„Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“?“ mit Dr. Tobias Korenke und Dr. Helge Matthiesen – Uni Bonn , 24. Oktober 2018

„Unverzichtbare „Vierte Gewalt“ oder „Lügenpresse“?“

Einführung von Prof. Bodo Hombach

Gäste:

  • Dr. Tobias Korenke, Sprecher der Funke-Mediengruppe
  • Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des General-Anzeigers

 

24. Oktober 2018

Sehr verehrte Damen und Herren,

dieses Seminar gilt der Sensibilisierung für ein wichtiges Thema. Wir alle machen nur wenige Primärerfahrungen, die allermeisten sind Sekundärerfahrungen. Diese werden uns vermittelt. Medien gehören zu den wichtigsten Vermittlern. Wir sind darauf angewiesen, dass sie uns ein realistisches Bild unserer Welt vermitteln. Nicht nur Politik, sondern unsere ganze Weltwahrnehmung, hängt von der Qualität der uns informierenden und von uns genutzten Medien ab. Einige wichtige Aspekte aus unterschiedlichen Sichtweisen werden wir in dieser Seminarreihe behandeln. Ich begrüße heute zwei wunderbare Gäste und hochrangige Experten für unser Thema:

  • Herr Dr. Helge Matthiesen ist Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers, eines Printmediums, das Sie gewiss täglich auf dem Frühstückstisch haben oder wenigstens auf Ihrem Tablet haben sollten.
  • Herr Dr. Tobias Korenke ist Sprecher der Funke-Mediengruppe, die eine Vielzahl unterschiedlicher Medien in ganz Deutschland unter ihrem Dach vereint. Er kennt selbstverständlich die publizistische Seite, aber auch die Probleme eines Verlagshauses in der Phase des Umbruchs.

Sie haben also einen verantwortlichen Journalisten und einen hochrangigen Verlagsmanager vor sich. Neben den inhaltlichen Ausführungen verraten Sie uns vielleicht noch etwas Näheres über Ihre tägliche Arbeit, die Ansprüche, Ihre Aufgabe und über Ihren Werdegang. Ich danke beiden herzlich, dass Sie heute zu uns gekommen sind.Unser Seminar ist nahe am Puls der Zeit. Die Medien sind in der Diskussion. Sie waren es immer, aber sie sind es mehr denn je. Sind sie die unverzichtbare „Vierte Gewalt“ im Staat, neben Legislative, Judikative und Exekutive, oder sind sie nurnoch „Lügenpresse“, die man durch Sprechchöre zum Schweigen bringen möchte?

Letzteres läge voll im Trend. Als kritischer Journalist lebt man gefährlich. Täglich erfahren wir von Unterdrückung und Verfolgung. Repressives Vorgehen in Russland, in der Türkei, auf dem Balkan. Sie gelten als Feinde. Man erklärt sie zu Terroristen. Sie werden geheimdienstlich behandelt. Man steckt sie ins Gefängnis oder schafft sie durch Auftragsmord aus der Welt. Die aktuellen Beispiele sind bekannt.

Wo immer sich ein autokratisches System etabliert, gehört es zu seinen ersten Maßnahmen, die Presse gleichzuschalten. Das ist nicht neu.

Am 18. August 1933 eröffnete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die 10. Große Deutsche Funk-Ausstellung in Berlin. Die technische Sensation war damals ein neu entwickelter Radioapparat – der Volksempfänger. Goebbels lieferte die Gebrauchsanweisung gleich mit:

„Wir machen gar keinen Hehl daraus. Der Rundfunk gehört uns. Und niemandemsonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen. Und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“

Klare Ansage. Klare Verhältnisse. Man ließ die Medien gelten. Man brauchte sie sogar, aber nur noch als Propagandawerkzeug und Sprachrohr des Diktators. Es folgten zwölf Jahre Lüge, Hass, Marschtritt und hohles Pathos.

Wir wissen, wie es ausging, und man war gewillt, daraus zu lernen. Die Bundesrepublik bekam ein Grundgesetz, das die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten garantierte. An prominenter Stelle Artikel 5:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ (Satz 1) „Diese Rechtefinden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Zwei Sätze, aber darum hatte man Jahrhunderte gekämpft. Seit Erfindung der Druckerpresse gab es Flugblatt, Zeitung und Buch. Das Schreiben und Lesen wurde zur wichtigsten Methode, die Welt zu erfassen. Helle Köpfe stellten Fragen und suchten nach Antworten. Sie blickten hinter die Kulissen und unter die Teppiche. Die Obrigkeit schäumte und zeigte ihre Zähne. Aber die bürgerlichen Revolutionen erkämpften das demokratische System. Dieses funktionierte nur, wenn sich jeder frei Informationen beschaffen und veröffentlichen durfte.

Das Meinungsspektrum wurde breiter. Soziale Konflikte, ethische und politische Kontroversen kamen zu Sprache und Bild. Das ermöglichte Teilhabe und Mitwirkung – nicht erst in der Wahlkabine. Radikalismus, Fanatismus, Fundamentalismus blieben Randerscheinungen. Problemstau wurde rechtzeitig offenbar und abgemildert. Es entstand ein Überfluss an Alternativen. Man hatte die Wahl.

Ich bringe es auf den Punkt: Eine unabhängige und mutige Presse ist keine Veranstaltung für die demokratische Gesellschaft. Sie ist eine Veranstaltung der demokratischen Gesellschaft. Diese sichert sich damit nichts Geringeres als ihren Fortbestand.

Das klingt schön und gut wie ein Albumspruch. Es ist jedoch nicht selbstverständlich. Auch die Bundesrepublik musste das erst üben. Die Presse wurde kritische Begleiterin der hohen und niederen Politik, aber zunächst sehr vorsichtig und höflich. Erst allmählich wurde sie zupackender mit wachsender Trefferquote. Ihr Spielraum vergrößerte sich durch die Überschreitung scheinbarer Grenzen.

„Spiegel-Affäre“, „Adenauer-Fernsehen“, „Rotfunk-Kampagne“. Affären, Skandale,Ehrenwörter, Schwarze Kassen. – Nie fehlte es an Gelegenheiten, den freiheitlichsten Staat der deutschen Geschichte gegen schleichende Übernahmen durch Regierungshandeln oder mächtige Interessen zu verteidigen. Immer gab und gibt es auch Versuche, die Presse an die Leine zu nehmen.

  • Parteipolitiker tummeln sich in vielen Aufsichtsgremien. Dort haben sie Einfluss auf die Besetzung wichtiger Stellen.
  • Die Gesetzgebung kann Freiheiten schützen oder einschränken. Mehrfach musste sich das Bundesverfassungsgericht mit Übergriffen der Politik beschäftigen.
  • Die politische Klasse kann den Informationsfluss hemmen. Unbequeme Wahrheiten bleiben unter Verschluss. Anfragen werden mit Worthülsen abgespeist oder von vornherein zurückgewiesen.
  • Die Politik bedient sich eigener publizistischer Mittel, um ihren Standpunkt als einzig richtigen unters Volk zu bringen.
  • Unliebsame Journalisten werden subtil beäugt oder kaltgestellt.
  • Doppelbindungen von Politik und Wirtschaft führen zu Interessenkonfliktenund verhindern die nötige Transparenz.Die Neuen Medien, vor allem das Internet, sind ein offenes Einfallstor für Desinformation. Im Jahre zwei nach Trump wissen wir: Es gibt „alternative Fakten“. Falschinformationen gelten in höchsten Kreisen nicht mehr als Lüge, sondern als probates und anerkanntes Mittel zum Zweck. In den sozialen Netzwerken sind die Quellen nur schwer überprüfbar. Aus freiwillig abgelieferten Daten der ahnungslosen Nutzer destillieren raffinierte Algorithmen Profile, die dann gezielt manipuliert werden. Politisch gesteuerte Kampagnen werden als „spontaner“ Volkswille kaschiert.

Nur eine freie und professionell arbeitende Presse kann solche Strukturen aufdecken und sie ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Wo das Gewissen nichts mehr gilt, hilft noch die Angst, es könnte herauskommen. Die Presse hat eine gewisse Macht, aber sie kann sie auch missbrauchen. Ihre Freiheit ist kein rechtsfreier Raum.

So lässt sich ein zweiter Katalog aufstellen mit bedenklichen Fehl- und Übergriffen:

  •  Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche macht vor der Presse nicht Halt. Information wird zu Ware.
  •  Sachprobleme verschwinden hinter theatralisch personifizierten Inszenierungen.
  • Journalisten überlassen sich dem Mainstream, ohne sich die Mühe eigener Recherche zu machen.
  • Im Kampf um Abonnenten und Quoten setzen Zeitungen und Sender auf künstliche Erregungskampagnen. Die eigentlichen Probleme werden verdrängt.
  • Journalisten maßen sich die Rolle politischer Akteure an und können nicht mehr objektiv berichten.
  • Diskussionsformate degenerieren zum künstlich angeheizten Gladiatorenkampf.
  • Berichterstattung und Meinung werden nicht mehr sauber getrennt.
  • Die Glaubwürdigkeit leidet, wenn Journalisten neben ihrer publizistischen Tätigkeit eine Funktion in einer Regierung, Behörde oder einem Wirtschaftsunternehmen ausüben.

Wir halten fest: Politik und Medien haben es permanent miteinander zu tun. Es gibt Schnittmengen und Spannungsfelder. Es gibt Grauzonen und unscharfe Grenzen. Neue Entwicklungen bedürfen neuer Spielregeln. Man misstraut einander. Aber auch: Man braucht einander. Beide Seiten lernen. Leider oft nur aus Katastrophen. Es gibt aber noch eine dritte Seite: Das Publikum. Es gibt den Leser, Zuschauer, User. Er entscheidet, welchem Medium er vertrauen will. Er kann eine einseitige Berichterstattung mit seiner Lebenserfahrung konfrontieren. Aber auch er ist vor Fehlleistungen nicht gefeit.

  • Wenn er die verzerrten Meinungsbilder der sozialen Netzwerke für bare Münze nimmt.
  • Wenn er sich im closed shop einer Echokammer verfängt, wo er immer nur sich selbst begegnet.
  • Wenn er im öffentlichen Diskurs nur noch dem Grundsatz folgt: „Halt den Mund, wenn du mit mir sprichst!“Ich halte inne mit meinem ersten Überblick. Nehmen sie ihn als Einstieg in die Thematik. Wir ahnen ihre Relevanz, aber auch ihre Komplexität. Bei den kommenden Treffs werden wir immer genauer hinschauen, aber verlassen Sie sich drauf: Am Ende bleibt der berühmte Spruch von Bertolt Brecht: „Der Vorhang zu, und alle Fragen offen.“Jetzt bin ich gespannt auf unsere Gäste. Nach so viel Theorie und Cursorik brauchen wir einen Praxis-Schock. Sie haben das Wort.