Fachsymposium „Citylogistik für die Zukunft – Neue Lösungen für den innerstädtischen Lieferverkehr“, 4. November 2019
Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach
04. November 2019
Verehrte Damen und Herren,
Herrn Minister Wüst und unsere anderen wunderbaren und kompetenten Gäste wird die auch von mir verehrte und respektierte WDR -Journalistin Anja Bröker gleich protokollgerecht vorstellen. Ich darf ihr dafür schon jetzt – auch in Ihrem Namen – herzlich danken.
Ein großer Kastenwagen fährt durch die Stadt. Der hält alle 300 Meter an. Bevor der Fahrer weiterfährt, springt er raus und schlägt mit einem Besenstiel an die Außenwand. Ein Passant beobachtet ihn und fragt nach dem Grund seines seltsamen Verhaltens. „Was soll ich machen?“, sagt der. „Der Wagen darf nur eine Tonne transportieren, ich habe aber zwei Tonnen Wellensittiche geladen. Da muss ich mindestens eine immer am Fliegen halten.“
Das ist geeignete Metapher für unser Thema. Von irgendwas gibt es zu viel, und es wird täglich mehr.
Wir müssen es irgendwie in Bewegung halten. Unsere Methoden sind von archaischem Charme. Neue Fantasie ist gefragt. Menschen wollen und müssen von hier nach dort. Das nennt man Bewegungsfreiheit. Diese Ur – Freiheit muss die Gesellschaft nicht nur gewähren, sondern gewährLEISTEN.
Bei hoher Verdichtung erzeugt es Gedränge. Ein Regelwerk soll Chaos und Anarchie verhindern. Sanktionen drohen, aber Regelverstöße werden zum Normalfall. Einer parkt frech in der zweiten Reihe. Eine ganze Straße wird einspurig. Rücksichtslosigkeit nimmt man in Kauf – natürlich nur die eigene. Die der anderen wird wütend kommentiert.
Der Bahnhof von heute ist Kaufhaus und Brennpunkt irritierender Eindrücke mit einer Service – Philosophie automatisierter Abläufe. Durch die muss König Kunde selbst durchkommen. Der Schaffner sollte masochistische Neigungen haben. Wenn mal wieder was nicht stimmt, gibt er den Prügelknaben.
Wir in Nordrhein – Westfalen können froh sein, einen Verkehrsminister zu haben, dem an Bewegung liegt, der sich über Blockaden (auch bürokratische) ärgert. Der mutig gegen Blockierer vorgeht. Nach sieben verlorenen Jahren hat viel auf – und nachzuholen.
Eine City – Maut würde Ungleichheiten erzeugen und wäre ein Goldesel für Städte, wie die „Knöllchen“ – vornehmer: „Parkraumbewirtschaftung“ – es sind. Als Allzweckwaffe zur Verbesserung der Verkehrslage sind diese Einnahmen bisher nicht bekannt.
Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger und nun auch noch E-Scooter. Jeder Gruppe soll durch schrillen Lobbyismus ein höheres Recht erstritten werden. Gegen, nicht neben – und miteinander, ist verbreitete Parole im Straßenkampf. Das ist die Berliner Luft. Sie wird sich mit Hilfe der Hauptstadtmedien verbreiten.
Ist der immer schon politisch gehuldigte, aber von Politikern fröhlich gemiedene ÖPNV das Mittel der Wahl? Die Infrastruktur navigiert an der Belastungsgrenze. Helfen smarte Geräte? Bessere Verfahren? Soziale Pädagogik? Oder hilft nur noch Beten? Wenige Fragen von vielen.
Für Antworten bietet die Brost – Stiftung Ort und Gelegenheit. Bei uns im Ruhrgebiet sind die Probleme interessanter als anderswo Lösungen. Die vielfältige Gemeindestruktur in einer noch immer von Gegensätzen durchkreuzten Landschaft. Der Raum zwischen Ruhr und Emscher ist geeignetes Labor. Was hier nicht misslingt, wird überall erfolgreich sein.
Ist „Citylogistik“ ein neuer „Sprech“ oder die treffliche Beschreibung der Aufgabe? Im Foyer des Max – Planck – Instituts für Logistik im Dortmunder Industriepark hängt eine Tafel mit dem Spruch: „Das Ideal der Logistik ist der leere Raum.“ Das verblüfft. Das regt die Synapsen auf.
Vollgestopfter Raum ist Zwang. Menschen werden darin zu Objekten unter Wert. Man stapelt sie vor Baustellen und Ampeln. Sie verlieren Lebenszeit. Ständig verletzt jemand ihre persönliche Hoheitszone. Das führt zu erhöhtem Adrenalin – und Zuckerspiegel und zu aggressiver Unduldsamkeit. Es entstehen unschöne Regelkreise, die sich verstärken.
Citylogistik, die den Namen verdient, sucht nicht krampfig, Mode und Erregungswellen zu folgen. Sie will keine hektischen oder polit – opportunistischen Symboltaten. Sie will den gut durchgerechneten planvollen Wandel.
Kürzlich hatten wir mit Minister Wüst und seiner klugen holländischen Kollegin ein sehr anregendes Treffen. Der Lerneffekt: Großraumdenken macht Probleme kleiner. Der Radfahrer, der nicht ins Schleudern kommen will, starrt ja auch nicht auf sein Vorderrad, sondern auf den HORIZONT.
„Infrastruktur“ ist die Beschreibungssprache der wissenschaftlich – technischen Moderne. Ihr Zustand ist Gradmesser für Wohlstand und reibungslosen Alltag. Eine möglichst große Zahl von Menschen erhebt Anspruch, auf öffentliche Systeme zugreifen zu können. Jeder auf seine Weise und jederzeit.
Infrastruktur ist von prekärer Verletzlichkeit. Wir schrecken auf, wenn sie nicht funktioniert. Wir halten sie für etwas Sachliches, aber sie beeinflusst tief unsere Kultur und unser kollektives Bewusstsein.
Gegenwärtig verdüstert sich das Bild unserer Kompetenz in der Welt dramatisch.
Der Wissenschaftler (Dirk van Laak) fand zwei Merksätze.
- „Infrastruktur ist all das Stabile, das notwendig ist, um Fließendes zu ermöglichen.“
- „Handle so, dass die Geschwindigkeit deines Vorankommens niemanden hindert, ebenso schnell oder noch schneller voranzukommen.“
Welch‘ fröhliche Nüchternheit als Antithese zum durch apokalyptische Visionen zerfressenen Zukunftsblick. Eine kluge Verkehrspolitik nimmt die Vielfalt der Menschen und ihrer Bedürfnisse zur Kenntnis. Sie versucht, ihnen gerecht zu werden. Sie erzeugt aber kein starres ideologisches oder moralisierendes, sondern ein pragmatisches, dynamisches Gleichgewicht.
In den skandinavischen Ländern ist man damit schon ziemlich weit. Wer in Helsinki seinem Smartphone ein Ziel verrät, ist im nächsten Moment rundum behütet.
Der digitale Begleiter schlägt ihm die geeignete Route für jedes Verkehrsmittel vor. Die ganze Stadt wird zum Dienstleister. Ein freundlicher Buttler, der dezent die Wege ebnet und nicht Mobilitätsfrust, gar Scham erzeugt. Der Passagier fühlt sein Bewegungsmotiv angenommen. Wenn er sein Ziel erreicht, weiß er: Besser ging es nicht. Besser nicht nur für ihn, auch für alle anderen, für die Stadt, für die Atemluft und die Nerven der Anwohner, für den Energieverbrauch.
Das ist Lebensqualität und Kultur. Ein „soziales Kunstwerk“, in dem man mit der Gesellschaft gestalten kann. Das ist ein Maßstab für Modernität und Gerechtigkeit. Die nächste Helsinki – Studie, lieber Herr Minister, geht auf unseren Deckel.
Ich fand eine Kurzgeschichte, die unser Problem auf charmante Weise aufgreift. Mit Genehmigung des Autors durfte ich sie Ihnen auf die Plätze legen. Sie wird Ihnen Freude machen.
Unser Gespräch wird spannend. Es vibriert schon…. Wir alle werden klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür stehen unsere großartigen Gäste.
Dafür vorauseilenden Dank.