„Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“?“ mit Ulrike Demmer und Prof. Dr. Klaus Kocks – Uni Bonn , 5. November 2018

„Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“?“

Einführung von Prof. Bodo Hombach

Gäste:

  • Ulrike Demme, stellv. Regierungssprecherin, ehemalige Leiterin des Hauptstadtbüros des RedaktionsNetzwerks Deutschland
  • Prof. Dr. Klaus Kocks, Kommunikationsberater, Geschäftsführer CATO Sozietät für Kommunikationsberatung GmbH

 

5. November 2018

Meine Damen und Herren,

ich begrüße unsere großartigen Gäste. Diese leben und erleben MEDIEN aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Selbst in ihrer eigenen reichen Biografie gibt es Positions- und Perspektivwechsel. Sie haben herausragende und bedeutende Zeugen für die Realitäten unseres Themas vor sich:

  • Frau Ulrike Demmer hat in Bonn und Berlin Jura studiert. Dann: Zusatzausbildung an der Berliner Journalistenschule. Es folgten viel beachtete und preisgewürdigte Reportagen für das ZDF, den Spiegel und Focus. Sie leitete das Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland und ist seit zweieinhalb Jahren stellvertretende Regierungssprecherin.
  • Professor Dr. Klaus Kocks hat in Bochum Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Germanistik und Philosophie studiert. Das nenne ich einen weiten Horizont. Beruflich begann er als Hochschullehrer, wechselte aber zur Öffentlichkeitsarbeit in der Wirtschaft. Schwerpunkt: große Unternehmen der Energie- und Autobranche. Er machte immer wieder durch Publikationen und mutige Meinungen auf sich und seine Themen aufmerksam.

Ich freue mich sehr auf unserer Gäste. Sie werden dafür sorgen, dass wir diesen Raum klüger verlassen als wir gekommen sind. Vorab nur ein paar neue Koordinaten zu unserem Thema.

Medien, Journalismus, Publizistik sind Werkzeuge der öffentlichen Kommunikation. Menschen begegnen sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Sie besprechen Probleme, suchen argumentativ nach Lösungen, die dann in politischen Prozessen bearbeitet werden sollen. Das funktioniert nur über frei zugängliche Informationsquellen und freie Medien. Es braucht eine Gesellschaft, die den freien Diskurs ermöglicht und fördert. Man spricht vom „öffentlichen Raum“. Der darf nicht durch Zensur oder andere Hindernisse eingeschränkt werden.

In seiner bahnbrechenden Arbeit „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ hat Jürgen Habermas den modernen Begriff von Öffentlichkeit untersucht. Er unterscheidet zwischen einer staatlich „vermachteten“ Öffentlichkeit, die sich praktisch auf Verlautbarungen beschränkt, und einer nichtstaatlichen Öffentlichkeit, in der sich die Zivilgesellschaft bewegt und artikuliert.

In der Demokratie „geht alle Gewalt vom Volke aus“. Sie wird der gewählten Regierung nur auf Widerruf übergeben und durch Gewaltenteilung, Kontrollorgane und eben auch durch die Presse kritisch begleitet. Im Sinne der Aufklärung ist Demokratie keine Methode, die Macht zu erzeugen, sondern den immer möglichen Machtmissbrauch zu vermeiden oder wenigstens einzugrenzen. In der ersten Runde habe ich meine Lebenserfahrung auf die Formel gebracht : Macht und Mächtige werden durch die Möglichkeit, dass etwas, was sie nicht veröffentlicht sehen wollen, wirksam diszipliniert. Enthüllungsfähige Medien sind konstitutiv für unsere Demokratie.
Öffentlichkeit ist aber kein vorhandener Raum, den man dann so oder anders füllen kann. Der öffentliche Raum entsteht erst in dem Augenblick, wo ihn jemand beansprucht. Wo der Mensch also seine private Wohnung verlässt und als Bürger auf die Straße tritt, um sich mit Anderen über die „öffentlichen Dinge“, die res publica, auszutauschen.

Habermas spricht von der „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“. Diese bildet ein „Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen […], das sich nach der Kommunikationsdichte, der Organisationskomplexität, und Reichweite nach Ebenen differenziert, von der episodischen Kneipen-, Kaffeehaus- oder Straßenöffentlichkeit über die veranstaltete Präsenzöffentlichkeit von Theateraufführungen, Elternabenden, Rockkonzerten, Parteiversammlungen oder Kirchentagen bis zu der abstrakten, über Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit.“

Dies ist kein Luxus. Es dient nicht der öffentlichen Unterhaltung. Es ist ein demokratisches Prinzip. Presse und Rundfunk sind qua Verfassung berechtigt und durch sich selbst verpflichtet, mittels Berichten, Reportagen oder Direktübertragungen Öffentlichkeit herzustellen. Wo die persönliche Anwesenheit des Bürgers nicht möglich ist, sollen die Medien ihm wenigstens eine Sekundärerfahrung anbieten. Nur so kann er sich an der politischen, sozialen und kulturellen Meinungsbildung beteiligen.

Diesem idealtypischen Bild von Öffentlichkeit werfen andere Theoretiker vor, die Realität zu vernachlässigen. Sie verweisen auf systemische Hindernisse, die einen vollwertigen und gleichberechtigten Zugang zur öffentlichen Debatte verwehren. In vielen Ländern sind besitzlose Arbeiter, Frauen, Arme sowie Angehörige ethnischer, religiöser und nationaler Minderheiten von der Teilnahme am öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Zudem gibt es überall und auch bei uns beträchtliche Gruppen, die freiwillig auf ihr Recht der öffentlichen Mitwirkung verzichten, sei es, dass sie sich die Mühe der Beteiligung nicht machen wollen oder nicht mehr an deren Sinn glauben.

Weitere „Alltagskategorien“ ergänzen das Bild. Jeder Mensch kann entscheiden wie intensiv er den öffentlichen Raum bewohnen will. Natürlich spielen hier persönliche Eigenschaften eine Rolle, wie Temperament, Erziehung, Bildung. Da legt einer Wert auf Nivellierung oder Differenzierung. Er schwankt vielleicht zwischen Konformität und Pluralität, Neugier und Ignoranz, konservativ und progressiv, dynamisch und träge.

Aus alledem wird eines deutlich: Der öffentliche Raum ist immer Arena. Ein Schauplatz für Auseinandersetzungen. Hier treffen die verschiedenen Haltungen, Meinungen, Interessen aufeinander. Schon jeder Sachverhalt kann aus unterschiedlicher Perspektive betrachtet werden. Das potenziert sich bei der Auswahl und Beschreibung von Zielen. Und selbst, wenn man sich darüber einigen konnte, bleiben die Wege und Methoden strittig, über die man sie erreichen will.

Wen wundert es, dass auch die mediale Öffentlichkeit immer Begleiter und oft selber Gegenstand solcher Auseinandersetzungen ist. Presse, Rundfunk und Fernsehen stehen nicht über der Gesellschaft. Sie sind Teil derselben. Das kann nicht bedeuten, sich beliebig gehen zu lassen. Im Gegenteil. Es mutet ihnen eine besondere Verantwortung zu. Sie müssen so objektiv wie möglich berichten. Sie dürfen sich nicht an sachfremden Einflüssen orientieren. Sie müssen ein Forum bieten, wo sich Leser oder Zuschauer äußern können. Und sie dürfen auch eine eigene Meinung haben, wenn diese als solche kenntlich ist. – Gerade in Zeiten, wo Kontroversen nicht mehr mit Argumenten, sondern mit Shitstorms und Hass-Orgien beantwortet werden, wird ein Journalismus täglich wichtiger, der kenntnisreich, nüchtern und kritisch und – gelegen oder ungelegen – das Relevante vom Unwichtigen und die Lüge von der Wahrheit unterscheidet.

Und nun freue ich mich auf die Einleitungen unserer Gäste und auf die lebhafte Diskussion.