Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“? – Medien in der Diskussion, 9. Januar 2019

Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“?

Medien in der Diskussion

Gastreferenten:
Martin Bommersheim
Dirk Koch
Wilfried Pastors

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

9. Januar 2019

Sehr verehrte Damen und Herren,

wir haben wieder großartige, erfahrene, illustre und äußerst kompetente Gäste. Die werden Ihnen helfen, die Medienwelt aus den verschiedensten Richtungen zu verstehen und zu beurteilen. Heute aus der Sicht von exponierten Journalisten zweier bedeutender, wenn auch gegensätzlicher Medien, und aus der Sicht eines früheren Journalisten, der dann eine leitende Position in einer Medienagentur einnahm (Hering Schuppener) und nun Leiter der Abteilung Media Relations und Pressesprecher von Hochtief in Essen ist. Ich stelle sie in alphabetischer Reihenfolge kurz vor:

Herr Martin Bommersheim weiß alles über Public Relation im Spannungsfeld mit journalistischer Presse. Er war in verschiedenen Rollen selber tätig, und Sie werden ihn sicher zu der These von Prof. Dr. Kocks fragen, dass die Propaganda dabei ist, den Sieg über den Journalismus zu erringen.

Herr Dirk Koch war lange Jahre Chef der Hauptstadtredaktion des SPIEGEL hier in Bonn und damit einer der einflussreichsten Journalisten der Republik. Später war er Chef der Hauptstadtredaktion des SPIEGEL in Brüssel. Er steht für investigativen Journalismus und erlebte spannende Phasen unserer Republik aus nächster Nähe der Entscheidungsträger. Der letzte Titel seines Buches ist besonders provokant: „Der ambulante Schlachthof“. (Die Besprechung des Buches durch mich liegt an.)

Herr Wilfried Pastors hat nun Sonderaufgaben bei der Bildzeitung und war lange Jahre Mitglied der Chefredaktion und zuständig für die Berichterstattung aus Nordrhein-Westfalen. Trotz Auflagenverlusten ist die BILD bis heute das auflagenstärkste Printmedium der Republik, und wie erst am Montag dieser Woche wieder bekannt wurde, das meist zitierte Medium. Diese Art der Sekundärkommunikation zeigt durchaus die Relevanz, die wir dieser Zeitung zuschreiben müssen.

Natürlich kann und will ich dem Gespräch nicht zuvorkommen und nur ein paar Thesen und Beobachtungen in den Ring werfen.

Sie haben schon verschiedene Texte von mir, auch den von der Vorlesung in der Universität Potsdam Ende des letzten Jahres. In dem habe ich unter anderem auch meine Sicht auf die Bildzeitung formuliert in einer Art und Weise, wie es angesichts meiner Biografie nicht selbstverständlich ist. Dies hat auch Anlass für eine Kontroverse geliefert. Mein Entsetzen über das, was kürzlich dem und im SPIEGEL passiert ist, brauche ich nicht zu formulieren. Dieses Menetekel (als unheilverkündende Mahnung und ernsten Mahnruf) hat uns in der aufgeheizten Debatte über die Glaubwürdigkeit der Medien gerade noch gefehlt.

„Vierte Gewalt oder Lügenpresse?“ – Ist die „Krise des Journalismus“ eine zutreffende Diagnose oder – wie z. B. Wolfgang Schäuble meint – ein Hirngespinst?

Ein Blick in die Geschichte der Medien zeigt: Jede technische Neuerung bescherte den bislang verwendeten Medien eine vernichtende Prognose. Telefon, Radio und Fernsehen galten als Totengräber. Heute ist es das Internet, das den traditionellen Medien den Garaus machen soll. Die Propheten haben sich bisher immer geirrt. Sie erlagen einer Wahrnehmungsschwäche. Sie verwechselten technische Tatsachen mit kulturellen Prägungen, Werten und Bedürfnissen.

Natürlich gibt es Irritationen und suboptimales, sprich: unprofessionelles Arbeiten. Immer gab es auch die „Schmuddelkinder“ der Branche mit ihrer Lust an der Skandalisierung und an der Kolportage ungeprüfter Meldungen. Und nicht wenige klebten am süßen Fliegenfänger einflussreicher Interessengruppen und Parteien. Da die Presse selbst eine Macht darstellt mit ihrer Möglichkeit, das Welt- und Menschenbild zu formen, ist die Versuchung groß, nicht nur neutral zu berichten, sondern selber auf die Ereignisse einzuwirken, Partei zu ergreifen und letztlich Propaganda zu betreiben. Manche betrachten sich als Schamanen des Informationszeitalters. Und oft ist der schlimmere Fehler nicht, was berichtet, sondern was verschwiegen und vielleicht bewusst ausgeblendet wird.

Ein „blinder Fleck“ aus political correctnes, ein „toter Winkel“, in dem ganze Bevölkerungsgruppen verschwinden, oder ein Scheckbuch-Journalismus, der Fünfe gerade sein lässt, wenn nur die Kasse stimmt, können das Vertrauen der Bürger schwer beschädigen. Der große Reinfall des „Stern“ mit den als echt verkauften Hitler-Tagebüchern brachte nicht nur diese Illustrierte an den Rand der Pleite. Er schädigte das Ansehen der ganzen Branche. (Ein Skandal in der katholischen Kirche führt auch zu vermehrtem Austritt aus der evangelischen.)

Die Bürger sind also nicht etwa die einzig Neutralen mit emotionsfreier Intelligenz. Auch sie sind interessengeleitet und milieugeprägt und neigen zur Pauschalierung; Stichwort „Lügenpresse“. Merkwürdigerweise skandieren das diejenigen besonders laut, die sich blind und bedingungslos den Lügen ihrer Taktgeber unterwerfen.

All das ändert jedoch nichts an der Tatsache, im Gegenteil: Es macht umso deutlicher, dass die offene und demokratische Gesellschaft auf seriösen Journalismus angewiesen ist. Nur er garantiert über Information und Meinungsbildung die vernünftige Autonomie der Bürger. Schlechter Journalismus stößt irgendwann an eine Grenze. Aus enthemmter Skandalisierung oder schlampiger Recherche wird schnell ein Presse-Skandal. Man stolpert über die eigenen Füße. Zweifellos ist die ökonomische Basis journalistischer Arbeit unsicherer geworden. Der Anzeigenmarkt schrumpft. Die Druckauflage sinkt. Es ist jedoch nicht einmal in den USA zu einem Massensterben von Zeitungen gekommen. Das Metier erlebt eine Transformation, keinen Zusammenbruch. Behaupten wird sich, wer nicht technologiegläubig, sondern qualitätsbewusst agiert. Entscheidend ist nicht die Ökonomie, sondern die Sorge der Menschen vor dem Verlust ihrer Autonomie. Diese Sorge ist ein gutes Geschäftsmodell für verantwortliche Pressearbeit.

Es gibt lautstarke Klagen über angeblichen Qualitätsverlust. Das ist eine kultur-pessimistische Konstante. Empirisch belegbar ist es im Einzelfall, aber nicht im Regelfall. In kapitalistischen Gesellschaften gibt es immer den Verdacht, die materielle Wertschöpfung untergrabe die immaterielle und umgekehrt. Zweifellos wächst die Polarisierung der Gesellschaft, und damit die Menge derer von links oder rechts, die genau wissen, wie die Welt aussieht und wie sie zu sein hätte. Neutrale Sachlichkeit bekommt Prügel von beiden Lagern.

Und nicht zu vergessen: Das Kontroverse, Strittige, bisweilen Penetrante gehört zur Charakteristik des Berufes. Journalisten müssen hart und hartnäckig mit Institutionen und deren Vertretern umgehen. Das macht sie naturgemäß zu eher unliebsamen Zeitgenossen, besonders, wenn ihre Erkenntnisse und Kommentare der eigenen Meinung widersprechen.

Bei Umfragen landen Journalisten regelmäßig weit unten auf der Beliebtheitsskala. Zugleich ist aber das Vertrauen, insbesondere in das gedruckte Wort, nach wie vor hoch. Eine empirische Studie der Universität Leipzig wies nach: Die Menschen unterscheiden unbewusst zwischen „den Journalisten“, die generell unglaubwürdig seien, und „dem Journalisten“ im Medium ihres Vertrauens. – Es kann gar nicht anders sein, denn würden sie ihm plötzlich kategorisch misstrauen, würden sie das Medium wechseln.

Blindes Vertrauen wäre auch die falsche Haltung. Unruhiges, kritisches Vertrauen ist besser. Es bewahrt den Nutzer davor, sich in einer Meinungsblase zu verfangen, wo er immer nur sich selbst begegnet.

Aber kämpfen wir eigentlich auf dem richtigen Kriegsschauplatz? Ist nicht vielleicht die bürgerliche Autonomie und die realitätskonforme Wahrnehmung der Welt durch ganz andere Gefahren bedroht als durch Fehlverhalten Einzelner.

Mit dem Internet ist ein ambivalentes Instrument entstanden, das quasi grenzenlose Information und Kommunikation ermöglicht. Es kann aber auch – in den falschen Händen – die liberale Demokratie systemisch attackieren.

Wie Sie wissen, vermehren sich populistische Bewegungen und Parteien, deren erklärtes Ziel es ist, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Methodisch setzen sie auf kalkulierte Provokation. Damit erzeugen sie eine starke und oft überzogene Reaktion in der Öffentlichkeit, die sie dann mit ritualisierten Dementis besänftigen. Eine auf Krawall focusierte oder ahnungslose Presse ist dabei willige Vollstreckerin. YouTube und soziale Netzwerke sorgen für explosive Verbreitung und Dauerpräsenz von Botschaften, deren Vokabular vor allem ängstigende, neuronale Wirkungen erzeugt. Wer sich im Diskurs darauf einlässt, verstärkt nur die Wirkung. Auch wenn er dagegenhält.

Diese Methode wird ständig optimiert. Fake und Lüge gelten nicht mehr als „Sünde“, deren man sich schämen müsste. Sie werden von signifikanten Mehrheiten als Mittel der politischen Debatte akzeptiert. In den USA wurde so die Trump-Campagne gesteuert. Die Firma Cambridge Analytica kaufte Millionen Datenprofile von Facebook, Twitter und Instagram. Vor allem die unentschiedenen Wähler konnte man passgenau mit Botschaften befeuern, die Ängste schürten und Trump als einzigen Retter erscheinen ließen. Ob Faktum oder Fake war völlig gleichgültig. Entscheidend war nur das manipulative Ziel. Auf diesem Weg kam Donald Trump ins Weiße Haus und wurde der Brexit durchgesetzt. Gegenwärtig ist Steve Bannon unterwegs, die kommende Europawahl im Sinne der Europagegner zu beeinflussen. – Es klingt wie Verschwörungstheorie, ist jedoch nachgewiesene Tatsache.

Schon vor 100 Jahren formulierte der Sozialpsychologe William Thomas ein wichtiges Theorem: „Wenn Menschen Situationen für real halten, dann sind diese in ihren Folgen real.“ – Menschen glauben den offensichtlichsten Lügen,

  • wenn sie ihr Weltbild zu bestätigen scheinen,
  • wenn sie überzeugt sind, damit zur Mehrheit zu gehören,
  • und wenn es gelingt, störende Begriffe umzudeuten.

Das Internet ist dafür das ideale Instrument. Es sichert den Zugang zu allen Smartphones dieser Erde, praktisch rund um die Uhr.

Philosophen wie Hannah Arendt oder Jürgen Habermas sahen die umfassende, ungefilterte Vermittlung von Fakten als die wahrhaft demokratische Form der Kommunikation. Man möchte ihnen zustimmen, aber Fakten sind nicht „an sich“ transparent und überzeugend. Sie bedürfen der Deutung. – Hier lauern die Gefahren, aber auch die Chancen. Jene zu entlarven und diese zu nutzen, ist und bleibt die Aufgabe, und sie wird mehr und mehr zur Herausforderung.

Ich komme zum Schluss.

Das Thema unseres Seminars stellte die Frage nach Macht und Kontrolle. Wir haben sie von vielen Seiten (historisch, phänomenologisch, politisch), aber bei weitem nicht erschöpfend beleuchtet. Und täglich tauchen neue Aspekte auf. Ganz sicher ist es eine der zentralen Probleme dieses Jahrhunderts.

Im Februar 2012 verbreitete sich im Internet das Gerücht, Apple-Chef Steve Jobs sei ernstlich erkrankt. Innerhalb der nächsten 4 Minuten wurden 10 Milliarden Dollar vom Apple-Börsenkurs vernichtet. – Deutlicher kann man nicht machen, dass die klassischen Medien und politischen Instrumente neu definiert werden müssen. Alte Traditionen, Standards und Autoritäten scheinen zu zerfallen. Wenn sie nicht ein Vakuum hinterlassen sollen, in das dann apokalyptische Reiter einmarschieren, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Ich und vor allem Sie! – Wie sagte schon Brecht: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Verehrte Experten, wir sind gespannt. Sie haben das Wort.