„Deutschland unter Strom – Wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus“ mit Sigmar Gabriel“ – BAPP, 1. Oktober 2015

Sehr verehrte Damen und Herren,
wertgeschätzte Gäste,
Magnifizenz, Ihnen ein besonderer Dank.
Dass Sie dieses Treffen persönlich eröffnen,
zeigt Wertschätzung für unser Thema.

Es ist auch Beleg für die Integration der BAPP in diese traditionsreiche Universität.

Die Zeugenschaft von Herrn Dr. Müller und Herrn Dr. Engel – den motivierenden und manchmal treibenden Vorsitzenden unseres Kuratoriums – können wir als Erdung unseres Nachdenkens in der realen Welt unterstellen. Herr Minister Gabriel war schon bei der Eröffnung der Akademie dabei. Auch er ein sehr gern gesehener Gast.

Gegenwärtig wird das grundstürzende energiepolitische Geschehen in der Wahrnehmung überlagert. Euro, Griechenland, Ukraine, die Flüchtlingsströme und deren Ursachen im Nahen Osten drängen sich auf. Das ändert gar nichts an der Relevanz unseres Themas. Der anstehende Klimagipfel wirft Schatten und Lichter voraus. „Dekarbonisierung“ ist ein Schlachtruf mit Widerhall und -haken. Große Volkswirtschaften wie China und die USA üben die Rolle der Umkehr und der Buße. An Attitüde und Appell wird es nicht fehlen. Die breite emotionale Welle: „Das schaffen wir!“ am Anfang unserer Energiewende ist abgeebbt.
Das noch vorhandene mehrheitliche nüchterne „Ja“ ist erhaltungsbedürftig.

Nichts überzeugt mehr als die Praxis. „Politik ist die Kunst des Möglichen“. Der Satz wird oft wiederholt. Das macht ihn verdächtig. Durch inflationären Gebrauch erstarren richtige Sätze zur Formel. Sie werden
– Klischee,
– Platzhalter
– und Textbaustein.
Dann verkommen sie zum Blanco-Scheck.

Die, die Neues für unmöglich halten oder nicht wollen, nutzen das. Die ignorieren das Schlüsselwort des Satzes: nämlich „Kunst“. „Kunst“ ist nicht Handwerk und Buchführung.
Es ist auch:
– radikales Wollen, Vorstoß ins Unbekannte,
– kreative Fantasie, die neue Ausdrucksformen sucht.

Kunst ist vorgezogene Utopie. Sie findet Worte für Unsagbares. Dann ist es nicht mehr unsagbar. Sie findet aber realistische Wege und praktische Gestaltungen. Das gibt einer zündenden Idee eine dauerhafte Perspektive, wie etwa eine Stiftung sie hat.

Bei der Energiewende geht es um die Kunst des Möglichen. Da wir über das Mögliche und selbst über das Nötige heftig streiten, bedarf es großer politischer Kunst.

– Die lockert oder überspringt Blockaden.
Dr. Müller hat das mit dem frühen Energiekonsens schon vorgemacht.

– Energiegeladene politische Kunst durchbricht den Teufelskreis unserer Lieblingsthesen.
Die mästen sich an wiederkäuenden Bestätigungen.

Dass es seine Energie weckt und ihn beflügelt, wenn der Weg steil und steinig ist, hat Sigmar Gabriel längst bewiesen.

Das „Ob“ der Energiewende ist gesetzt – das „Wie“ ein kurvenreicher Weg. Das ist kein Dilemma. Das wollen uns notorische Rechthaber einreden. Es ist Chance. Es hilft, noch unbekannte Möglichkeiten zu entdecken. Wenn Fehler passieren, ist es fruchtbar, sie zuzugeben und zu analysieren. Man kann Gutem nicht schlimmer schaden, als es mit schlechten Mitteln zu verteidigen. Die Evolution macht es vor. Sie setzt nicht auf glatte Formeln, sondern auf Vielfalt der Alternativen. Der Umweg ist oft die kürzeste Verbindung.

In einem Essay des klugen Sigismund von Radecki habe ich mir angestrichen: „Manche Irrtümer kamen durch so langes und heftiges Ringen zustande, dass man sie nur auf Knien beklagen darf.“

Das nenne ich weisen Respekt vor der Fehlbarkeit des Menschen. Da wir die zukünftigen Schritte nicht kennen, wenn wir den ersten tun, hilft das Prinzip „trial and error“. Ich hörte die Geschichte vom Bauern, dessen Ernte zu vertrocknen droht. Er bittet den Pfarrer als den Fachmann, um Regen zu beten. Der verspricht es. Als sich nach Tagen noch immer kein Wölkchen zeigt, erinnert ihn der Bauer energisch an das Versprechen. „Ich bitte um Geduld“, sagte der Pfarrer. „Ich werde beten, aber zurzeit steht das Barometer noch zu hoch.“

Pragmatismus, geduldiges Abwägen – bei aller Leidenschaft – und dem Barometer den nötigen Spielraum lassen: Das wäre ein guter Geist für die deutsche Energiediskussion.
Unsere hochkarätigen Gäste stehen für neue Erkenntnisse, Anregungen, neue Sichtweisen,
gute Argumente und interessante Perspektiven.

Vielleicht gelingt es dem einen oder anderen von uns, eine lieb gewonnene These abzulegen.
In zwei Stunden werden wir klüger sein als wir es jetzt sind.
Auch dafür Dank.

Im Sinne meiner Heimat:
Glück auf! Der Steiger kommt!
Herr Minister, sie haben das Wort!

Als PDF herunterladen