„Niederlande und NRW – Bei Verkehr und Mobilität voneinander lernen?“ Zeche Zollverein, 3. September 2019

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

3. September 2019

Sehr geehrte Frau Ministerin Cora van Nieuwenhuizen,
sehr geehrter Herr Minister Hendrik Wüst,
verehrte Damen und Herren,

die Stahlwerke Hoesch hatten eine schöne Angewohnheit. Zu Weihnachten wurde der gesamten Belegschaft ein Buch geschenkt. So entstand im Laufe von Jahrzehnten eine ganze Bibliothek. Jedes Exemplar war eine thematische Anthologie.

Es war klug zusammengestellt mit namhaften Schriftstellern. Heinrich Böll war auch dabei. Ein Band, erinnere ich mich, widmete sich den Niederlanden. Anlass war damals das Zusammengehen von Hoesch und Hoogovens. Sein Titel war „Das menschliche Maß“.

Das war ein treffliches Motto für diese Partnerschaft. Jeder Spaziergang durch das Giebelspalier einer holländischen Straße bestätigte es. Unsere holländischen Nachbarn wussten immer, worum es eigentlich ging. Deshalb hatten sie wohl auch ein ausgeprägtes Desinteresse an militärischem Pomp und Getöse.

Ihr „Kräftemessen“ geschah auf einem ganz anderen Feld. Es war der Kampf mit dem Meer. Die Front der Niederlande war immer der Deich. Ihre Neuzeit-Eroberungen sind Polder. Nach geduldiger Entwässerung grasen friedliche Schafe auf gewonnenem Gelände.

Das Meer war und ist nicht nur Gegner, sondern auch Partner. Ressource für Tourismus, Fisch- und Krabbenfang und natürlich beim Seehandel. Einmal belagerten die Spanier die Stadt Leiden. Die Verteidiger durchstießen die Deiche. So setzten sie die brutalen Unterdrücker unter Stress.

„Das menschliche Maß“. Davon können wir Deutschen einiges lernen. Ich denke zum Beispiel an das „Poldermodell“. Das hat die wichtigen Reformprozesse der 1990er Jahre im breiten gesellschaftlichen Konsens möglich gemacht. Es ging um friedlichen und nützlichen Interessenausgleich.

Man lud die Betroffenen eines Problems an den runden Tisch. Man kommunizierte miteinander – nicht mit Megafon oder Tastatur. Man sah sich in die Augen und suchte den lebbaren und tragfähigen Konsens statt rechthaberischer Polarisierung. So bewegte man sich von Irrtum zu Irrtum zur Wahrheit. Ein Gegenmodell zur Hauruck- und Haudraufmethode, die gegenwärtig groß in Mode ist. Wer in den populären Schlachtruf: „Klare oder scharfe Kante“ fröhlich einstimmt, verkennt meist: Jedes Ding hat mindestens zwei Seiten.

Diktaturen diktieren. Die brauchen die hohe politische Kunst des Interessenausgleichs nicht. Demokratien brauchen diese Fähigkeit unbedingt, damit sie nicht zur blockierenden Gesellschaften retardieren. Selbst auf das gut sichtbare Menetekel an der Wand kann ansonsten nicht schnell und adäquat reagiert werden.

Oft hat eine gesellschaftliche Kraft nicht genug Power, um Wichtiges zu bewegen. Meist hat sie aber genug Kraft, andere Bewegungen zu blockieren. Gleichaltrige erinnern sich an das Malefiz-Spiel. Dabei war es wichtiger, den Mitspielern Barrikaden in den Weg zu legen, als selber zum Ziel zu kommen.

Die neue gesellschaftliche Polarisierung endet in der Malefiz-blockierten Gesellschaft. Im holländischen Parlament müssen 15 Parteien nebeneinander leben. Vom „Poldermodell“ scheint gleichwohl oder deshalb was übergeblieben zu sein.

Eine komplexe und durchdachte Rentenreform wurde auf den Weg gebracht. Die positive wirtschaftliche Entwicklung bei unseren Nachbarn lebt von kluger Bildungs-, Ansiedlungs- und Logistikpolitik. „Das menschliche Maß“ hieß auch schon immer voneinander lernen.

Das sollte bei unseren Ländern niederschwellig und vertrauensvoll möglich sein. Nach China sind die Niederlande Deutschlands wichtigster Handelspartner. Nordrhein-Westfalen und die Niederlande haben eine gemeinsame Grenze von 395 km. Grenze ist schon das falsche Wort. Im gemeinsamen europäischen Haus trennen die Grenzen nicht mehr. Sie sind Orte des Übergangs, der Begegnung, des Austausches. Unsere Grenze dient nicht mehr der nationalen Immunabwehr, sondern eher einem nützlichen Stoffwechsel, der beide Organismen füttert. Der ist vielfach erprobt, aber noch längst nicht in seinen Möglichkeiten ausgeschöpft. – Ein ganzer Katalog interessanter Ansätze fällt mir ein:

  • Der innovative Ausbau der Logistik und die Einbindung in ein Gesamtverkehrskonzept.
  • Modernisierung der Infrastruktur.
  • Intelligente Mobilität statt flickschusternde Verwaltung der Defizite.
  • Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in punkto Bahnstrecken, Busverbindungen, Binnenschifffahrt und Fernradstrecken.
  • Erfahrungsaustausch bei Smart-Mobility, LKW-Logistik und alternativen Kraftstoffen.

Ich klopfe durchaus an offene Türen. Wichtige Schritte sind getan.

Ministerin van Nieuwenhuizen und NRW-Verkehrsminister Wüst unterzeichneten eine gemeinsame Arbeitsagenda. Zusammen mit dem Verkehrsexperten Prof. Dr. Roman Suthold werden sie heute diskutieren, wohin die Reise geht.

Anschließend wird Dirk Brengelmann, deutscher Botschafter im Königreich der Niederlande, eine Zeitansage zur Beziehung beider Länder geben. Die Moderation des Abends übernimmt Jörg Zajonc, Geschäftsführer von RTL West.

Ich begrüße diese Persönlichkeiten – auch in Ihrem Namen – sehr herzlich bei uns in Essen! Ich begrüße auch die Geschäftsführerin der rührigen Organisation United Europe, Frau Schües. Heute, und in Zukunft noch enger, wollen wir Themen von europäischer Bedeutung partnerschaftlich verstehen, aufbereiten und verbreiten.

Wir schaffen was!
Jede gute Politik sollte „ein menschliche Maß“ anlegen und wollen.

Verehrte Damen und Herren,

unsere großartigen Gäste sind Garantie dafür: Wir werden am Ende klüger sein als wir es jetzt sind. Dafür meinen vorauseilenden Dank!