„Wissen ohne Macht – Macht ohne Wissen? Politik und wissenschaftliche Beratung im Lernprozess“ – Handelsblatt, 18. Februar 2015

Wissen ohne Macht – Macht ohne Wissen?
Politik und wissenschaftliche Beratung im Lernprozess

Von Bodo Hombach

Sie stehen vor den Kameras, die „Weisen“ aus Wissenschaft oder Wirtschaft. Sie haben Daten gesammelt, Referenzen verglichen, Formeln aktiviert und alles in einer voluminösen Dokumentation zusammengetragen. Die bemüht sich auch noch um Lesbarkeit und mitvollziehbare Gliederung. – Ein großer Ratschlag und Appell an die Entscheidungsträger, im Parteienstreit nicht die Grundrechenarten zu vergessen.

Das Ritual hat etwas Komisches. Die Körpersprache der Empfänger signalisiert eher Distanz als freudige Neugier. Noch eine Expertise! Wer soll das alles lesen? Und wenn es – Gott bewahre – die jüngsten Parteitagsbeschlüsse oder Koalitionspapiere durchkreuzt? Erst einmal abwarten, was morgen in den Zeitungen steht.

In berufenen Beraterkreisen tragen die Experten Kontroversen aus und ringen um fachlichen Konsens. Daneben gibt es von Berlin bis Brüssel pseudo-wissenschaftliche Angebote en gros der Institutionen, Think Tanks, Komitees und Lobbyisten. Je nach Auftraggeber versuchen sie, politische Prozesse zu fördern, zu modifizieren oder zu blockieren. Ihre Prognosen stehen auf schwankendem Boden. Karl Popper wusste: „Wir wissen heute noch nicht, was wir morgen wissen werden.“

Seriöse Berater wollen den Dialog, aber der wird ihnen häufig verweigert. Inzwischen betreiben sie eigene Öffentlichkeitsarbeit. Eine Wahrheit ist nicht schon dadurch in der Welt, dass sie jemand gefunden hat. Man muss sie argumentativ vertreten und ein geneigtes Umfeld schaffen.
Politiker wissen das längst. Dank ihrer Fähigkeit, Wählerinnen und Wähler anzusprechen können sie Wahlkreise gewinnen. Das macht sie aber nicht zu Experten in kniffligen Fragen der unübersichtlichen Welt. Sie brauchen wissenschaftlichen Input. Ohne begründete Kriterien erliegen sie leicht der Versuchung, nur noch dann zu entscheiden, wenn man ihnen die fettgedruckte Akzeptanz der breitesten Bevölkerungsschicht mitliefert.

Und die Medien? Sie starren auf „Klickzahlen“. Die kriegt man nicht mit wissenschaftlich basierter Aufklärung, sondern mit aufgeschäumter Kontroverse. Da weicht der Experte dem Komplexitätsgewinnler. Der hat das Geschäftsmodell der Hütchenspieler. Er vernebelt seine Interessen. Man soll nicht wissen, sondern glauben. Er verkauft nicht Aufklärung, sondern Erlösung.

Das Publikum hebt oder senkt den Daumen. Es hat wenig Übung in der Unterscheidung der Geister. Expertengläubigkeit schlägt um in Expertenschelte. Die Demontage aller möglichen Autoritäten und Fachleute geschieht mit fröhlichem Halali. Nach Technikpannen, Bankencrash u.a. sind Versicherungsvertreter, Politiker, Journalisten und Experten im Vertrauenskeller. Die Skandalisierungsmaschine rotiert, die Beliebtheitsumfragen anführenden Feuerwehrleute können es alleine aber auch nicht richten.

Moderne Zivilisation entfaltet sich im Dreieck Politik-Wissenschaft-Kultur. Ohne wissenschaftliche Fundierung verliert sich Politik in Parolen. Ohne ein politisches Gegenüber verkümmert Wissenschaft im Elfenbeinturm. Ohne Kultur bleiben beide sinnlos und leer. – Es braucht eine Art „geistiger Logistik“, um Fakten und Faktoren angemessen und zeitgerecht zusammenzuführen. – Funktioniert das System, sind Krisen nicht Katastrophen, sondern belebende Herausforderung. Sie setzen Kräfte frei.

Politik und Wissenschaft haben sich viel zu sagen. Nicht als Star-Theater, sondern im Ensemblespiel. Das muss man üben. Jeder hat in seinem Fach die Hauptrolle. Den einen treibt die ewige Neugier des Menschen. Der andere steht unter dem Zwang, in Konflikt und Dilemma zu handeln. Der eine darf nie seinen Zweifel unterdrücken. Der andere muss zuweilen tun als hätte er keinen. Beratung deckt Widersprüche auf und übersetzt wissenschaftliche Erkenntnis ins Vokabular der Entscheidungsträger. Aus Expertenwissen wird Handlungswissen. Jeder darf vom anderen etwas Unaufgebbares fordern: Verantwortung.

Eines ist tröstlich und herausfordernd zugleich: Die meisten Probleme entstehen im Kopf. Dort liegen die Lösungen, aber leider auch die Blockaden.

Jemand stellte mir folgende Rätselfrage: Was ist das: Tagsüber sitzt man drauf, abends putzt man sich damit die Zähne und nachts schläft man drin? – Ich grübelte ergebnislos, bis er sich erbarmte: „Ganz einfach: Es ist ein Stuhl, eine Zahnbürste und ein Bett.“

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