„Vertrauensverlust und ‚Lügenpresse‘ – Die Medien in der Krise?“ mit Prof. Dr. Klaus Kocks – Uni Bonn, 31. Mai 2017

„Vertrauensverlust und ‚Lügenpresse‘ – Die Medien in der Krise?“

Einführung von Prof. Bodo Hombach

Gast: Prof. Dr. Klaus Kocks, CATO Sozietät für Kommunikationsberatung

31. Mai 2017

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren Gast. Er ist wohl der bedeutendste, aber auch eigenwilligste PR-Spezialist, den wir einladen können. Professor Klaus Kocks studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Germanistik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Von der Hochschule wechselte er zur Öffentlichkeitsarbeit in die Ruhrkohle AG und arbeitete seither für verschiedene Unternehmen im Geschäftsbereich Kommunikation. Besonders hervor trat er, als er eng an der Seite von Ferdinand Piëch den VW-Konzern öffentlich vertrat und repräsentierte. Er ist heute erfolgreich selbstständig tätig und auch Honorarprofessor für Kommunikationsmanagement an der Fachhochschule Osnabrück. Man kennt ihn von öffentlichen Fernsehauftritten und pointierten Kommentaren zu kontroversen Themen. Ein Grenzgänger also, der uns gewiss ganz eigene Blickwinkel eröffnen wird. Schön, dass Sie gekommen sind.

Worum geht es uns? Wir haben uns darauf verständigt, dass nichts so sehr Macht und Mächtige kontrolliert und diszipliniert wie die Veröffentlichungsmöglichkeit von etwas, was Mächtige nicht veröffentlicht sehen wollen. In der Funktion als Machtkontrolle sind Medien konstitutiv für eine Demokratie.

Das Axiom dieses Seminars ist die Gewissheit, dass ein freies, offenes und demokratisches Gemeinwesen nicht möglich ist ohne eine freie, vielseitige und unabhängige Presse. Wie steht es damit? Gibt es Entwicklungen, die uns Sorgen machen?

  • Es gibt einen politischen Journalismus, der unter seinen Möglichkeiten bleibt. Er lauscht auf externe Stichwortgeber. Er schwimmt im Mainstream ohne eigene Recherche. Er überzeichnet Belangloses durch künstliche Aufgeregtheit. Er erspart sich die Mühe thematischer Analyse durch Personalisierung und Skandalisierung. Er erliegt den Versuchungen der Macht oder der Unterwerfung. Er singt das Lied der Lobby und großer Anzeigenkunden. Mit einem Wort: Er lässt die Leute im Stich, die auf Information und Orientierung hoffen.
  • Es gibt die politische Klasse der Entscheidungsträger, Parlamentarier, Parteisekretäre. Dort beklagen wir die Armut der Argumentation, den Hang zum Reden in Sprechblasen und vorgestanzten Gebrauchsmustern. Ein immer gleiches Ensemble wandert von Talkshow zu Talkshow, wo man Lautstärke mit Lebendigkeit verwechselt. Kein Gedanke darf sich ausformulieren. Schon Zuhören gilt als Schwäche. Man ist im ständigen Wahlkampf. Das Wohl des Landes bleibt auf der Strecke.
  • Es gibt eine Mehrheit von Bürgern, die das kritisch und mit Sorge beobachten. Sie üben sich in der Kunst der Unterscheidung. Sie wissen um die Bedeutung einer freien und verantwortlichen Presse für die demokratische Meinungs- und Willensbildung. Sie messen mediale Bilder an ihrer eigenen Wahrnehmung. Sie erinnern an ausgeblendete Bereiche. Sie benennen journalistische Fehlleistungen und schärfen ihre eigenen Kriterien. Sie nehmen teil an der nötigen Debatte.
  • Und es gibt die Minderheit der anonymen „Wutbürger“, die alles zur „Lügenpresse“ erklären, was ihnen nicht die eigenen Vorurteile bestätigt. Sie leben in ihrer Meinungsblase. Sie nutzen die „sozialen“ Netzwerke nicht zur Erweiterung ihres Weltbildes, sondern als überdimensionalen Stammtisch.

Die hier beschriebenen Rollen sind natürlich grob umrissen. In der Realität gibt es alle möglichen Schattierungen und Übergänge. Das sollte jedem bewusst bleiben, der es sich nicht in der Puppenstube der Typisierungen gemütlich machen will. Das Schlüsselwort für eine vernünftige Befassung mit diesem komplexen Thema heißt „Differenzierung“.

Und auch das haben wir schon entdeckt. Das Spiel der Rollen geschieht auf einer Bühne und vor Kulissen, die es wesentlich beeinflussen.

Die zweifellos wichtigste ist das Internet. Es bedeutet einen Epochenwandel der Kommunikation. Zum ersten Mal in der Zivilisationsgeschichte gibt es ein Instrument, das

  • keine Grenze respektiert,
  • Ungleichzeitigkeiten hart konfrontiert,
  • zeitgleiche Präsenz ermöglicht,
  • jedem einen Volksempfänger und Weltsender in die Handtasche gibt,
  • totale Indiskretion mit totaler Anonymität verbindet
  • und nichts vergisst.

Das Internet schafft keinen neuen Menschen, aber es bietet dem alten einen ungeheuren Verstärker. Es überschüttet ihn mit Informationen und errötet nicht bei Falschmeldungen. Es begrenzt Herrschaftswissen und multipliziert Schwarmdummheit. Es beschleunigt den Fortschritt und bietet jeder Art von Verbrechen anonyme Spielräume. Wir erleben gerade die anarchische Phase eines neuen Mediums und werden ein ganzes Jahrhundert brauchen, um die Gefahren zu domestizieren, ohne die Chancen zu ersticken.

Alle sprechen von Fake-News. Das englische Wort bedeutet Fälschung, gezielte Desinformation. Sie soll eine Öffentlichkeit beeinflussen und Schaden herbeiführen. Dies geschieht nicht durch obskure „Schmuddelkinder“ im Untergrund der Gesellschaft, sondern längst auch durch Parteien und Regierungen. Das ist nicht neu. Die Weltgeschichte ist voll von gezielten Unwahrheiten. Neu ist allerdings, wenn folgenreiche Ereignisse wie der Brexit oder die Wahl des gegenwärtigen Präsidenten der westlichen Führungsmacht die Lüge als legitimes Mittel zur Durchsetzung von Zielen einsetzen, die durch Wahrheit nicht erreichbar wären.

Sind wir dem wehrlos ausgeliefert? Welche Grenzen zieht das Recht in der digitalen Kommunikation?

Sämtliche Mediengesetze der Bundesrepublik Deutschland verpflichten die Journalisten auf menschenmögliche Sorgfalt und Wahrhaftigkeit. Nur geprüfte Informationen dürfen veröffentlicht werden oder müssen als vorläufig und ungeprüft gekennzeichnet sein.

Kann man sich gegen den Schmähbegriff „Lügenpresse“ juristisch wehren? Hier kommt es auf die Umstände an. Gerichte unterscheiden zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung. In einer hitzigen Debatte werden scharfe Begriffe anders bewertet. Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung muss die veröffentlichte Wahrheit nicht die ganze Wahrheit sein. Die Unterlassung von Teilen der Wahrheit ist nach vielen Urteilen der letzten Zeit nicht als falsche Tatsachenbehauptung zu werten.

Fake-News im Internet sind in ihrer Wirkung zu unbestimmt, um juristisch bekämpft zu werden. Ihr Einfluss auf tatsächliche Wahlentscheidungen ist schwer nachweisbar. Oft verstärken sie nur Meinungen, die längst vorhanden und nicht justitiabel sind. Nur wenn jemand in seiner Persönlichkeit verletzt wird, kann er juristisch reagieren und z. B. auf Unterlassung klagen. Eine allgemeine „Informationsverschmutzung“ ist auf diesem Wege nicht zu bekämpfen.

Anders ist es, wenn jemand per Falschmeldung eine bestimmte Person grundlos einer Straftat verdächtigt und dadurch polizeiliche Ermittlungen auslöst. Der findet sich bald selbst vor dem Kadi wieder.

Die Justiz stößt an ihre Grenze, wenn Lügen oder beleidigende Hassreden vom Ausland aus lanciert werden. Auch wenn der Tatbestand klar ist, sind Sanktionen in der Regel nicht durchsetzbar.

Der juristische Recours ist also unbefriedigend. Wie könnte sich die Gesellschaft auf andere Weise wehren?

Vier Modelle werden zurzeit diskutiert, welche auf die neue Situation reagieren sollen.

  • Verschärfung der Normen. – Problem: Es gibt keinen Konsens für ein allgemeines Kommunikationsmodell, und man kann nicht alles unter Strafe stellen, was jemandem nicht gefällt. Denkbar wäre allerdings ein Verbot von Social Bots, die zu dem Zweck in Umlauf gesetzt werden, eine allgemeine Verunsicherung zu erzeugen.
  • Bußgelder gegen Plattformen, wenn sie gemeldete Falschmeldungen nicht innerhalb einer Frist löschen. Problem: Es ist oft schwer zu klären, ob es sich wirklich um eine Falschmeldung handelt. Und sind Plattformen wie Twitter oder WhatsApp in der Lage und legitimiert, innerhalb kurzer Frist darüber zu entscheiden? Werden sie nicht viel zu großzügig löschen, um auf jeden Fall ein Bußgeld zu vermeiden?
  • Einrichtung einer Abwehrstelle als Einrichtung des Bundespresseamtes. Sie wäre legitim als Gegeninformationen zur Richtigstellung von Falschmeldungen. Problem: Es könnte ein unzulässiger Eingriff des Staates in die freie Meinungsbildung entstehen. Die staatlich unabhängige, intermediäre Aufgabe der Presse zwischen Bürgern und Regierung würde möglicherweise beschädigt.
  • Selbstregulierung von Facebook, auch mit externen Dienstleistern, die Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Man denkt nach über Software-Lösungen. Sie ermitteln erste Verdachtsmomente, die dann von analogen Fachleuten überprüft werden. Problem: Eine systematische Prüfung ist kaum erreichbar.

Was lehrt uns dies? – Am Ende liegt der Ball wieder im Spielfeld der Medien. Mehr denn je zuvor sind sie Objekt der öffentlichen Debatte, aber zugleich auch zuständig, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, das Relevante vom Belanglosen, die Sachverhalte von den Meinungen.

Schon gibt es Medien, die sich als Anti-Lügenpresse organisiert haben. In internationalen Netzwerken enttarnen Journalisten per klassische Recherche relevante Falschmeldungen und veröffentlichen das fällige Dementi. Wer die Wahrheit wissen will, kann sie hier finden. Wer nicht, dem ist eh nicht zu helfen.

Und nun freue ich mich auf das Ko-Referat unseres Gastes und das anschließende Gespräch. Herr Professor Kocks, „Wahrheitspresse“ – reden wir vom Ende eines Mythos oder von einem neu zu entdeckenden Desiderat? – Sie haben das Wort.