„Der unruhige Balkan“ mit Generalkonsulin Perin Jaric und Prof. Dr. Srgjan Kerim – Uni Bonn, 6. Juni 2018
„Der unruhige Balkan“
Einführung von Prof. Bodo Hombach
Gäste:
- Generalkonsulin Perin Jaric
- Prof. Dr. Srgjan Kerim, früherer mazedonischer Botschafter in Deutschland, in der Schweiz und in Liechtenstein sowie bei den Vereinten Nationen, ehemaliger mazedonischer Außenminister
6. Juni 2018
Meine Damen und Herren,
Willkommen zum fünften und letzten Teil unseres Streifzugs durch das unruhige Südosteuropa auf der Suche nach den Voraussetzungen und Perspektiven für eine dauerhafte Befriedung im europäischen Zusammenhang.
Wieder haben wir zwei wunderbare, hochrangige und kompetente Gäste. Ich könnte Ihnen keine besseren Praktiker und Kenner der Region, über die wir reden, bieten.
- Frau Generalkonsulin Branislava Perin Jaric leitet seit einiger Zeit das Generalkonsulat der Republik Serbien in der Bundesrepublik Deutschland – Sitz Düsseldorf. Dieser Sitz ist insbesondere für die Wirtschaftsbeziehungen von außerordentlicher Bedeutung. Frau Perin Jaric war, bevor sie zur Generalkonsulin ernannt wurde, Sprecherin der Serbischen Botschaft in Berlin. Eine Funktion, in der man breit informiert sein muss und informieren kann. Vor wenigen Tagen hat sie den Besuch ihres Präsidenten Vucic bei Ministerpräsident Laschet und bei Vertretern der deutschen Wirtschaft organisieren können. Bei dieser Gelegenheit merkte man deutlich, wie tief sie in das Team um ihren Präsidenten integriert ist, wie sehr sie dessen Vertrauen genießt.
- Herr Dr. Srgjan Kerim war Unternehmer und Diplomat, Außenminister Mazedoniens und ein Jahr lang Vorsitzender der UN-Vollversammlung. Es fehlte wenig, und er wäre Generalsekretär geworden. Unermüdlich publiziert er über seine balkanische Heimatregion und die internationalen Verhältnisse. Er war in seiner Vergangenheit auch Hochschullehrer in Belgrad.
Bei so kompetenten Co-Referenten darf, nein, muss ich mich kurz fassen.
Vor mehr als 25 Jahren war Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Seitdem schweigen die Waffen. Vielleicht auch deshalb, weil es eine europäische Perspektive gibt. Könnte nicht im Balkan gelingen, was auch im Westen gelang? Die Überwindung nationaler Konflikte unter einem gemeinsamen Dach. Nicht mehr mit harter Faust wie in Titos Jugoslawien, sondern als freier Zusammenschluss zum Zweck einer prosperierenden und dann auch friedlichen Entwicklung.
Es begann das Warten auf eine Mitgliedschaft in der EU. Kroatien und Slowenien haben es geschafft. Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, das Kosovo und Albanien stehen in der Schlange. Sie haben das Ziel vor Augen, aber es scheint nicht wirklich näher zu rücken. Wo liegen die Hindernisse?
Man muss nicht lange stöbern. Politologen und Analysten nennen immer die gleichen Punkte:
- Nach der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in die EU haben sich die Verhältnisse dort in Sachen Korruptionsbekämpfung, Rechtsstattlichkeit, Medienfreiheit und der Rechtsordnung nach europäischen Maßstäben kaum verbessert, im Bereich der Medienfreiheit z. B. im Verhältnis zum Beitrittsprozess eher verschlechtert. Aus der Enttäuschung der EU wurden nun die Maßstäbe für die neuen Beitrittskandidaten, insbesondere für Serbien, deutlich höher gelegt.
- Fast alle Kandidaten leiden aus Sicht der EU unter dem, was man in Brüssel “state capture“ nennt. Brüssel unterstellt Elemente einer Inbesitznahme des Staates durch Privatinteressen und politische Parteien mit zum Teil robuster Einflussnahme auf die Medien und die Justiz.
- Die rechtsstaatliche Absicherung der Gesetze lasse zu wünschen übrig, nicht nur verbal, sondern substantiell. Viele Formulierungen hätten zwar EU-Standard, sie würden jedoch im Alltag nicht umgesetzt. Oder sie werden ausgehöhlt durch informelle Machtstrukturen. Solange noch zum Beispiel Oligarchen, Parteien oder mächtige Politiker Medien oder Richter beeinflussen könnten oder ihre Wünsche dort aufmerksam zur Kenntnis genommen würden, blieben die besten Gesetze wirkungslos.
- Die Medien ihrerseits haben noch wenig Übung, die unvermeidlichen Konflikte anzunehmen und mit Rückgrat und Selbstbewusstsein ihren Job zu tun. Zwecks Schmerzvermeidung zensurieren sie sich selbst oder trauen sich nicht, die Regierung zu kritisieren. Herausgeber fürchten um ihre Werbebudgets, die auch von staatlicher Werbung abhängen. Aus der Region ist auch vielfältiges Fehlverhalten von sogenannten Journalisten berichtet worden. Das geht hin bis zum offenen Einfordern von Honorar für positive Beiträge oder zur Vermeidung von negativen.
- Ein weiterer Punkt sind binationale Fragen. Ungelöste ethnische Spannungen, umstrittene Grenzverläufe, historische Restbestände, die man nach rückwärts entscheiden will, anstatt sie nach vorwärts aufzulösen.
Aber die Hindernisse liegen nicht nur auf Seiten der Kandidaten. Die EU ringt mit Problemen, die einer baldigen Aufnahme im Wege stehen:
- Der Kosovo wird bis heute von fünf EU-Mitgliedstaaten noch gar nicht anerkannt. Sie werden also vermutlich den Daumen senken, wenn es zur Entscheidung kommt.
- Mazedonien liegt im Namensstreit mit Griechenland. Auch das erschwert ein konstruktives Wohlwollen.
- Innerhalb der EU gibt es Koalitionen wie die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowenien, die sich etwa in der Flüchtlingsfrage von den anderen Mitgliedern abgekoppelt haben. Im Beitrittsprozess wird man sich fragen, ob neue Mitglieder diesen Graben vertiefen oder überbrücken.
- Autoritäre Tendenzen, gelenkte Presse und nationalistisches Rollback sind auch im Innern des europäischen Hauses nicht unbekannt. Während des Beitrittsprozesses kann man Reformen fordern. Nach vollzogenem Beitritt ist der Einfluss nur noch sehr gering.
- In den Kernländern der EU machen sich populistische Parteien breit, die ein antieuropäisches Ressentiment wecken und bedienen. Mehrheitsfähige Wählermengen fühlen sich von den politischen Eliten nicht mehr vertreten oder nicht einmal wahrgenommen.
Die EU steht vor der Aufgabe, geeignete Mechanismen zu entwickeln, um die Sprengkraft solcher Spannungen zu verringern. Sie muss sich nicht nur fragen, ob die beitrittswilligen Balkanstaaten „schon“ reif sind für eine Mitgliedschaft, sondern auch, ob die jetzigen Mitglieder „noch“ reif sind für ihre Mitgliedschaft.
Lange hielt man das „Modell Europa“ für unschlagbar attraktiv. Jedes neue Mitglied – so glaubte man – würde die Sogwirkung nur verstärken. Inzwischen macht sich Skepsis breit. Die Schulden-, Euro- und Flüchtlingskrise zeigen ratlose Entscheidungsträger. Das Wohlstandsversprechen für alle, in einer offenen, grenzenlosen Gesellschaft mit Teilnahme und Teilhabe an Entwicklung und Fortschritt, demokratisch, sozialstaatlich abgesichert, freizügig und im lukrativen Handel mit der ganzen Welt ist vielleicht noch nicht verloren, es steht jedoch auf schwankendem Boden.
Und nicht zu vergessen: Am Horizont – im Osten, Westen und Süden – zündeln politische Figuren und Gruppen, die Europa gern zerlegen würden. Ohne eine klare Beitrittsperspektive für Südosteuropa könnte der Lockruf solcher Kräfte unwiderstehlich werden. Vielleicht gehört es zu den Lebenslügen der Europäischen Union, zu glauben, der Balkan bzw. Südosteuropa könne ihrer Gemeinschaft nicht verloren gehen, weil es keine Alternative gäbe.
Was ist zu tun?
Man darf die Dinge nicht schleifen lassen. Südosteuropa gehört auf die Tagesordnung der Europäischen Union, und zwar weit nach oben. Wenn Europas Welt zerbricht, tut sie es dort, wo sie besonders fragil ist, und wo mächtige Kräfte von außen auf sie einwirken. Das ist auf dem Balkan der Fall. Vielleicht ist die Einsicht schon da, aber es fehlt der politische Wille, angemessen zu reagieren.
Nicht Amerika, nicht Russland und nicht die Türkei – die Europäische Union ist der Partner für wirtschaftlichen Erfolg, gesellschaftlichen Fortschritt und demokratische Ordnung auf dem Balkan. Ob die Union es will oder nicht. Die EU muss diese Rolle ausfüllen, sonst nimmt sie in der Region niemand mehr ernst. Sie muss es auf der Basis der realen Verhältnisse tun, nicht im Wolkenkuckucksheim ihrer Wünsche.
Willy Brandt hatte einen Grundsatz, und der war sein Rezept für die erfolgreiche Ostpolitik: Man muss vom Status quo ausgehen, wenn man ihn ändern will. Vernünftige Politik fragt nicht „Woher weht gerade der Wind?“ – Sie definiert ein sinnvolles Ziel und tut den ersten Schritt.
Frau Perin Jaric, Herr Dr. Kerim, wo stehen wir und wo wollen wir hin?