Gastbeitrag von Bodo Hombach „Ex-Kanzleramtschef: Corona verleiht uns Antikörper gegen Populisten“

Gastbeitrag: Bodo Hombach

16. Juni 2020

Corona macht’s möglich: Orientierungsarme Gefühligkeit weicht verstärkter Nachfrage nach Sachlichkeit und Fachlichkeit. Das „postfaktische Zeitalter“ war wohl ein voreiliges Etikett.

Wer aus der Krise lernen will, hat reichlich zu tun. Die wenigsten finden es witzig, sich in Schlauchbooten auf Berliner Seen zu drängen. Sachliche Informationen sind gefragt, weil man sich sachgerecht verhalten will. Auch der verstockteste Egomane musste anerkennen, dass er aus gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht aussteigen kann. Weltweit propagieren Politiker soziale Distanz und – im gleichen Atemzug – soziale Umarmung.

So soll „Helikoptergeld“ den sozialen Shutdown für 70 Millionen US- Bürger erträglich machen. In ihre Briefkästen flatterte von oben ein „fetter Scheck“ – wie es der seltsame Mann im Weißen Haus formuliert. Der hat – im Dauerwahlkampf – seinen Namen aufdrucken lassen und spielt den „bon roi“, den guten König. Ein derart personalisiertes Almosen ist neu, selbst im Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“.

Wo das Rettende wächst, wachsen auch Gefahren

Nun ja. Politiker in aller Welt lassen sich gern für Wohltaten huldigen, die sie nicht bezahlt haben. Ihnen wird ja auch Negatives angekreidet, für das sie nicht verantwortlich sind. – Soweit so normal. Was aber ist spektakulär neu an der gegenwärtigen Situation?

Die kollektive Duldung gewaltiger Ausgaben soll die Folgen des verordneten Stillstandes abfedern. Ein Spagat von nie dagewesenem Ausmaß soll Volksgesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt retten. – Nebenbei Europa gegen dessen eigene Zerfallstendenzen.

Keine Frage: Das Virus hat uns den asymmetrischen Krieg erklärt. Die Notwehrmaßnahmen entsprechen der Not. Wer von der Corona-Krise existenziell gefährdet ist, soll Überbrückungshilfen erhalten. Das ist Konsens. Aber wo das Rettende wächst, wachsen auch die Gefahren.

„Schnelles Geld“? – das weckte sofort den „Abgreif-Reflex“ und rief Tausende Betrüger nicht nur im schlicht regierten Berlin auf den Plan. Es weckte notorische Gefährder des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die heute verausgabten Steuergelder der Zukunft werden vorrangig diejenigen aufbringen, die gerade große Teile ihres Vermögens verlieren und noch verlieren werden.

Erfolgsgeheimnis der Bundesrepublik heißt „Soziale Marktwirtschaft“

Schon in „Friedenszeiten“ gilt bei uns die Logik des Ausgleichs. Die „starken Schultern“ tragen viel. Die vom Soli nicht Befreiten (10 Prozent) zahlen mehr als die Hälfte (54,8 Prozent – Quelle BMF) der Einkommenssteuer, haben aber weniger als ein Drittel am verfügbaren Einkommen. Beim Soli, den man ihnen nicht erlässt, weil sie eben „Die Besserverdiener“ sind, standen und stehen sie für den Aufbau Ost ohnehin ebenfalls für 54,8 Prozent gerade. In wenigen Ländern funktioniert der Lastenausgleich so fair wie in Deutschland. Das haben Sozialdemokraten in beiden Volksparteien bewirkt. Es entwickelte sich zum gesellschaftlichen Grundkonsens. Unter einer Voraussetzung: Es braucht Ausgleich und Zusammenhalt zwischen denen, die auf Transferleistungen angewiesen sind und jenen, die das nötige Geld erarbeiten, die wertschöpfenden Strukturen aufbauen und pflegen. Zusammenhalt zwischen gewährendem Politiker und nehmender Wählerschaft ist Obrigkeitstraum und nicht demokratische Kultur.

Sozialdemokratische Kanzler haben diejenigen anerkannt und gewürdigt, die sich zum Sozialstaat bekennen und ihn durch ihre Arbeit wesentlich ausgestalten und finanzieren. Das Erfolgsgeheimnis der Bundesrepublik heißt nicht „Sozialismus“ und nicht „Marktwirtschaft“, sondern „Soziale Marktwirtschaft“. Wer Sozialpolitik braucht und wer sie finanziert, arbeitet in diesem System zusammen, nicht gegeneinander. Das politische Motto dazu heißt: „versöhnen, nicht spalten“. Es ist die Haltung pragmatischer Besonnenheit, nicht der Feuchttraum abgehobener Ideologen. Schon Beethoven komponierte: „Wenn sich nichts mit nichts verbindet, ist und bleibt die Summe klein.  Wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein.“ (Fidelio).

„Man muss erst erarbeiten, was man ausgeben will“

Rechte Ideologen spalten von oben, linke von unten. Beide versprechen das Paradies und produzieren Katastrophen. Wenn Sozialdemokraten ihre ausgleichende Rolle verlassen, wirkt das zerstörerisch – und selbstzerstörerisch sowieso.

Herr Kühnert verkündete über den „Spiegel“ im Dezember letzten Jahres, die SPD solle nicht weiter danach streben, von allen gewählt zu werden. Die Partei solle sich … auf Menschen mit geringem Einkommen konzentrieren. Just diese wissen jedoch: Von nix kommt nix. Man muss erst erarbeiten, was man ausgeben will.

„Die Reichen sollen zahlen“ – seine Parteivorsitzenden intonieren diese Melodie in den Höhepunkt der Virenkrise. Sie wurden von dem Parteiteil gewählt, der nicht regieren will. Die überzeugende Performance der sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder wird dadurch überlagert. Anders kann man die Umfragewerte schwer verstehen.

Der Versuch, den Kampfbegriff „Besserverdiener“ mit dem Corona – Fieber zu kontaminieren, wird an der Wahlurne scheitern. Die US – Demokraten sind auf dem Weg, sich vom Flügelschlagen zu erholen. Die britische Labour Party hat begriffen: Die Abwahl des wirren Herrn Corbyn gibt der Vernunft und ihren Wählern neue Chancen.

Politik der Vorsorge statt der Nachsorge

„Das Volk weiß nichts, aber es ahnt alles“ (frei nach Tucholsky). Nur Dummköpfe misshandeln die Kühe, von deren Milch sie leben. Die Klugen lassen sich nicht in Flügelkämpfen erschöpfen. Die rationale Mitte will Argumente. Wir brauchen eine Politik der Vorsorge statt der Nachsorge. Europa ist ein Projekt der Bürger. Nach dem Rückzug des Virus und der Reha-Phase haben wir vielleicht Antikörper gegen lobbyistisches Schattenregieren und inhaltsarmes populistisches Gequassel.

Das sichtbar gewordene Bedürfnis nach pragmatischer Problemlösung und konstruktiver Kritik könnte auch die Medien runderneuern. Leser und Zuschauer wollen die Sachverhalte kennen, um sich sachgerecht zu verhalten. Gehen wir aufeinander zu, nicht aufeinander los!

Über den Autor:

Bodo Hombach war Wahlkampfmanager von Johannes Rau und Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder. Danach wurde er Sonderkoordinator des EU-Stabilitätspakts für Südosteuropa in Brüssel. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, die die Identität des Ruhrgebiets fördert und Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik.