„Medien, Propaganda und Politik – eine Hassliebe“
ZOOM – Seminar
09. Dezember 2020
Gastreferenten:
Christoph Schwennicke
Dr. Helge Matthiesen
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
Meine Damen und Herren,
heute haben wir zwei herausragende journalistische Persönlichkeiten zu Gast. Das sind die tatsächlichen Frontleute unter unseren Gästen. Kluge, erfahrene, einflussreiche und professionelle, aktive Journalisten.
Die werden über ihr Wirken, ihre täglichen Herausforderungen, ihre Ansichten zum journalistischen Auftrag und hoffentlich auch über ihren Werdegang berichten.
Ich begrüße diese großartigen und interessanten Gäste und Sie zum vierten Kapitel unseres kleinen Seminars über ein großes Thema. Mit besonderer Freude auch, weil trotz der distanzierten digitalen Form die letzten Runden interessante Fragen und Beiträge hervorbrachten.
Christoph Schwennicke ist ein mit vielen Wassern gewaschener Journalist, Redakteur, Herausgeber. Als beliebter, weil meinungsfreudiger Gast ist er oft in Rundfunk und Fernsehen zu erleben.
Dr. Helge Matthiesen studierte Geschichte, Politik und Geografie in Göttigen, wurde Journalist auf vielen Feldern und ist heute Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers.
Wir bewegen uns im Kräfte-Dreieck von Presse, Propaganda und Politik. Nach einer aktuellen Zeitansage ging es uns beim zweiten Treffen um phänologische Definitionen von Öffentlichkeit. Beim vorigen Mal zeigte ein historischer Abriss, dass wir uns hier mit einer Konstanten des individuellen und sozialen Verhaltens befassen. Heute interessiert
uns der medienpolitische Aspekt. – Dazu ein paar einführende Beobachtungen.
Die Omnipräsenz von Medien in unterschiedlichster Form und in unterschiedlichen Händen ist ein politischer Faktor von enormer Bedeutung. Die gewachsenen Verhältnisse sind kein unkündbarer Besitz. Sie bleiben ein dynamischer Prozess. Die Verfassung und nachgeordnete Gesetze bieten keine Linie, auf der wir balancieren, sondern einen Rahmen, in dem wir uns bewegen. Neue Entwicklungen zwingen zur Neujustierung
der Stellschrauben. Es geht um Macht und Einfluss. Also geht es auch um Verantwortung und Legitimation.
Es braucht eine Medienpolitik als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Sie schützt das Recht der freien Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit der Bürger, aber nicht auf Kosten der Persönlichkeitsrechte. Sie soll sicherstellen, dass politische und wirtschaftliche Machtgruppen keinen bestimmenden Einfluss auf das publizistische Angebot und die politische Willensbildung der Bevölkerung bekommen. Medienpolitische Entscheidungen sind für die Bürger*innen eher indirekt spürbar. Sie werden deshalb häufig strategisch und intellektuell vernachlässigt. Neue Entwicklungen wie z. B. Digitalisierung
und Internet bleiben lange unerkannt. Statt frühzeitiger Risikoabschätzung
wird die Politik eher zum Reparaturbetrieb.
In Deutschland sind zahlreiche Akteure und Institutionen medienpolitisch unterwegs. Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder definieren die Rahmenbedingungen. Landesmedienanstalten kümmern sich um Lizenzierung und Kontrolle. Öffentlichrechtliche Rundfunkräte beaufsichtigen ARD und ZDF. Parteien, Fraktionen und Verbände
bestimmen medienpolitische Spezialisten aus ihren Reihen. – Ob diese Kleinteiligkeit in Deutschland der globalen Verschmelzung riesiger Medienkonzerne wie Google oder Netflix noch gewachsen ist, wird diskutiert.
Die besondere Fragestellung unseres Seminars legt nahe, dass es hier nicht nur um technische Entwicklungen, Verteilungswege und Strukturen geht. Presse, Propaganda und Politik implizieren unvermeidlich auch Interessen und Intentionen. Sie folgen normativen Leitbildern, die mit einander konkurrieren.
• Man kann sich liberal orientieren und alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen.
• Man kann ordnungspolitisch agieren und einen Ausgleich zwischen Gesellschaft, Staat und Wirtschaft suchen.
• Man kann individuelle Freiheitsrechte in den Mittelpunkt stellen, um den öffentlichen Diskurs zu befeuern.
• Man kann schließlich auch Medienpolitik gegen die Medien betreiben, um ein widerspruchsfreies Weltbild zu propagieren (Stichwort „Lügenpresse“).
Es wird Sie nicht wundern, dass eine trennscharfe Unterscheidung in der Realität kaum möglich ist. Politik ist immer auch Propaganda. Die Parteien haben ihre Programme und Wertentscheidungen. Sie agieren vielleicht auf der Basis von Fakten, gewiss aber auch im Hinblick auf die nächste Wahl. Andernfalls wäre es unbegreiflich, warum das offenkundig Nötige und Vernünftige oft Jahrzehnte braucht, um sich eine politische Mehrheit zu erarbeiten. Der Lobbyist und PR-Manager weiß, was und wohin er will.
Die Interessen seiner Auftraggeber können sich aber durchaus auch auf Sachverhalte stützen. Nur dann haben sie auf Dauer eine Chance, ihre Klientel zu überzeugen. – Und natürlich wird auch die Presse von Menschen gemacht, deren subjektive Haltung sie verführen kann, den einen nach dem Munde zu reden und den anderen nach dem Ohre zu schweigen.
Zuletzt möchte ich uns alle beglückwünschen. Die aktuelle Politik in Deutschland und anderswo liefert uns haufenweise Anschauungsmaterial zur Thematik dieses Seminars. Die großen Aufreger dieser Wochen und Monate (Pandemie, Wirtschaftseinbruch, Klimawandel, Wahlen in den USA, Belarus, Venezuela, Brexit und Extremismus), aber auch die kleinen wie das aufsässige Sachsen, das dem teuersten öffentlichen Rundfunksystem der Welt den Nachschlag verwehren will, die Influencer-Szene, der tägliche Kampf um die Deutungshoheit von Wissenschaft und Politik bieten dem
kritischen Zeitgenossen Kriterien und Maßstäbe en gros und en détail. – Machen Sie reichlich Gebrauch davon!
Und all das ist das tägliche Brot unserer beiden Gäste. Wir freuen uns auf ihre praxisnahen Beiträge.