Einführung zur Ausstellungseröffnung „Melting POTT“ Duisburg, 2. Juli 2019
Einführung durch Prof. Bodo Hombach
2. Juli 2019
Sehr verehrte Damen und Herren,
ein früherer Chef – Johannes Rau – warnte: „Red‘ nicht vor dem Essen – sie werden dich hassen.“ Vor Kunst-Genuss gilt das sicher auch. Es könnte aber auch heißen: „Red‘ nicht nach dem Genuss. – Sie werden schlafen.“
Ich bin beim Thema: jedes Ding hat zwei Seiten – oder mehr. Das ist alte analoge Denke. Die digitale Unterwerfung der Welt zwischen 1 und 0 macht sie verteidigungswürdig. Man weiß, eine 0 kann Probleme verzehnfachen. Zu viele etablierte Meinungsbildner retardieren zu Realitäts-Simulanten. Bert Brecht kannte das: „Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“
Till Brönner zog durchs Revier. Nicht, um das Fürchten zu lernen. Er machte sich ein Bild – für uns. Kein weiterer intentionaler Journalismus. Er konstruierte nicht, was wir zu sehen und zu denken haben. Das realistische Bild unserer Welt bleibt Eigenleistung und in Eigenverantwortung. Wir fühlen uns von Till Brönner freundlich beobachtet, ehrlich erkannt und schnörkellos beschenkt. Die Brost-Stiftung freut sich, dafür Anlass gegeben zu haben. Wir lieben diese Region und ihre Bewohner. Wir lieben ihre Glanzlichter und die Schatten.
„Jedes Ding definiert sich durch die beste seiner Möglichkeiten.“ Wo wir grau sehen, sieht Till Brönner unzählige Abstufungen. Er hatte diesmal die Leica dabei. Er hat immer Melodien im Kopf. Er ist Mehrfachtäter – ein Multitalent. Kamera oder Trompete, Auge oder Ohr. Für Brönner eine zu simple Alternative. Töne und Bilder. Beide machen uns auf wundersame Weise erreichbar, verletzlich. Melodien und ehrliche Bilder sickern ein und nisten sich ein. Sie werden Ohrwurm oder Ikone. Oft lebenslänglich – mit dem frechen Charme einer Naturgewalt – dringen sie in unsere Privatsphäre ein. Sie stellen sich in den Weg. Sie manipulieren uns nicht. Sie verhelfen zur eigenen Identität.
Als Rilke dem Torso eines griechischen Apoll begegnete, fehlten ihm die Worte. Er konnte nur noch denken: „Du musst dein Leben ändern!“ So weit wird es Till Brönner nicht mit uns treiben. Er nannte das Ruhrgebiet „das Amerika Deutschlands“. Über Amerika ahnt man alles, aber weiß nichts. Der seltsame Mann im Weißen Haus verstärkt das.
Diese Ausstellung verbirgt keine Narben, Falten noch Widersprüche. Wir erleben einen Entwurf. Abwarten, was einander ähnlich wird. Dank an die, die es ermöglicht haben. Dank an den großartigen Künstler mit sehender Trompete und tönender Kamera. Dank an die Aktiven des MKM. Verehrter Herr Prof. Dr. Smerling, uns verbindet eine von Erfolg verwöhnte Tradition. Das verlangt nach mehr.
Dank an Evonik. Dank an die Landesregierung. Die macht durch die Ruhr-Konferenzen klar: Es gilt sieben verlorene Jahre aufzuholen. Das Ruhrgebiet wird sich selber helfen. Aber es braucht faire Unterstützung. Deshalb sind wir erwartungsvoll, Herrn Minister Dr. Holthoff-Pförtner zu hören.
Aus der Ausstellung werden wir klüger rauskommen als wir reingehen. Dafür vorauseilenden Dank. Wie schön, dass es uns alle gibt – und das auch noch gleichzeitig.