Medien, Propaganda und Politik – Eine Hassliebe – Universität Bonn, 17. April 2019


Medien, Propaganda und Politik

– eine Hassliebe –

Gastreferenten:
Dr. Lutz Hachmeister
Prof. Dr. Klaus Kocks

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

17. April 2019

Meine Damen und Herren,

willkommen zum zweiten Teil unseres Seminars, das die kritische Wahrnehmung zum Thema Medien beleben soll.

Unser Thema: „Medien – Propaganda und Politik“ hat einen hohen Erregungskoeffizienten. Das haben Sie in der fröhlich freimütigen, aber auch kontroversen und keineswegs abgeschlossenen Debatte im Seminar mit dem BILD-Chefredakteur Julian Reichelt erlebt und erleben lassen. Das kann jeder, der eine Zeitung aufschlägt oder sich selbst an aktuellen Debatten beteiligt, nachvollziehen. Zwischen Pegida-Aufmärschen, Trump-Ge-Twitter, Gelbwesten und Brexit ist es nicht leicht, einen kühlen Kopf zu behalten. Umso wichtiger sind ein paar grundsätzliche Beobachtungen und Erklärungsmuster.

Dafür erleben Sie heute zwei großartige Gäste:
Herrn Privat-Dozenten Dr. habil. Lutz Hachmeister und Herrn Professor Dr. phil. Klaus Kocks.

Weder als Praktiker noch als wissenschaftlich Reflektierende können wir kompetenteren Gästen zuhören und anschließend mit ihnen diskutieren. Beide sind Meister ihres Faches. Sie füllen mit ihren Daten, Taten, Werken, Ehrungen und Ideen ihre Wikipedia-Einträge eindrucksvoll.

Bitte lesen sie selber nach – wenn Sie es noch nicht schon längst getan haben. Wenn ich diese Persönlichkeiten vorzustellen hätte, liefe Ihnen die Zeit davon. Beide publizieren fleißig und sind als Hochschullehrer tätig. Der eine hat dann und wann im Sinne seiner Profession Wahrheit auszugestalten, auszumalen und nützlich zu interpretieren. Der andere will sie so treffend wie möglich dokumentieren.

Beide werden meine Einführung unzulässig verkürzt finden. Wie es sei: Es gibt keine bessere Anknüpfung an unser letztes Seminar:

  • Können/ wollen uns Medien ein realistisches Bild unsere Welt zeichnen?
  • Wie nähert man sich dem, was wir als wahr annehmen können, an?

Diese Diskussion echot noch nach. Sie bohrte am Nerv unseres Themas.

Ich beginne mit einer Anekdote. – Der Philosoph und Physiker René Descartes hatte sich 1619 in einem Gasthof bei Ulm einquartiert, um hier den Winter zu verbringen. In der Nacht des 10. November hatte er einen Traum. Der war so realistisch, dass er sich nach dem Aufwachen fragte, ob er nun vielleicht träume. Alles war plötzlich zweifelhaft und möglicherweise Illusion. – Aber da kam ihm ein rettender Gedanke: Wenn nichts mehr sicher ist – so Descartes -, dann bleibt doch eine Gewissheit bestehen: Die Tatsache nämlich, dass ich zweifle und denke. Also schrieb er seinen berühmten Satz: „Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.“

Etwa gleichzeitig begründete auch Galilei die moderne Wissenschaft. Die Geistesgeschichte Europas bekam eine völlig neue Strömungsrichtung. Zur Wahrheitsfindung berief man sich nun nicht mehr auf Bibelstellen, Kirchenväter oder alchimistische Spekulationen. Man sammelte nun – per Instrument, Experiment und logischem Schluss – überprüfbare Erkenntnisse. Diese erlaubten eine immer genauere Sicht auf die Welt. Technische Großtaten wurden möglich, die vorher undenkbar schienen.

Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse änderten sich. Mit der Aufklärung geriet praktisch alles Bisherige in Frage, und deshalb fand man neue Antworten. Das neue Denken entsakralisierte die Macht. Bürgerliche Freiheiten setzten sich vielerorts durch, natürlich immer gegen den Widerstand der Mächtigen. Der Begriff der Menschenrechte fand Eingang in moderne Verfassungen. Diese beschrieben den demokratischen Staat mit freiheitlicher Grundordnung und offener Gesellschaft. Sie organisierten ihn als einen vernünftigen Vertrag der Bürgerinnen und Bürger, von dem alle profitieren sollten.

Seit der Aufklärung basierte die Kultur Europas also auf zwei Prinzipien: Die Suche nach einem objektiven Bild von der Welt und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Konzept weckte und befreite enorme Kräfte und Energien.

Aber – wie wir wissen und immer wieder leidvoll erfahren: Keine dieser Errungenschaften ist ein für alle Mal gesichert. Sie sind und bleiben ein dynamischer Prozess, eine fortdauernde Aufgabe und Herausforderung. Das hat starke Voraussetzungen. Ich nenne nur einige. Sie werden weitere finden:

  • Die Komplexität der modernen Welt überfordert viele Menschen. Wenn es zu schnell geht, stemmen sie die Hacken in den Sand.
  • Ignoranz und Vergesslichkeit verdunkeln immer wieder, was man eigentlich schon wissen könnte.
  • Persönliche Leidenschaften verzerren den Blick auf die Realität.
  • Partikulare Interessen beschädigen das allgemeine Wohl.
  • Autokratische Naturen drängen an die Macht.
  • Die manipulative Umdeutung der Begriffe vernebelt die Sachverhalte und erschwert die Kommunikation.
  • Ein wohnliches Vorurteil erspart einem die Mühe und Unruhe des kritischen Denkens.
  • Mit dem Internet entstand ein Werkzeug, das jeder Dummheit eine Weltbühne verschafft.

Schon 1562 schrieb ein humanistischer Denker: „Die Nachwelt wird es nicht fassen können, dass wir abermals in solch dichten Finsternissen leben mussten, nachdem es schon einmal Licht geworden war.“

Wie objektiv ist also die Objektivität? Was stört unsere Wahrnehmung der Wahrheit? Was erschwert die Verständigung im öffentlichen Diskurs? Warum haben es auch beweiszugängliche Tatsachen oft so schwer, sich gegen Propaganda und Lügen zu behaupten?

Hier hilft vielleicht ein kleiner Exkurs in die Verhaltens- und Kommunikationsforschung. In gebotener aber fast sträflicher Kürze: Die menschliche Urteilsfähigkeit entwickelt sich nicht gleitend, sondern stufenförmig. Empiriker, wie der Amerikaner Lawrence Kohlberg, unterscheiden – grob gesagt – drei Stufen:

Das Kleinkind befindet sich auf der „präkonventionellen“ Stufe. Es ist noch nicht fähig, den Sinn von Regeln kognitiv zu erfassen und einzusehen. Es orientiert sein Verhalten ausschließlich an den Reaktionen der Umwelt, zum Beispiel an Stimme und Gesichtsausdruck von Mutter und Vater, an Belohnung und Strafe. – Nicht wenige Menschen bleiben ihr Leben lang in der Nähe dieser Stufe.

Bei normaler Entwicklung erreicht das Kind im fünften bis siebten Lebensjahr die so genannte „konventionelle Stufe“. Jetzt lernt und respektiert es Regeln, begreift vernünftige Erklärungen und bewegt sich in einem gerechten Ordnungssystem. Es verschafft ihnen ein Gefühl der Sicherheit, weshalb sie sich eng – manchmal blind – daran klammern. Es ist die Moral der Karl-May-Romane, und etliche Menschen verharren angeblich auf dieser Stufe.

Vergleichsweise Wenige erreichen nach dieser (nicht unumstrittenen Theorie) die dritte, die „postkonventionelle“ Stufe. Sie sind fähig, zwischen Legalität und Legitimität zu unterscheiden. Sie stellen zum Beispiel Menschen über Sachen oder das allgemeine Wohl über die partikularen Interessen der Familie, des Stamms, der Nation. Sie sind unbequem, riskieren Regelverstöße und nehmen Sanktionen in Kauf. Aber sie erkennen ein Dilemma, das mit der gegebenen Rechtsnorm nicht lösbar ist. Ihnen verdanken wir die Fortentwicklung des Rechts. Ihr Grundsatz ist Kants „Kategorischer Imperativ“.

Es liegt auf der Hand, dass Menschen verschiedener Entwicklungsstufen eine unterschiedliche Wahrnehmung von Wirklichkeit haben und sich darüber kaum verständigen können. Ein treffliches Beispiel bietet gerade die Debatte um die Kinderbewegung „Friday for Future“. Sie schwänzen freitags die Schule, weil sie das Weltklima und ihre Zukunft auf diesem Planeten retten wollen. „Schule schwänzen? – Das geht gar nicht!“, sagen die Bewohner der konventionellen Stufe, und das kann auch ein Minister sein.

Eine weitere Erkenntnis verdanken wir der Kommunikationsforschung. Sie versichert uns, dass die zwischenmenschliche Verständigung über Sachverhalte neben den bekannten Regeln der Syntax und Semantik immer auch eine pragmatische Komponente hat. Wie ich eine – scheinbar objektive – Mitteilung aufnehme und ob ich danach handle, hängt entscheidend von der Beziehung zwischen Kommunikator und Kommunikant ab. Ist sie positiv und vertrauensvoll gestimmt, steigt die subjektive Glaubwürdigkeit der Botschaft. Ist sie konflikthaft gestört, zum Beispiel im parteipolitischen Lagerkampf, dann bleibt die Verständigung aus. Der gute Wille spielt dabei keine Rolle.

Dieser Mechanismus erklärt, warum einsehbar wichtige und richtige Entscheidungen (zum Beispiel die Westanbindung der Bundesrepublik oder die Ostpolitik der 1970er Jahre) durch einen jahrelangen Parteienstreit verzögert wurden. Er erklärt auch, wie schwer es objektive Information gegen Ideologie und Propaganda hat.

Wer solche Aspekte ignoriert, wird im öffentlichen Diskurs immer fremdeln oder auf seine Intuition angewiesen sein. Natürlich sollte man auch fähig sein, Zwei und Zwei zusammenzuzählen und aus historischen Erfahrungen nützliche Schlüsse zu ziehen. Es schadet auch nicht, Erkenntnisse der Hermeneutik anzuwenden. Sie lehrt uns den weiten Weg vom Wissen zum Verstehen.

Ich breche hier ab. Nach verallgemeinernder Theorie leckert es uns sicher, die alltagspraktische Erfahrung und wissenschaftlichen Einordnungen unserer äußerst kompetenten Gäste zu hören. Und mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.

 

P.S.: Im Nachgang zu unserer Debatte vom letzten Mal will ich, wie zugesagt, ein paar Grundsätze nachreichen, die ich in früheren Seminaren mal so oder ähnlich vertreten habe:

In einer Rede am 24.9.2015 in München „Wächter oder Schlächter?“ Wohin treibt der politische Journalismus?“ (diese Rede, wie auch viele andere, steht Ihnen im Netz zur Verfügung) habe ich formuliert:

Auf die Gefahr, dass Sie mich für einen Träumer halten, schließe ich mit „Zehn Geboten“ für einen verantwortlichen Journalismus:

  1. Verbrauche nicht mehr Glück als Du selbst erzeugst!
  2. Mache keinen Menschen zum Objekt materieller Interessen!
  3. „Glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Glaube keinem, der sie gefunden hat.“ (Tucholsky)
  4. Schütze die Menschen- und Freiheitsrechte, wo immer sie bedroht sind!
  5. „Der, auf den alle einschlagen, er habe bei Dir Frieden.“ (Lessing)
  6. Jedes Ding hat zwei Seiten, meistens noch eine dritte!
  7. Das Gegenteil der Wahrheit ist auch nicht ganz falsch!
  8. Wenn Dir Vergleiche trefflich erscheinen, / sie hinken vielleicht auf beiden Beinen.
  9. Die menschliche Klugheit ist eine Falle. Die Wahrheit geht nicht hinein.
  10. „Liebe! – und dann tu, was Du willst!“ (Augustinus)

Gastreferenten:

PD Dr. Lutz Hachmeister

Lutz Hachmeister, geboren 1959 in Minden, ist Gründungsdirektor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Promotion 1986 an der Universität Münster mit einer Arbeit zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland, Habilitation 1999 an der Universität Dortmund mit einer Studie zur „Gegnerforschung“ der SS. Er war unter anderem Medienredakteur des „Tagesspiegel“ in Berlin, Direktor des Grimme-Instituts und Leiter des internationalen Film- und Fernsehfestivals Köln (Cologne Conference). Lutz Hachmeister zählt zu den bekanntesten deutschen Dokumentarfilmern (u. a. „Schleyer“, „Das Goebbels-Experiment“) und ist Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Sachbücher (u.a. „Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik“).

Prof. Dr. Klaus Kocks Ass.

Klaus Kocks ist Unternehmensberater und Publizist. Er war mehr als zwei Jahrzehnte für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Konzerne in der Energiewirtschaft und der Automobilindustrie verantwortlich, zuletzt als Volkswagen-Vorstand. Kocks vertritt als Geschäftsführender Gesellschafter die CATO Sozietät für Kommunikationsberatung GmbH und die VOX POPULI Meinungsforschungsinstitut GmbH. Kommunikationsmanagement lehrt er an der Hochschule Osnabrück. Er schreibt als Publizist Kolumnen und engagiert sich in der Wissenschaftspolitik und Kulturförderung.