aber natürlich wollte er nicht mit den Lemmingen in den Abgrund rennen. Er wollte so lange wie möglich bei ihnen bleiben, um ihnen die Rückkehr zur Wahrheit zu ermöglichen. Er hörte nicht auf sie, aber er hörte ihnen zu.

Wir wissen, wie schwer das heute ist. In den sogenannten Sozialen Netzwerken tobt der Kampf um die Köpfe. Der radikalisiert sich. Ereignis und emotionaler Tsunami passieren fast gleichzeitig. Wie irrende Raketen. Sorgfältige Recherche und abwägendes Denken kommen spät. Wenn sie überhaupt kommen, sind schon alle emotionalen Positionen besetzt. Die irrationalen auch.

Seriöse Presse gilt einigen als antiquiert und spielverderberisch. Unseriöse betreiben sowieso ihre eigene Agenda. Die freundliche Zustimmung des einfachen Menschen ist für manche sich Selbstguten der Beweis, dass was nicht stimmen kann. Rational Abwägende schwimmen gegen den Strom.

Signifikante Wählermengen fühlen sich abgehängt, glorifizieren Vor-Vergangenheit, misstrauen der Gegenwart, fürchten die Zukunft. Das Wort von der „Zeitenwende“ reicht weiter als die Nachrüstung der Bundeswehr. Sogar die Sprache ist plötzlich Quelle der Etikettierung und Segmentierung. Ständiger Hochdruck – das bestätigen Kardiologen – erzeugt Vorhof-Flimmern.

Soziologen haben dafür ein Wort: Vertrauensverlust. Der moderne Staat begann, als kluge Denker der Obrigkeit das Vertrauen aufkündigten. Vertrauen war gut. Kontrolle war besser. Demokratie basiert nicht auf „Vertrauen“ in die Macht. Sie verlangt Transparenz und Mitwirkung derer, die unter Machtmissbrauch zu leiden hätten. Klug austarierte Instanzen geben ihnen dafür das Werkzeug.

Und doch: Vertrauen hat Renaissance als Grunddaseinsbedürfnis.

Ich falle mir ins Wort. – Liebe Gäste, da war doch das Lied: „Vorwärts und nicht vergessen, / worin unsre Stärke besteht.“ Natürlich komme ich da zu Lars Klingbeil. Wir werden‘s gleich wissen. Ich übergebe ihm das Mikrofon und unser aller Aufmerksamkeit.