Peter Radunski „Aus der politischen Kulisse – Mein Beruf zur Politik“ – Rezension, 20. Juni 2015

Wir saßen einmal zusammen und versuchten, herauszufinden, was ihn, den ehemaligen CDU-Wahlkämpfer und mich, den noch ehemaligeren SPD-Wahlkämpfer politisch-sachlich trennt. Vielleicht lag es am Wein, vielleicht auch daran, dass wir uns gegenüber saßen: Wir fanden lange nichts. Offenbar gab es immer einen Blickwinkel, auf den man sich verständigen konnte und jenseits parteipolitischer Gefolgschaft und Prägung eine Ebene, auf der man sich nicht durchschaute oder strategisch taxierte, sondern verstand.

Nähe kann nerven. Sie kann aber auch Verständnis wecken. Politik beginnt nicht mit Trillerpfeifen, Verlautbarung oder Sprechchor, sondern mit Dialog und Diskurs. Der funktioniert nur, wenn beide Seiten fähig und bereit sind, den anderen aus seiner Erfahrung „wahr“-zunehmen. Wahr-“nehmen“, das heißt ja auch, wirklich wissen wollen, was ihn bewegt, ängstigt, beflügelt. – Elias Canetti schrieb einmal: „Wen man schlafen sah, den kann man nie mehr hassen.“

Mündlich kommunizieren ist besser als chatten. Vieles, was im medialen Sekundärbereich als „unüberbrückbarer Gegensatz“ erscheint, ist Pose und künstlich hochgeschrieben. Nichts übertrifft das gesprochene Wort. Es macht die Starken stärker und die Schwachen ängstlich und blass. – Übrigens, am Ende war es die Familienpolitik, wo Radunski doch noch in die Ketten ging. Wir trennten uns, nicht einig, aber mit einem weiträumigen Separatfrieden.
Peter Radunski war einer der großen Wahlkämpfer, die nicht demobilisieren, sondern überzeugen, motivieren und aktivieren wollten.

Er hat ein Buch geschrieben, „sein“ Buch, denn der CDU-Powermann“, Wahlkämpfer, Strippenzieher und umtriebige Zeitgenosse von 50 Jahren politischer Landschaftspflege gibt zu Protokoll, was ihm äußerlich widerfuhr und was ihn innerlich bewegte. Der Leser begleitet ihn von den Lehr- und Wanderjahren auf den politischen „Erprobungsfeldern“ der 1960er Jahre über die Parteiarbeit im Kanzleramt und durch die Leiden und Freuden des Berliner Senators für Wissenschaft und Kultur bis in die Wende und Nach-Wendezeit.

Ein Mann der Zweiten Reihe. Aber genau dort fallen oft die wichtigen Entscheidungen. Dort werden sie vorbereitet, sachlich, juristisch, strategisch und – besonders wichtig – optisch. Der Heldentenor auf der Bühne ist wenig ohne seine Beleuchter, Kulissenbauer, Inspizienten und Souffleure. Wenn er zur Feder greift oder in dieselbe diktiert, steht meist im Untertitel: „Was ich immer schon einmal verschweigen wollte.“ – Der Beobachter in der Kulisse darf die Redlichkeit sehr viel weitertreiben, mindestens bis an den Rand der Loyalität.

Der Historiker muss sich gedulden. Der Autobiograph hat den Vorteil, seine Akten nicht 30 Jahre verschließen zu müssen. Radunskis Buch ist nicht Abrechnung, aber Rechenschaft, weniger vor der Geschichte als vor sich selbst. Oft sind es Bruchstücke, manchmal frisch aus dem Zettelkasten, aber (wie weiland bei Goethe) solche „einer großen Konfession“. Trotzdem immer bereit, an der Realität zu scheitern.

Darin liegt sein Mehrwert für den Leser. Dieser subvokalisiert die eigene Zeit, und siehe da: Vieles war anders, als es die Schlagzeilen glauben machten. Erfolg und Niederlage entschieden sich oft an lächerlichen Kleinigkeiten. Politik war nicht das Produkt anonymer Apparate, sondern persönlicher Anwesenheit. Der Leser kommt vielleicht als Voyeur im Nachhinein. Das mühsame Ringen um etwas Geländegewinn für das Wohl des Landes könnte ihn jedoch beschämen. Es steht haushoch über dem dumpfbackigen Gemurmel der Nichtwähler und Politikverächter.

„Hast du standgehalten?“ – Diese Frage an sich selbst umrahmt und durchzieht Radunskis Buch. Weniger explizit ist die Zwillingsfrage: „Hast du im rechten Moment auch nachgegeben?“ Peter Radunski müsste sie nicht fürchten. Leben oder Lehre? Intellektuelle Formel oder Erfahrungswissen? Vermutlich beides. Der freilaufende Leser und Demokrat wird sagen: „Solche Bücher zeigen mir nicht nur die zivile Mühsal des politischen Alltags. Sie adeln ihn auch. – Her damit! Weil ich es mir wert bin.“

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