„Gehört der Islam zu Deutschland?“ Stiftungstag – Brost-Stiftung, 08. September 2016

Gedenkveranstaltung – Einführung von Prof. Bodo Hombach

zur Keynote von Christian Wulff
Bundespräsident a.D.

„Gehört der Islam zu Deutschland?“

Zeche Zollverein, Erich-Brost-Pavillon, Essen

  1. September 2016

Verehrter Herr Bundespräsident,

verehrte Damen und Herren,

es gibt jedes Jahr einen festlichen „Brost-Tag“. Die raue Wirklichkeit kennt 365 „Brost-Tage“. Das Vermächtnis von Anneliese ist kein „Sofakissen“ für „hohen Besuch“. Der Alltag ist Ernst-Fall – ist Stiftungs-Fall. Wir verwalten ein Werkzeug, ein Projekt, das beständig wichtiger wird. „Denn“, wie Brecht einmal schrieb: „die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich, und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.“

Unseren Stiftungssinn hat der Vorsitzende Prof. Dr. Heit wunderbar auf den Punkt gebracht: Fördern, was den Menschen hilft – unterstützen, was der Gemeinschaft dient.

Bei der Eröffnung der Ruhr-Triennale – in Sichtweite von hier – sagte die Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels Carolin Emcke: „Wie lässt sich dieses Klima der öffentlichen Verrohung erklären, diese unfassbar entgrenzte Schäbigkeit, mit der hier, in unserer Demokratie, aber auch an anderen Orten in Europa gehetzt und agitiert wird?“

Wenn sie auch nur ansatzweise Recht hat, stellen sich Fragen, die wir eigentlich für erledigt hielten:

Welche Eigenschaften wollen wir für die Gesellschaft unseres Staates? Welche streben wir für Europa an? Welche sollen in der globalen Weltgesellschaft gelten? Noch vor kurzem hätte man sich auf mindestens vier geeinigt: freiheitlich, friedlich, solidarisch und weltoffen. Sicher hätten die Brosts so geantwortet.

Aber: Das Konzept einer humanen und offenen Gesellschaft erscheint utopischer als es schon einmal war.

  • Sorge um Sicherheit wird drängender als der Wunsch nach Freiheiten.
  • Kalter Krieg kriecht heran. Wettrüsten ist angesagt. Konfliktherde nehmen zu und laufen heiß.
  • Solidarität und Weltoffenheit leiden unter neuen Zäunen und Abschottungstendenzen.

Wir wollen hier ergründen, ob der Islam zu Deutschland gehört.

Auf dem Weg hierher kam mir die Frage: Wollen wir das wirklich wissen? Geht es um historische Fakten oder um eine politische Meinung? Kann man sachlich darüber reden, oder werden Leidenschaften losgelassen? Will man sich selbst bestätigen, oder lässt man sich auf neue Erkenntnisse ein?

Mit bloßer Erkundung von Sachverhalten wäre die Stiftung unterfordert. Sie fragt sich: Gibt es – trotz heftiger Kontroverse in der Sache – einen Konsens der Umgangsformen? Was kann sie dazu beitragen, dass Wege und Türen offenbleiben?

Deshalb macht sie dieses Thema zum Programm ihres Stiftungstages. Deshalb lädt sie einen bedeutenden Gast ein. Der hatte den Mut, in einer abgleitenden Debatte ein klares Wort zu sagen. Deshalb sage ich – auch in Ihrem Namen: Herzlichen Dank Herr Bundespräsident Wulff, dass Sie für uns ins Ruhrgebiet gekommen sind.

Mit ein paar historischen Splittern möchte ich Ihnen – der sie jetzt an der Uni Duisburg lehren – den Weg ebnen:

Die früheste deutsch-islamische Begegnung reicht in das Jahr 777 zurück. Damals schloss der Frankenhäuptling Karl mit dem Statthalter von Saragossa einen Beistandspakt. Der Sultan von Bagdad schenkte Karl eine unschätzbare Kostbarkeit: einen weißen Elefanten. Der überstand die abenteuerliche Reise nach Aachen. Acht Jahre lang führte Karl ihn bei allen Kriegszügen mit. Die Gegner waren schwer beeindruckt.

Das europäische Mittelalter war von arabischer Kultur geprägt.700 Jahre lang war das maurische Spanien die maßgebende Hochkultur. Arabische Wissenschaftler retteten antike Schriftsteller vor dem Vergessen. Aristoteles wurde durch sie zum „13. Apostel“ der scholastischen Philosophie.

Der Vater der modernen Verfassungen Montesquieu beschrieb reichlich Impulse aus dem Orient für die europäische Aufklärung.

Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. ließ in Potsdam eine Moschee für türkische Söldner seiner Garde errichten. Ein türkisches Regiment gehört traditionell zur preußischen Militärgeschichte.

Den Sarkophage Saladins in Damaskus konnte ich zweimal besuchen. Die Restaurierung der Grabstätte wurde 1898 von Kaiser Wilhelm II. gestiftet. Was wird heute dort sein?

In Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ist es der „edle Türke“, der am Ende auf seine Rache verzichtet und Raum für Liebe und Versöhnung gibt.

Lessings „Nathan“ führt Juden, Christen und Muslime auf der gemeinsamen Ebene von Humanität und Toleranz zusammen.

Goethe der Gigant der deutschen Literatur war der islamischen Geisteswelt leidenschaftlich zugetan.

In seinem „West-östlichen Divan“ besingt er einen persischen Dichterkollegen aus dem 14. Jahrhundert mit tiefster geistiger Nähe.

Dass du nicht enden kannst, das macht dich groß,

Und dass du nie beginnst, das ist dein Los.

Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,

Anfang und Ende immerfort dasselbe,

Und, was die Mitte bringt, ist offenbar

Das, was zu Ende bleibt und anfangs war.

 

Und mag die ganze Welt versinken,

Hafis mit dir, mit dir allein

Will ich wetteifern! Lust und Pein

Sei uns, den Zwillingen, gemein!

Wie du zu lieben und zu trinken,

Das soll mein Stolz, mein Leben sein.

 

Nun töne Lied mit eignem Feuer!

Denn du bist älter, du bist neuer.

 

Zurück in unseren Alltag:

Nach dem 2. Weltkrieg wuchs der Anteil der muslimischen Bevölkerung in der Bundesrepublik durch Flüchtlinge und Arbeitsmigranten vor allem aus der Türkei. Heute haben mehr als vier Millionen Bürger einen muslimischen Hintergrund. 10 bis 15 Prozent sind in Moscheevereinen organisiert. Der Grad ihres religiösen Engagements ist so unterschiedlich wie der anderer Bekenntnisse. So gesehen ist das Integration in die Mehrheitsgesellschaft.

Zweifellos gehört der Islam zur Weltkultur – zweifellos zu Deutschland. Pegida-Demonstranten sollten darüber nachdenken, ob ihr Deutschlandbild zur Weltkultur gehört.

Bundespräsident Christian Wulff hat eingemeißelt: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Hassprediger, Frauenverächter, „Ehrenmorde“ und über allem der IS-Terror mit Schreckensmeldungen von unerträglicher Wucht gehören nicht zu Deutschland. Wenn wir hören: „Das gehört auch nicht zum Islam“, hören wir das mit Sympathie und Zuversicht.

Es schwer, aber dringlich, Ursachen und Zusammenhänge wachsender Spannungen in diesem Themenkomplex zu ergründen. Differenzierung tut not.

Ich begrüße noch einmal herzlich den Herrn Bundespräsidenten. Wir freuen uns auf Ihre Worte. Wir haben großartige Gäste gleich auf dem Podium und auch im Saal. Wir haben einen wunderbaren und erfahrenen Moderator, Herrn Dr. Burgard, der unsere Podiumsgäste genauer vorstellen wird. Die Akteure nach mir garantieren uns:

Wir werden in zwei Stunden klüger sein – als wir es jetzt sind!

Dafür meinen vorauseilenden Dank.