„Entwicklung in China und die chinesisch-deutschen Beziehungen“ – BAPP, 28. Januar 2016

Sehr geehrter Herr Botschafter, Exzellenz,
wertgeschätzte Magnifizenz,
sehr verehrte Damen und Herren,

Peter Ustinov war humorvoller Menschenfreund. Er erzählte erlebte Geschichte. Als UNESCO-Botschafter besuchte er einen Kindergarten in China. Er konnte kein Chinesisch. Wie sollte er sich verständlich machen? Als er die vielen Kinder sah, hatte er eine Idee: Er ließ sich auf alle Viere nieder. Er spielte einen Hund. Er bellte, jaulte, kläffte, mal fröhlich, mal traurig. Die Kinder kapierten sofort. Auch sie krabbelten bald auf dem Boden. Sie bellten und jaulten und rieben sich an dem dicken Mann. Sie ritten auf seinem Rücken. Es entstand Chaos. Die Verständigung war vollkommen. Schließlich machten die Erzieherinnen mit. Zuletzt die politischen Begleiter. – Es wurde ein unvergessliches Erlebnis.

So ist das. Man muss gemeinsame Sprache finden. Es gibt Besseres als Worte. Begegnungen zum Beispiel. Man erlebt sich persönlich, mit Gesicht, Stimme und Eigenschaften – spontan, unmittelbar, lebendig. Nichts ist hilfreicher als gemeinsame Interessen und Risiken. Davon gibt es genug.

Unser Kontinent erlebt eine schwierige Phase. Vieles steht in Frage. Dabei schien eigentlich alles gut geregelt. Auch China steht vor großen Herausforderungen. Wir leben auf einer Weltraumstation namens „Erde“. Was irgendwo geschieht, betrifft alle. Man macht Erfahrungen, die auch für andere nützlich sind. Vernünftige rücken zusammen und tauschen sich aus.

Wir können die Welt nur als Konstruktion unserer Sinne und unseres Verstandes sehen. Das bedeutet auch: Die Welt ist so, wie wir sie wollen. Guter Wille macht sie gut. Böser macht sie schlecht. Wir müssen uns nicht damit abfinden, wie sie uns im Augenblick erscheint. Wir können sie uns so vorstellen, wie wir sie uns für unsere Kinder und Enkel wünschen.

Lange war China für uns ein Buch mit sieben Siegeln. Es erschien als gewaltiges, um sich selbst kreisendes Reich. Eine uralte Zivilisation mit ganz eigenen und schwer zu verstehenden Merkmalen.

Heute ist es ein spannendes Entdeckungs- und Lernbuch. Darin gibt es unendlich viel zu entdecken. – Täglich verdichten sich Verbindungen. Internationale Verständigung ist immer ein Lernprozess. Es geht nicht ohne persönlichen Einsatz. Manchmal braucht es Geduld. Immer braucht es Offenheit. Die Bereitschaft, sich selbst mit den Augen des Anderen zu betrachten ist, unverzichtbar.

Bei meinen Reisen in China staune ich über innovative Kraft und Durchsetzungswillen der jungen Generation. Man ist neugierig und kommt schnell zur Sache.

Gleichzeitig beobachte ich eine bewundernswerte Fähigkeit, mit Spannungen und Widersprüchen zu leben. Die sind unvermeidlich in einer schnell wachsenden Volkswirtschaft. Alt und Neu stoßen hart zusammen. Beinahe täglich muss man Neues lernen, um Modernes zu verstehen.

Im alten Europa ruhen sich einige gern auf Erfolgen aus. Es kann passieren, dass sie die Zukunft verschlafen.

Menschen leben in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Man darf sie nicht überfordern. Sonst stellen sie sich auf die Bremse. Wer Neues nicht fördern kann, kann es immer noch behindern.

Jüngst brachte eine chinesische Trägerrakete erfolgreich einen Satelliten ins All. Eine bewundernswerte Leistung. Auch für uns ist es nützlich. Wir werden nicht mehr nur auf Amerikaner, Franzosen oder Russen angewiesen sein, um deutsche Satelliten ins All zu bringen. – Wie man die Börse ins Taumeln bringt, müssen wir nicht in China lernen. Das können wir im Westen schon lange.

Unsere Länder sind als Partner eine wichtige Struktur des Welthandels. Ein echter Dialog umfasst aber mehr als nur ökonomische Beziehungen. Es geht nicht nur um Wachstum und Bilanzen. Es geht auch um Lebensqualität, um ein Bewusstsein von der Begrenztheit der Ressourcen und Zerbrechlichkeit unserer Systeme.

Ich bin sehr froh, dass dieser Dialog in Gang ist. Das „Baby“ ist jung und braucht Pflege. Aber es berechtigt zu großen Hoffnungen.

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