„Solidarität in Zeiten der Globalisierung: Krise eines Erfolgsmodells?“ – BAPP, 11. Oktober 2016

Sehr verehrte Damen und Herren,

lieber Herr Laschet,

der Schriftsteller Fritz Reuter erzählte von einem Breslauer.
Der floh 1848 beim Ausbruch der Berliner Revolution nach Hause.
Auf seinen Stationen wurde er von
Neugierigen ausgefragt.

Zuletzt war er heiser. Er war genervt.
Irgendwann sagte er nur nochBumm!“
– Damit war alles gesagt.

Auch Globalisierung wirkt auf viele wie ein „Bumm“.
Sie verändert den Aggregatszustand unserer Welt.

  • Schlagbäume,
  • Flüsse,
  • Wüsten oder Gebirge

sind keine wirklichen Grenzen mehr.

Die großen Probleme der Gegenwart sind globaler Natur.

Das Faktum Globalisierung ist gesetzt.

  • Es kommt über uns wie das Wetter.
  • Es wartet auf keinen
  • Es kümmert sich nicht um Volksabstimmungen.
  • Man kann es nicht abwählen.

 

Wir können uns entscheiden:

  • Wollen wir es passiv über uns ergehen lassen oder gestalten?
  • Wollen wir uns von oft anonymen
    Partikular-Interessen herumschubsen lassen, oder wollen wir Gefahren und Chancen erkunden und das Gute behalten?
  • Wollen wir eigenbröteln, oder wollen wir zusammenrücken, Kräfte und Ideen bündeln, und uns am Ringen um die neue Ordnung unserer Welt beteiligen?

 

Wenn politisch-soziale Entwicklungen ein bestimmtes Tempo übersteigen:

  • schaffen sie ein Vakuum.
  • entleeren sie den vertrauten Raum.
  • zerrütten sie alte Gewissheiten.

Leute kommen aus dem Takt, viele außer Atem.

Sie reagieren mit Widerstand oder Sehnsucht nach Gestern.

Es gibt Kollateralschäden:

  • Starke werden stärker, Schwache werden schwächer.
  • Man ergreift neue Möglichkeiten, aber noch mit den alten
  • Verdrängungskampf statt Kooperation.
  • Nationale Eifersucht statt grenzüberschreitende Arbeitsteilung.

Versöhnen statt Spalten“ ist nicht in Mode.
Gerade Medien suchen und bevorzugen den Konflikt.
Da haben sie Erregendes zu berichten.
Versöhnung, Konsens und Kompromiss, auch Versöhner und Brückenbauer werden gerne verhöhnt statt gefördert.

Jeder darf sich bemühen, Gewinner zu sein.
Wenn man das aber auf Kosten anderer tut, geht das nicht lange gut.

  • Eine einzige Spritzmaschine für Plastiksandalen der Firma Bata machte im Senegal 5.000 einheimische Schuster brotlos.
  • Billige Industrie-Tomaten aus Holland vertreiben griechische Bauern aus dem heimischen
  • Produktionsstätten wandern in Länder ab, wo niedrige Standards herrschen.

Moderne, und offene Gesellschaften haben drei Leuchttürme, um sich im Nebel der Zukunft zurechtzufinden:
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

– Ein alter Hut, aber alte Hüte sind anderswo und irgendwann vielleicht der „letzte Schrei“.

Die drei Leuchttürme sind nicht gesicherter Besitz. Jede Generation muss die verrußte Lampe putzen und für neuen Brennstoff sorgen.

Freiheit führt in die Sackgasse ohne Gleichheit und Brüderlichkeit.
Gleichheit meint nicht Einheitsbrei, sondern gleiche Chancen in versöhnter Verschiedenheit. Brüderlichkeit heißt Unterstützung der Schwachen durch die Starken.
Rücksicht auf die Langsamen und gerechte Strukturen.

Fortschritte entstehen nicht im Gleichschritt.

  • Sie brauchen Gruppen und Staaten, die vorangehen und ein Beispiel setzen.
  • Sie brauchen keinen Oberlehrer mit moralisierendem Ton, an dessen Wesen die Welt genesen soll.

Kürzlich gab es im Dom zu Münster ein Treffen bedeutender Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Kultur.
Sie, Herr Laschet, waren dabei und sprachen über „Solidarität in Europa – eine enttäuschte Hoffnung?“

Es gibt Utopien, die sind mehr als Wolkenkuckucksheim.

Was uns als utopisch erscheint, ist oft Denkblockade. Es ist aufgestaute Realität.
Radikale Veränderung ist im Gang.
Niemand kann sie rückgängig machen.
Verantwortungsvolle Medien könnten dumpfe Angst in Erzählungen auflösen, Kriterien und Maßstäbe entwickeln.

Vorausschauende Politik kann global denken und lokal handeln.
Neue Akzeptanz entsteht nicht durch die Verlautbarungen einer fernen Bürokratie, sondern im greifbaren Nutzen vor Ort.

 

Die BAPP kann dabei ihre Rolle spielen.

  • Sie kann Voraussetzungen und mögliche Wege erforschen.
  • Sie kann Ort und Gelegenheit bieten für den nötigen Diskurs.
  • Sie kann dolmetschen zwischen Theorie und Praxis, unterschiedlichen Blickwinkeln und Gruppen, die schon meinten, sie hätten sich nichts mehr zu sagen.

Wir können die Widersprüche erkennen.
Wir können sie nicht abstellen.

Unser heutiger kundiger Redner und unsere fantastischen Gäste – Frau Anja Bröker (der ich herzlich danke) wird sie gleich vorstellen – stellen eines ganz gewiss sicher:
In zwei Stunden werden wir klüger sein, als wir es jetzt sind.
Dafür vorauseilenden Dank.

Lieber Herr Laschet,

wir freuen uns auf Ihren Vortrag und auf die anschließende Diskussion.