„Update dringend notwendig?! Deutschland und die Digitalisierung“ – BAPP, 4. Februar 2019

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

4. Februar 2019

Verehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle herzlich und in unserer Mitte Herrn Christian Lindner, den Wiedererwecker und Vorsitzenden der FDP und deren Fraktion im Bundestag. Erfolgreiches Wirtschaften ermöglichen statt – wie er formuliert – „grüner Umerziehung“ ist heute ein wichtiger aber satterweise kein mainstreamiger Standpunkt.

Er trifft auf Frank Thelen, Investor und Start-Up-Experte. Der kann sich für den digitalen (und epochalen) Kulturwandel eine libidinösere Förderung von Innovationen und Bürokratieabbau in Deutschland vorstellen.

Die Moderation, und sicher nicht nur das, übernimmt der Journalist und Autor Gabor Steingart. Er ist hoch respektiertes Mitglied unseres Kuratoriums. Sie erinnern sich an sein rasantes Buch „Das Ende der Normalität“?

Herzlichen Dank – im Namen aller hier – an unsere großartigen Gäste.

Trotz mangelnder thematischer Kompetenz habe ich das Privileg, ein paar Gedanken abzuwerfen. Nach vorheriger Gewissenserforschung muss ich ein Geständnis machen. Ich bin (noch?) ein analoger Mensch. Ich sammle Füllfederhalter. Ich schreibe gerne Briefe damit – meine Textentwürfe sowieso.

Meine Sympathie gehört weniger dem kühlen Ballett präziser Greifarme in Fabrikhallen. Im guten Handwerk sehe ich Kunst – Alltagskunst. Sympathie gilt den Leuten, wie sie halt sind: vergesslich, umständlich, begriffsstutzig, interessant.

Ich misstraue trennscharfer Unterscheidung zwischen Null und Eins. Ich glaube an fließende Übergänge. Unter den Mathematikern mag ich den, der auf die Frage „Wieviel ist 2 mal 4?“ antwortet: „Es ist ungefähr Acht Komma Null.“

Bevor die, die ähnlich ticken, nun mit mir in Sack und Asche gehen, richten wir uns stolz und trotzig auf. Wir sind viele.

Alles Lebendige ist analog: auch das Wetter, auch die Jahreszeiten, auch der Planet, auf dem wir reisen und auch das Universum vom Urknall bis heute. Über Zahnschmerzen, Kinderlachen, von Liebe und Tod erst gar nicht zu reden.

Schauen Sie auf Ihr Armgelenk. Als digitale Uhren-Anzeigen aufkamen, begeisterte viele die präzise Zahl des Zeitpunktes. Das Ziffernblatt mit wandernden Zeigern ist zurück. Selbst wenn dahinter ein Quarz tickt. Das zeigt uns nicht nur den Zeitpunkt. Es zeigt auch den Zeitraum. In dem bewegen wir uns. Eine Sanduhr wäre weniger präzise. Aber sie ließe uns erleben und meditieren, wie die Zeit verrinnt.

Ich nehme an, Sie kennen Dr. Hajo Schumacher. Er hat u.a. Bestseller über das Joggen geschrieben. Mit und für eine Generation entdeckte er, wie man sich fühlt, wenn man den Lauf beginnt. Er schrieb auf, was man unterwegs an sich selbst erleben kann. Diesen Mann hat die Brost-Stiftung unter Vertrag genommen. Er wird durch Blogs, Artikel und Buch nun den Heutigen helfen, die digitale Welt von morgen zu entdecken. Ich freue mich auf dieses Projekt. Auch aus Eigeninteresse.

Wir erleben sehr deutlich: Bits und Bytes haben längst begonnen, die Weltherrschaft anzutreten. Sie verändern die Welt – ob wir mitkommen (mitlaufen) oder nicht. Wie jede Technik ist auch die digitale ein ambivalentes Instrument. Sie kann und wird überaus hilfreich sein. Wichtig in der Produktion, im Verkehr, im Gesundheitswesen, in der Kommunikation. Sie kann auch Fürchterliches anrichten. Starke Kräfte sind dabei, Privatheit zu beseitigen. Sie wollen Kaufentscheidungen und Wahlen manipulieren. Wenn wir nicht höllisch aufpassen, entmündigen sie uns zum Terminal pekuniärer, ideologischer und Machtinteressen. Mit relativ wenig Aufwand sind sie in der Lage, demokratisch- freiheitliche Systeme auszuhebeln. Diktatoren und Schnüffler reiben sich begeistert die Hände. Liberale bringt das sicher um den Schlaf.

Wir neigen hier nicht zu apokalyptischen Räuschen. Aber die Dinge entwickeln sich rasant. Fast im Wochentakt müssen die Leute Anpassungsleistungen erbringen, für die sie früher Jahre und Jahrzehnte hatten. Wenn man ihnen dabei nicht hilft, beschreibend und erklärend, geduldig und redundant, mit klarer Abwehr parasitärer Nutznießer, mit gerechter Teilhabe am Nutzen, und mit kreativ digitaler Simulierung ihrer analogen Gewohnheiten, dann werden sie irgendwann um sich schlagen. Dazu braucht es keine prophetische Gabe.

Jede bahnbrechende Erfindung hat zu Anfang eine anarchische Phase. Auf Teufel komm raus wird ausprobiert und realisiert, was und weil es möglich ist. Später taucht die Frage auf, ob man das wirklich braucht und will. Noch später beginnt die Risikoabschätzung. Danach traut sich der Gesetzgeber, den technischen Tobsuchtsanfall in verträgliche Bahnen zu lenken.

Es gibt unterhaltsame historische Beispiele. Der Buchdruck galt am Anfang als wunderbare Keule. Mit der könnte man per Flugblatt auf seine Gegner eindreschen. Protestanten und Papisten fielen mit Shitstorm, Häme und Hass-Speach übereinander her. Man musste der Gegenseite ja einbläuen, wie das christliche Liebesgebot eigentlich gemeint war.

Es waren auch die Geburtswehen einer neuen Zeit. Die waren mindestens so umwälzend wie heute. Darf man das den Parteien überlassen? Da wird es mir fast „wilhelminisch“.

Vor einer so umfassenden Umstrukturierung und Neudeutung der Welt erkenne ich keine Parteien mehr – nur noch Menschen. Was ihnen nicht dient, dient zu gar nichts. Sie werden vom technischen Fortschritt in Züge gestopft. Deren Ziel verrät ihnen niemand, weil es die Lokführer selbst noch nicht kennen.

Aber die Bürger haben ein Recht darauf, den kleinen Zeitspalt ihres Lebens in Würde zu verbringen. Auch mit einem Quantum Glück.

Vielleicht sorgt die digitale Revolution ja auch dafür, dass die Deutsche Bahn uns nicht dauernd mehr Reisezeit schenkt als uns laut Ticket zusteht.

Bis zum Wochenende war ich in Wien. Die haben ihr Kabinett deutlich verjüngt. Das haben wir noch vor uns. Digitales ist für deren Medienminister und Kanzler kein abstraktes Thema. Eine Wählscheibe am Telefon haben die nie gedreht. Nicht überraschend, dass sie Vorreiter sind auf der Suche nach einem intelligenten Konzept für eine Digitalsteuer. Internationale Online-Großplayer verzehren mittlerweile 62 Prozent des österreichischen Werbekuchens.

Schon heute könnte dort kein Medienhaus ohne Presseförderung überleben. Die internationalen Spieler weichen der üblichen Steuerbelastung aus. Man versucht nun,
Chancengerechtigkeit herzustellen.

Eines ist klar: Wir müssen reden. Wir müssen uns kundig machen. Manche von uns müssen nachsitzen (ich auch!)

Goethe gab uns weiter: „Vor dem ganz Großen kann man sich nur retten, indem man es liebt.“ Ich sage lieber: „… indem man es kennt“. So hätten wir eine Chance, alles zu prüfen und das Gute zu behalten.

Update ist notwendig. Update nicht nur der Maschinen, Verfahren und Netze. Update auch – frei nach Kant – der Fähigkeit, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Unsere
wunderbaren Gäste (und auch Hajo Schumacher) sind dazu entschlossen und laden dazu ein. Es ist nie zu spät.

Nicht nur Goethe oder Kant hatten dazu eine Meinung. Auch Konfuzius. Der sagte: „Der beste Moment, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Der zweitbeste ist heute.“

Ich übergebe das Wort an die Diskutanten. Lieber Herr Lindner, lieber Herr Thelen, lieber Herr Steingart, ich bin sicher Sie lassen uns klüger gehen als wir gekommen sind!

Dafür vorauseilenden Dank.