„Buchvorstellung: Europa in der Krise – Vom Traum zum Feindbild?“ – BAPP, 2. Februar 2017

„Buchvorstellung: Europa in der Krise – Vom Traum zum Feindbild?“

Einführung durch Prof. Bodo Hombach

Bonner Universitätsforum, 2. Februar 2017

Sehr verehrte Frau Wesel,
sehr verehrter Herr Dr. Stoiber,
sehr verehrter Herr Brok,
sehr verehrter Graf Lambsdorff,
sehr verehrte Damen und Herren,

von der US-Veranstaltung letzter Woche hier habe ich noch einen Einstieg: Wenn man einem von Herzen übelwill, gibt es in China einen volkstümlichen Fluch: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“

Das tun wir!

Pafos ist eine kleine Stadt in Zypern – 36.000 Einwohner. Die ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Es soll eine Open-Air-Factory des Geistes geben, ein Experimentierfeld und Abenteuerspielplatz für Auseinandersetzung und Zusammengehen.

Europa war schön und wichtig, wenn es der „Macht Achtung abgewann durch den freien, menschlichen Geist“, formulierte Thomas Mann.

Das soll das Motto sein.

Am Anfang Europas war eine hübsche Prinzessin. Dem Göttervater Zeus leckerte nach ihr. Der kannte alle Tricks. Er verwandelte sich in einen Stier. Er tat harmlos. Kaum hatte sich die Schöne vertrauensselig auf ihn gesetzt, stürzte er sich mit ihr ins wilde Meer. Er entführte sie an ein unbekanntes Gestade. Dem gab er ihren Namen.

Ein solcher Gründungsmythos gibt zu denken. Alles begann mit einem Gott als Gauner, mit krimineller Energie (arglistige Täuschung, Betrug, Entführung, Sex mit Abhängigen). Die Vertreterin der damaligen Elite war reichlich naiv.

Die weitere Geschichte dieses Erdteils hatte es in sich. Meist war es ein Haifischbecken. Große Räuber hielten sich mit wechselseitiger Komplizenschaft in Schach. Sie ernährten sich von kleinen Räubern. – Auch von wehrlosen Völkern der übrigen Welt. Sie fielen auch übereinander her. Gründe gab es selten. Es genügten Anlässe. Die wurden gesucht und gefunden, herbeigeredet und geschrieben.

1945 war eigentlich Ende. Europa hatte sich an den Rand der Selbstvernichtung manövriert. Der dunkelste Tiefpunkt wurde ein heller Moment. Ein paar alte Männer hatten eine Idee. „Man kann sich gegenseitig umbringen. Man kann es auch lassen.“ Sie gestalteten einen gemeinsamen Markt mit Regeln. Der erlaubte den Ausgleich von Interessen.

Das war nicht Fortsetzung des alten Schlamassels mit neuen Mitteln. Es war ein Sprung auf eine höhere Ebene des Zusammenlebens. Schluss mit pubertärem Getue und Türenknallen und Prügeleien um Nichtigkeiten.

Man erdachte ein bedeutendes Projekt der Zivilisationsgeschichte. Es verschob nicht nur Steine auf dem alten Spielbrett. Es veränderte die Regeln des Spiels.

Das neue Europa begann als Zugewinngemeinschaft. Es wollte:

  • Wohlergehen durch Wohlstand.
  • Kooperatives Handeln im eigenen Interesse.
  • Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren.
  • Eine freie und offene Gesellschaft statt Gleichschritt.
  • Friedlichen Wettstreit statt kräftezehrende Verdrängungskonkurrenz.

In dieser neuartigen Gemeinschaft waren kleine Völker nicht weniger wert als große.

Es ging nicht mehr nur um „Schutz und Trutz“ vor äußeren Feinden. Es ging auch um den Schutz vor sich selbst, vor schlechten Gewohnheiten und unverdauten Resten der Geschichte.

Probleme gab es genug. Sie wurden in Einzelschritte zerlegt und ausgiebig besprochen, manchmal ausgesessen – in der Hoffnung, am Ende zusammen mehr zu sein als allein oder gegeneinander. Wer irgend konnte, drängte dazu.

Wir wissen, wie es weiterging.

Anfänge und Voraussetzungen gerieten in Vergessenheit. Ein Neugeborenes weiß so wenig wie ein Neandertaler-Baby. – Sogenannte „Eliten“ fanden nicht den Ton und die Sprache der Leute. Zentralisierer berauschten sich an ihrer Macht – Regelwerker an ihren Paragraphen. Zu viele verwechselten „Einheit“ mit „Einheitlichkeit“. Das große Ziel war einmal weniger utopisch als heute.

Alte Gespenster sind wieder da. Die Briten haben das Schiff verlassen. Starke Bewegungen blasen zum Sturm auf die Gemeinschaft. Autokraten „trumpen“ auf. Sie setzen auf nationalen Egoismus und holen alte Requisiten aus dem Fundus.

Mit einem haben sie nicht gerechnet: Wir haben ein Buch geschrieben. Es ist randvoll mit wichtigen Stimmen, trefflichen Analysen und zündenden Ideen. Es wendet sich an alle, die im Strudel der Ereignisse nach Orientierung suchen. Es ermuntert, sich am Diskurs über mögliche Wege zu beteiligen. Es ist nötig.

Wir „Homo sapiens“ bringen grandiose Dinge zustande. Aber wir haben zwei gefährliche Konstruktionsfehler: Wir handeln meist nur unter Druck. Wir lernen nur aus Katastrophen. Gegenbeispiele sind selten. Handlungsbedarf empfinden wir meist dann, wenn er unausweichlich wird. Wir ignorieren eine längst erkannte Gefahr, weil sie uns noch nicht bedrohlich erscheint.

Wenn es dann so weit ist, ist es zu spät. Unter Druck handelt man panisch, hektisch, unüberlegt. Man ist getrieben. Man gebärdet sich mit Symbolpolitik. Die ist nutzlos und teuer. Man versumpft im Wahlkampfmodus. Man wird blind für das allgemeine Wohl.

Wir lernen anscheinend nur aus Katastrophen. – Wenn wir mit knapper Not davongekommen sind, gibt es einen Zeitspalt für Reformen und neues Denken.

Als unser Buch entstand, war vieles in Frage. Eines nicht: Die verlässliche Partnerschaft mit dem Großen Bruder im Westen. Niemand rechnete damit, die Vereinigten Staaten könnten unter der Parole „America great again“ das Gegenteil verstehen, nämlich Rückzug auf sich selbst, Strafzölle und Mauerbau.

Der neue Präsident ist wie ein Volkstribun angetreten. Er sprach Sätze wie der Jakubiner Robespierre als Chef des Wohlfahrtsausschusses vor dem Nationalkonvent. – Nationalistisches und Sozialistisches gemischt.

Wenige rechneten damit, dass der Repräsentant der westlichen Welt deren Grundsätze in Frage stellt, wie auch die der republikanischen Orthodoxie. Es überrascht keinen, dass er Eurogegner stärkt. Um eines hat er sich schon verdient gemacht:

Jeder begreift: Europa wird wichtiger denn je.

Als die Flut stieg, wurden die Insassen der Arche Noah friedlich miteinander.

Beliebt auf Erden und im Himmelreich sind die, die vom Saulus zum Paulus werden. Ich erlebe und würdige Dr. Edmund Stoiber als einen standfesten Verfechter der europäischen Idee – nicht des Status Quo, aber eines Reform-Europas, das wir uns alle wünschen.

Unser Buch kann helfen. Es entstand und ist auch eine Art „Open-Air-Factory“. Probieren Sie’s aus! Stöben Sie darin! Haken Sie sich irgendwo ein. Ich danke allen sehr herzlich, die an diesem Buch mitgewirkt haben und weiter mitwirken werden.

Ich freue mich auf das Gespräch mit Ihnen.