Medien, Propaganda und Politik – Eine Hassliebe – Universität Bonn, 8. Mai 2019
Medien, Propaganda und Politik
– eine Hassliebe –
Gastreferenten:
Ulrike Demmer
Anja Bröker
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
8. Mai 2019
Meine Damen und Herren,
wir haben zwei ungewöhnlich professionelle, erfolgreiche, kompetente, erfahrene, illustre Gäste. Sie werden unser Thema mit reflektierter praktischer Lebens- und großer Berufserfahrung anreichern. Sie werden sicher einen Kontrast zu den Beiträgen aus unserer letzten Sitzung bieten.
Zu meinem Zweck gehört es, ignorante Gewissheiten zu hinterfragen. Eventuell wurde aus Hinterfragung Verunsicherung. Jedes Ding hat zwei oder mehr Seiten. Das dürfen wir hier gern erleben.
Ulrike Demmer. Studium der Rechtswissenschaft. Anschließend Projektmanagement beim Radio Berlin Brandenburg. Besuch der Berliner Journalistenschule. Dann vielseitige Tätigkeit für das ZDF, Spiegel und Focus und das RedaktionsNetzwerk Deutschland. Sie hat eine Menge Ehrungen, Preise und Auszeichnungen erhalten. Seit drei Jahren ist sie stellvertretende Regierungssprecherin im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Im Spannungsfeld Presse und Politik ist sie sozusagen „mit allen Wassern gewaschen“. Herzlich willkommen!
Anja Bröker studierte Journalistik und Politikwissenschaft. Nach Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk arbeitete sie als Redakteurin und Reporterin für die Tagesschau der ARD. Dann Auslandskorrespondentin in Moskau, Heimspiel als Moderatorin des ARD Nachtmagazins und wieder Ausland: China, USA. Seit Jahren verantwortet sie als Chefin vom Dienst und Planungsredakteurin das ARD-Morgenmagazin. Sie wirkt mit im Team des WDR im Investigativ-Netzwerk mit der SZ und dem NDR. – Herzlich willkommen und großen Dank!
Medien im Umbruch. Journalismus in Abgrenzung zur Propaganda. Verhältnis Medien zur Politik. – Wir haben ein spannendes Thema, das wie nur wenig andere die Agenda bestimmt.
Am vergangenen Freitag war „Welttag der freien Presse“. Auf allen Kanälen konnte man erfahren, wie es darum steht. Unser Seminar versucht, Rollen und Begriffe zu klären. Das erscheint nötig in einer Phase, wo Kategorien wie Macht und Öffentlichkeit, Lüge und Wahrheit, Aufklärung und Vernebelung ihre klaren Konturen verlieren. Es erscheint umso nötiger vor dem Hintergrund enormer Herausforderungen der menschlichen Zivilisation.
Das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie schwindet. Bindekräfte der Gesellschaft lockern sich. Die Distanz zu Institutionen als Garanten gesellschaftlicher Ordnung nimmt zu. Die Demokratie lebt aber von der politischen Beteiligung vieler. Sie belebt sich durch bürgerschaftliches Engagement.
In modernen Staaten mit enger Vernetzung komplexer Vorgänge sind Medien die wichtigsten Mittler der sozialen Kommunikation. Sie bieten ein permanentes Forum, auf dem sich Einzelstimmen und Gruppen artikulieren können. Sie berichten über Ideen und Trends, die sich in der Gesellschaft abzeichnen. Sie steigern die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Sie spielen eine wichtige Rolle bei „check and balance“ der Macht. Ohne eine freie, kompetente und mutige Presse ist Demokratie nicht möglich.
Sie gewinnt zusätzliches Gewicht durch die Entwicklung der Gesellschaft von der Institutionen-Demokratie zur Bürgergesellschaft. Viele Gruppen widmen sich durchaus mit Kompetenz konkreten Problemen, die sie aus eigener Erfahrung kennen. Oftmals besser als die politischen Entscheidungsträger. Sie solidarisieren sich mit anderen, bündeln ihre Kräfte und lassen sich durch den „Alleinvertretungsanspruch“ von Kirchen, Gewerkschaften oder Parteien nicht mehr einschüchtern. Sie benutzen die Medien mit wachsender Selbstverständlichkeit als Sprachrohr ihrer Positionen. Oder sie lassen sie links oder rechts liegen, wenn das mediale Bild auf lange Sicht dem ihrigen von der erfahrenen oder eingebildeten Wirklichkeit nicht entspricht.
Die Parlamentarische Demokratie hat in Deutschland eine relativ breite Akzeptanz. Allerdings ist sie nicht mehr selbstverständlich. Das Misstrauen in Politik und Parteien ist gewachsen. Ideologische Interessen besetzen das Vakuum. Sie setzen auf Spaltung statt Versöhnen. Das Internet bietet ungeheure Möglichkeiten im Kampf um die Massen. Die seriöse Presse konkurriert wie noch nie mit privaten Bloggern, einer täglichen Flut von Meinungen und Behauptungen in den „sozialen“ Netzwerken, bis hin zu einem anarchischen Angebot ungeprüfter und zum Teil demagogischer Äußerungen. – Wir sprachen darüber, und es ist Ihnen längst geläufig.
Die Übergänge sind fließend. Differenzierung tut not. Ich will den KoReferaten und unserem Gespräch nicht vorgreifen. Ich will es nur „vorglühen“ mit ein paar holzschnittigen Thesen.
Was unterscheidet den idealtypischen Journalisten vom Propagandisten? Den Journalisten treibt ein unstillbarer Hunger nach Realität. Sie interessiert ihn in all ihren Facetten. Er untersucht die Licht- und Schattenseiten. Er weiß, dass der erste Blick fast immer täuscht. Vieles ist nur Kulisse, soll ablenken, kaschieren, verzerren. Also bohrt er tiefer. Er fragt, fragt nach, hinterfragt. Auf die Gefahr, dass die Recherche sein eigenes Bild zerlegt oder relativiert. Aber er hat die Wahrheit immer mehr geliebt als das System seiner Gewohnheiten, Kenntnisse und Meinungen.
Wen wundert’s, dass ihn all diejenigen nicht leiden können, die andere Ziele verfolgen oder Unrat unterm Teppich haben? Wen wundert’s, dass die erste Maßnahme aller Autokraten die Gleichschaltung der Presse ist? Wen wundert’s, dass Journalisten in weiten Teilen der Welt zu „Feinden des Volkes“ erklärt, unterdrückt und verfolgt werden?
Idealtypisch ist der Propagandist das genaue Gegenteil des seriösen Journalisten. Ziel und Absicht seiner Tätigkeit ist nicht die Ermittlung von Sachverhalten. Sein Gegenüber ist nicht Subjekt, sondern Objekt. Er will es zu einer Haltung und zu Handlungen bewegen, die nicht seinen Interessen entsprechen. Im Vordergrund stehen die Absichten des Propagandisten und seiner Auftraggeber. Also betont er alles, was dieses Ziel fördert und blendet aus, was es beschädigt. Er hofft auf ängstliche und verunsicherte Leute. Sie gehen ihm leichter auf den Leim.
Die Realität ist ihm der ewige Störfall. Selbst, wenn sie ihm gelegentlich zuarbeitet, dient er nicht ihr, sondern sie ihm. Ihn stören nicht nur die Sachen, sondern auch die Argumente. Diese beanspruchen ja Offenheit. Sie wollen verstanden, mindestens gehört werden. Sie sind das Wesenselement eines jeden Diskurses. Wenn sie nicht als Schablone und Worthülse vorgetragen werden – und dann ja auch nur Propaganda wären – dann sind sie Ausdruck einer Persönlichkeit, eines Subjekts.
Das journalistische Handwerk ist oft spröde und schwierig. Es rackert sich ab mit komplexen Zusammenhängen und bietet keine simplen Erklärungen. Es entscheidet sich nicht für eine bestimmte Politik oder Zeitgeist. Der Journalist dient seinen Lesern oder Zuschauern. Er will sie ständig besser verstehen.
Der Propagandist tummelt sich in den Meinungsfabriken der PR-Agenturen, der „Influencer“ und Selfmade-Youtuber“. Er läuft dem Zeitgeist hinterher. Er will nicht verstehen, sondern Klickzahlen sammeln. Der Feinfühlige umwirbt seine Kundschaft. Er flirtet und lockt sie an den süßen Fliegenfänger. Der Grobian manipuliert und agitiert.
Soweit mein Schwarz-Weiß-Gemälde. Jetzt hoffe ich auf Grautöne und Farbverläufe. – Wie sieht der Alltag aus, zum Beispiel einer Pressesprecherin der Bundesregierung?
Wie sieht der Alltag einer Journalistin aus, die um Wahrheit ringt und nur diese präsentieren möchte?