„Der unruhige Balkan – Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“ mit Sabine Stöhr und Prof. Dr. Srgjan Kerim – Uni Bonn, 22. November 2017

„Der unruhige Balkan – Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“

Einführung von Prof. Bodo Hombach

Gäste:

  • Sabine Stöhr, Leiterin der Abteilung Südosteuropa im Auswärtigen Amt
  • Prof. Dr. Srgjan Kerim, früherer mazedonischer Botschafter in Deutschland, in der Schweiz und in Liechtenstein sowie bei den Vereinten Nationen, ehemaliger mazedonischer Außenminister

22. November 2017

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unsere beiden kompetenten, großartigen Gastreferenten.

Die Diplomatin Frau Sabine Stöhr leitet die Abteilung Südosteuropa im Auswärtigen Amt. Außerdem war sie erfolgreiche Ausbildungsleiterin für den höheren Dienst der deutschen Diplomatinnen und Diplomaten. Wer sich von Ihnen für eine solche Laufbahn entscheidet, findet keine/n kompetentere/n Gesprächspartner/in. Liebe Frau Stöhr, wir heißen Sie herzlich willkommen und danken Ihnen, dass Sie den Weg aus der neuen Hauptstadt in die alte auf sich genommen haben.

Prof. Dr. Srgjan Kerim hat eine so vielfältige Karriere, dass ich sicher Stationen vergesse. Er unterrichtete an der Universität von Belgrad, war im jugoslawischen Kabinett, in der Privatwirtschaft und Botschafter Mazedoniens in Deutschland, Österreich und Liechtenstein. Später war er Spezialberater beim Balkan-Stabilitätspakt in Brüssel und Außenminister seines Landes, Botschafter bei den Vereinten Nationen und Präsident der UNO-Vollversammlung. Zwischendurch war er auch jahrelang Verlagsmanager und Herausgeber seriöser Zeitungstitel. Herzlich willkommen!

Ich will unseren Gästen und dem Gespräch nicht Zeit stehlen. Aber zum Beginn dieses Seminars sind doch ein paar Koordinaten nützlich. Sie können unser Thema nur umreißen. In den vier Seminarterminen mit hochkompetenten Gästen werden wir versuchen, die Leerstellen anzufüllen und bei Ihnen die Motivation zu wecken, sich für die Region zu interessieren.

Das ist nicht das erste Seminar zu diesem Thema, das ich anbiete. Die Texte aus den vorhergehenden und zum Teil die Erkenntnisse Ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Exkursionen in die Region hat Herr Dr. Becker ins Netz gestellt. Sie werden feststellen, dass meine ersten Texte zu diesem Thema optimistischer waren als die Einschätzung, die Sie in diesem und im nächsten Seminar von mir hören werden. Auch aus diesem Seminar wird eine kleine Gruppe von Kommilitonen, die sich um Dr. Becker sammelt und die besonders interessiert ist, in der Region eigene Informationen einholen und Eindrücke sammeln. Dieses Mal empfehle ich einen Ausflug nach Kroatien. Der ehemalige Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, Herr Dr. Miro Kovac, hat bereits zugesagt, die Gruppe zu empfangen, sie zu informieren, weitere Kontakte zu vermitteln und ggf. auch bei einem späteren Seminar zu einem Vortrag nach Bonn zu kommen.

Der Balkan gilt als klassische Krisenregion. Das Gebiet ist geografisch, kulturell und sprachlich schroff gegliedert. Schon die Römer hatten damit ihre Probleme. Jahrhundertelang war es die „Knautschzone“ zwischen Westeuropa und Byzanz, später des Osmanischen Reiches. Auf den Stabskarten der Großmächte war es Einfluss- und Aufmarschgebiet. Ethnische und soziale Gegensätze waren tickende Zeitbomben. Immer wieder kam es zu Grenzverschiebungen, Umsiedlungen und Vertreibungen. Die Staatsmacht wurde als Fremdherrschaft erlebt. Ihre Legitimation war gering. Entsprechend schwach war die Loyalität der Einwohner.

„Balkanische Zustände“. Damit sollte man anscheinend ausdrücken, dort sei es: rückständig, emotional, korrupt, zersplittert, chaotisch, gewalttätig, brutal. Man sah hier den unzivilisierten Vorhof des Kontinents. Bismarck wollte dafür nicht „die Knochen eines einzigen preußischen Grenadiers“ opfern, und noch Churchill sprach von „Europas weichem Unterleib“.

Heute reden wir politisch korrekt von „Südosteuropa“. Das klingt wertneutral. Eine Initiative der Europäischen Union von 1999 hat den Namen „Stabilitätspakt für Südosteuropa.“ – Ich sollte das im Auftrag der internationalen Gemeinschaft koordinieren. Eine ehrenvolle und schwierige Aufgabe.

Als ich in den Hauptstädten meine Antrittsbesuche machte, erklärten mir Ministerpräsidenten, sie würden ihre Nachbarn hinter den Grenzen nicht kennen und hätten auch kein Interesse daran, sie kennenzulernen.

Erst die Konditionalität des Stabilitätspaktes, der nur Projekte förderte, an denen mindestens zwei, besser mehr Nationen mitwirkten, änderte diesen Standpunkt vordergründig.

Dabei hatte es lange Phasen gegeben, in denen Muslime und orthodoxe oder katholische Christen, Albaner, Kosovaren, Bosniaken oder Serben friedlich Tür an Tür lebten. Religiöse Gegensätze spielten eine viel geringere Rolle als wir es in Westeuropa geglaubt haben. Meine Beobachtung war: Das kommunistische System hatte hier die Säkularisierung der Gesellschaft viel weiter getrieben als etwa in der DDR.

Die tieferen Ursachen für den Krisenherd Balkan lagen weniger in den Ländern der Region selbst, sondern waren vielfach Resultat der Territorialpolitik europäischer Großmächte und der Türkei.

Seitdem die Türken 1683 vor Wien gescheitert waren, wurden sie von der k.u.k. Monarchie zurückgedrängt. Habsburg verstand sich als „Vielvölkerstaat“ und kaschierte damit sehr robuste imperiale Interessen. Im Nord-Osten verstärkte das russische Zarenreich den Druck. Moskau nutzte die Schwäche Istanbuls, um seinen Einfluss auszuweiten. Es ging um den Zugang zum Mittelmeer.

Im 19. Jahrhundert griff nationales Selbstbewusstsein um sich. Ein missverstandener Darwinismus brachte rassistische Ideen ins Spiel. Der Panslawismus wurde ideologischer Überbau und spaltete die Gesellschaft.

1914 war das Pulverfass gefüllt. Den Zündfunken lieferte das Attentat von Sarajewo eines serbischen Fanatikers auf den österreichischen Thronfolger. Die Europäische Friedensordnung brach kaskadenartig zusammen. Der 1. Weltkrieg wurde zur Ur-Katastrophe. In einer mörderischen Kettenreaktion erzeugte er die meisten Kriege, Diktaturen und Verfallsprozesse des nächsten Jahrhunderts. Und tut es noch heute.

Im Zweiten Weltkrieg wollten britische Truppen auf dem Balkan eine zweite Front gegen die Achsenmächte eröffnen. Das misslang und gab Stalin die Chance, die meisten Staaten der Sowjetunion einzuverleiben. Nur Albanien und Jugoslawien gingen einen relativ unabhängigen, aber auch kommunistischen Weg. 36 Jahre hielt Tito die sechs Republiken Jugoslawiens mit der Faust zusammen. Auch nach seinem Tod 1980 blieb das Land unter kommunistischer Kontrolle.

1987 brachen Spannungen im Kosovo auf. Der albanische Teil der Bevölkerung fühlte sich unter wachsendem serbischem Druck. Die serbische Interpretation sieht das natürlich umgekehrt. 1991 begann der Krieg. Im Friedensvertrag von Dayton 1995 wurde Bosnien-Herzegowina aufgeteilt. Serbien reagierte mit ethnischen Säuberungen. Vier Millionen Menschen wurden vertrieben, um die Fiktion eines homogenen Nationalstaats zu realisieren. Der Bürgerkrieg zerstörte Städte und Dörfer und forderte 100.000 Menschenleben.

Er veränderte noch einmal die politische Landkarte. Heute teilen sich folgende Staaten die Region: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und Ungarn. Davon sind fünf Staaten Mitglied der EU: Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Rumänien und Ungarn.

22 Jahre nach dem Bürgerkrieg sucht die junge Generation eine moderne Zukunft. Sie hoffen auf den Anschluss an Europa.

Dagegen steht ein wieder anwachsender Nationalismus. Die Flüchtlingskrise weckt uralten Fremdenhass. Wo die Türkenherrschaft fast sechs Jahrhunderte als islamische Despotie erlebt wurde, will man keine muslimischen Einwanderer. – Europäische Solidarität, auch in den Schon-Mitgliedern, ist ein Fremdwort.

Wohin geht die Reise? Findet Südosteuropa zu mehr Stabilität, oder taumelt es in neue Krisen. die dann auch wieder nach Europa ausstrahlen. Moskau spitzt schon die Lauscher. Ist die EU noch stark genug, um die schwachen Balkanstaaten vor sich selbst zu schützen? Oder muss sich die Gemeinschaft hüten, die alten Zeitbomben in ihr Haus zu holen? – Wenn sie sie schon nicht entschärfen kann.

Bevor wir uns hier im Westen als die integren Oberlehrer gebärden: Zeigen sich nicht auch bei uns Verfallssymptome, welche die alten Geister wieder aus der Flasche lassen?
Ich bitte unsere Referenten um ihre Erfahrungen und Einschätzungen. – Sie haben das Wort.