„Ausgeträumt, Amerika? Die Vereinigten Staaten unter Donald Trump“ – BAPP, 12. März 2018
„Ausgeträumt, Amerika? Die Vereinigten Staaten unter Donald Trump“
Grußwort von Prof. Bodo Hombach
Bonner Universitätsforum, 12. März 2018
Sehr geehrter Herren Brok, Keller und Kloeppel,
lieber Herr Dr. Burgard,
sehr verehrte Frau Bröker,
sehr geehrte Damen und Herren,
Frau Bröker habe ich zu danken, dass sie auch heute wieder für uns tätig ist. Sie wird gleich unsere wunderbaren Gäste protokollarisch korrekt vorstellen.
Ich habe mich für dieses großartige Podium zu bedanken und begrüße es – auch in Ihrem Namen – sehr herzlich.
„Mama‘s bank account“ heißt eine berühmte Erzählung. Die Schriftstellerin Kathryn Forbes beschreibt eine kinderreiche Familie. Die muss in armen und politisch unruhigen Zeiten die vielen Fährnisse des Alltags meistern. Trotz übler Schicksalsschläge sind alle zuversichtlich. Wenn es zum Schlimmsten kommt, gibt es immer noch „Mama’s bank account“. Das hat sie versprochen. Das begründet ein Gefühl von Zuversicht und Geborgenheit. Natürlich haben alle den Ehrgeiz, es möglichst nicht anzubrechen. Wenn Zahlungen fällig sind oder der Bruder aufs teure College soll, rücken alle zusammen. Sie bündeln ihre Kräfte. Jeder findet noch ein paar Cent. Sie kriegen es irgendwie hin.
Das Konto wird nicht angerührt. Jahre vergehen. Die Kinder werden groß und stark. Sie haben einen Beruf. Sie können ihren Alltag stemmen. Als sie selbstverdientes Geld für Mama’s Konto bringen wollen, lächelt diese. Sie wehrt ab: „Es gibt kein Konto. Es hat nie eins gegeben.“
Die Geschichte kam mir in den Sinn, als ich Burgards Buch las. Könnte es sein, dass der Mythos vom „American Dream“ immer nur Wille und Vorstellung war? Das in der Verfassung garantierte Recht auf Glück nur eine schöne Fiktion? Jedenfalls hat sie geschafft, eine Patchwork-Bevölkerung wie die amerikanische in Zeiten von Depression, Krieg und anderen Katastrophen zusammenführen. Sie war das „bank account“, das Zuversicht und Initiative erzeugte. Man wollte an die Stabilität seiner Währung glauben.
Scheinbar betonierte Gewissheiten können schleichend schwinden und kaskadenartig zusammenbrechen. Zum Beispiel, wenn staatstragende Parteien den Staat nicht mehr tragen. Wenn sie sich in Fundamentalopposition verkrampfen. Wenn sie sich wie zwei Skorpione in der Flasche verhalten.
Unsere Medien überschlagen sich. Es fehlt nicht an Stories und Spott. Der seltsame Mann im Weißen Haus kapriole durch jeden Porzellanladen. Kassandrarufe dämonisieren ihn. Die Kontinentaldrift zwischen Amerika und Europa hat die atlantische Brücke zum Zerreißen gespannt. Ausgerufener Handelskrieg treibt die Welt in einen Wettbewerb um größtmöglichen Schaden. In diesem aufgeregten Scenario gilt die Suche nach tieferen Ursachen oder gar eigene Gewissenserforschung als Regelverstoß.
Das kluge Buch von Jan Philipp Burgard kommt zur richtigen Zeit. Es ist ein Reiseführer durch ein gespaltenes Land. Mit seinem Kamerateam sucht er Landschaften und ihre Bewohner auf. Er sucht Milieus und Geschichten. Das führt kreuz und quer durch das riesige Land, in dem jeder Eindruck und immer auch das Gegenteil stimmt. Er führt ergebnisoffene Gespräche. Die gelingen nur, wenn man auf die Leute zugeht – nicht auf sie losgeht. Man kriegt nur eine ehrliche Antwort, wenn zuvor eine Basis von Respekt und ehrlichem Interesse entstand.
Das Buch ist keine sozialpolitische Feldstudie. Eher ein Propädeutikum, das wissenschaftliches Interesse weckt. Jeder Gesprächspartner ist erst einmal typisch für sich selbst. Jeder hat auf seine Weise Recht. Burgard lässt es ihm. Es sind Reportagen. Die benötigen den Reporter. Der bleibt erkennbare Person mit Temperament und Charakter. Dieser hier mag die Leute. Er sucht ihre Nähe.
Wer einen antiamerikanischen Affekt bedient sehen will, kommt nicht auf seine Kosten. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass er die gegenwärtige Administration für problematisch hält.
Ich höre häufig von Amerikanern, ihr neuer Präsident spreche aus, was sie nur denken könnten. Er erkenne und respektiere ihre Interessen. Die Stimme für ihn ist ein trotziges „Can you hear me now?“ Unsere Meinungsmacher hört keiner in Amerika – und die hören oft auch nicht hin. Burgard schreibt klugerweise nicht im Main Stream mit.
Das Amerika der Amerikaner hat Freundschaft verdient. Unterhalb der schmuddeligen Schaumkronen, die täglich die Talkshows und Zeitungen bedienen und besetzen, gibt es vielschichtige Bewegungen. Wer tief genug taucht, findet Zustände und Konstanten, die noch immer verlässlich sind.
Mit Amerika verbindet uns eine lange Geschichte. In zwei Weltkriegen sind die USA dem Todestrieb Europas entgegengetreten. Amerikanische Truppen haben mit enormen Opfern die Zivilisation wiederhergestellt. Die haben wir Deutschen mörderischen Krakeelern überlassen.
Nach der furchtbarsten Selbstentwertung in der Geschichte unseres Volkes war es schon 1946 Außenminister Byrnes, der in seiner Stuttgarter Rede konstruktive Nachkriegspolitik verlangte. Seit 70 Jahren profitieren wir davon.
Natürlich dürfen wir politische Entscheidungen kritisieren. Aber es gibt kein Recht, ein 400-Millionen-Volk unter Generalverdacht zu stellen. Wir wenden uns gegen „Menschen, die Erdnüsse anbauen, Farmer, deren Väter vielleicht in der Normandie an Land gegangen sind“, schreibt letzte Woche Julian Reichelt in „BILD“. Es darf uns meinetwegen ärgern, dass er Recht hat, aber er hat Recht. Auch mit seinem Hinweis, wie sehr wir Deutschen unsere Industrie jahrzehntelang mit Subventionen geschützt und unsere Produkte künstlich verbilligt haben.
Vor diesem Hintergrund ist Burgards Buch nicht nur anregende Lektüre. Es ist politisch wichtig. Es erinnert uns auf subtile, aber einladende Weise daran, dass: Völker und Kulturen von ihrer aktuellen Regierung zu unterscheiden sind. Das gilt übrigens in alle Richtungen: Auch nach Russland, in die Türkei und nach Syrien. Unter allen Umständen – und das meine ich wörtlich – müssen wir verhindern, dass sich Völker verfeinden. „Entfeinden“ wäre das Richtige!!! Bei jeder Gelegenheit und an jedem Ort.
Damit sind wir unzeitgemäß. Gegenwärtig werden Konflikte eher geschürt. Das ist mediale Kernkompetenz. Polarisierung ist inszenierter Zeitgeist. Burgards Buch stärkt die Abwehrkräfte gegen eindimensionales Sehen.
Natürlich freue ich mich, dass wir das Buch aus der Taufe heben dürfen. Es passt nach Aktualität und Methode verlustlos in unser Programm. Hier ist Adresse für einen permanenten Ver-stehensversuch bei den Fragen unserer Zeit.
Es wurde schon mal gesagt: „Wer von der Menschheit redet, beweist seine Denkfaulheit.“ Es geht nicht um die Menschheit. Es geht um konkrete Menschen, ihre Hoffnungen und Ängste, ihre Kraft und Verletzlichkeit und ihre Fähigkeit, immer wieder anzufangen.
Ich freue ich auf mich sehr auf das Gespräch und danke vorauseilend dafür, dass wir in zwei Stunden klüger sein werden als wir es jetzt sind.