„Kalter Frieden – die deutsch-russischen Beziehungen im Wandel“ – BAPP, 4. Februar 2016
Sehr verehrte Damen und Herren,
ich heiße seine Exzellenz, Herrn Grinin, Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland herzlich willkommen. Sie sind seit 45 Jahren an wichtigsten diplomatischen Brennpunkten erfolgreich tätig. Wie kaum ein anderer können Sie auch Auskunft über den Stand der deutsch-russischen Beziehungen geben. Großen Dank dafür, dass Sie uns Ihre Sicht darlegen werden.
Herr Pofalla leitet den Petersburger Dialog. Schwierige Aufgaben scheint er zu suchen. Der frühere Generalsekretär und Bundesminister widmet sich nun dem Thema Wirtschaft, Recht und Regulierung bei der Deutschen Bahn AG. Mir fällt keine komplexere Aufgabe ein, die es zu lösen gilt.
Dagegen scheint unser Thema ein Spaziergang.
Ich begrüße Herrn Prof. Dr. Ischinger. Staatssekretär, Botschafter in wichtigsten Missionen und nun Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Die entwickelte sich zur bedeutenden Clearingstelle für Internationale Beziehungen. Nebenbei sind Sie Ideengeber im Beirat unserer Akademie. Dank und herzlich willkommen!
Moderator der Diskussion ist Michael Krons. Der leitende Redakteur beim Sender für kluge Köpfe: PHOENIX. Auch Ihnen Willkommen und Dank.
Meine Damen und Herren,
zum „Ersten“: Unser Treffen ist bedeutsam: Es ist zustande gekommen. Wer das so formuliert, unterstellt „Zweitens“: Das ist nicht selbstverständlich. Das beweist „Drittens“: Es ist notwendig und kostbar.
Ich habe mir sagen lassen: Das russische Wort für Deutsch oder Deutsche wurzelt in „nemoy“ – also „stumm“. Die Wurzeln reichen in die Geschichte.
Peter der Große wollte sein Modernisierungsprogramm voranbringen. Er holte auch deutsche Handwerker nach Moskau. Man könnte sagen, die waren „mundfaul“. Man nannte sie die „Stummen“.
Hier wird geredet, möglichst konkret. Wir fragen „Wo stehen wir?“ Wir fragen: „Wo wollen wir hin?“ – Wir fragen: „Welches sind die nötigen Schritte?“ Ein Schritt ist nicht die Lösung, aber – auf dem richtigen Weg – bringt er uns der Lösung näher.
Man kann nicht daran vorbei reden: Die deutsch-russischen Beziehungen sind nicht nur im Wandel. Sie waren schon einmal besser. Auf der politischen Ebene sammeln sich konflikthafte Aspekte. – Medien nutzen das. Hohe Erregungswerte – hohe Klickzahlen. Über Gründe und Hintergründe werden wir Kompetentes hören.
Ein Grund ist entbehrlich: gegenseitiges Missverstehen. Natürlich gibt es Erfahrungen und Interessen für unterschiedliche Bewertungen. Sachen sind auch Ansichtssachen. – Aber: Missverständnisse müssen nicht sein.
Wo es die gibt, fehlte die Bereitschaft zuzuhören. Es fehlte erst recht daran, Dinge auch durch die Augen des Anderen zu betrachten.
Die Forderung von Thomas von Aquin geht weit: „Ich darf meinem Meinungsgegner erst dann widersprechen, wenn ich das beste seiner Argumente überzeugender vortragen kann als er.“
In dieser hohen Kunst habe ich es auch noch nicht weit gebracht. Stellen wir uns aber vor, der Satz würde von den wichtigsten Akteuren nur einmal jährlich ernst genommen. – Die Weltgeschichte nähme einen anderen Verlauf.
In der festgefahrenen Situation des Kalten Krieges suchten Pragmatiker Spielräume. „Wandel durch Annäherung“. Das baute Ängste ab. Das weckte Hoffnungen. Moderneres Denken erkannte: Europäische Sicherheit entsteht nicht gegeneinander, sondern miteinander.
1989 gab es euphorische Träume. „Der Frieden bricht aus“ titelte einer. Sir Peter Ustinov seufzte fröhlich: „O Gott! Wir müssen lernen, ohne Feinde zu leben! Ein Zustand, den es seit Anfang der Menschheit nicht gab.“ Man orakelte vom „Ende der Geschichte“.
Aber: Historische Errungenschaften sind kein gesicherter Zustand. Sie bleiben Prozess. Ein neu geborenes Baby ist so dumm oder klug wie ein Neandertaler Baby. Erfahrungen und Erkenntnisse müssen vermittelt werden. Genetisch vererbt werden sie nicht.
Es wurde einiges versäumt. Einige gebärdeten sich als Sieger. Sie machten es der anderen Seite schwer, sich nicht als Verlierer zu fühlen. Kalter Krieg wurde Kalter Friede. Deutsch-russische Beziehungen blieben unter ihren Möglichkeiten. Es gab durchaus neue Gedanken, aber wenig neues Denken. Das steht uns noch bevor.
„Die Welt ist aus den Fugen.“ Hamlets Satz wird gegenwärtig oft zitiert. Ängstliche flüchten hinter alte Mauern mit ihren Schießscharten. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Gelassenheit wäre besser.
Während seiner Urlaubsreise besichtigte ein Klempner die Niagara-Fälle. Er schaute sich das Tosen eine Weile an. Er nickte bedächtig und sagte wie sonst auch: „Okay, das muss ich in Ordnung bringen!“
In diesem Sinne freue ich mich auf die folgende Diskussion. Wir alle werden den Saal klüger verlassen als wir ihn betreten haben. Dafür vorauseilenden Dank.