Vorwort: Akzeptanz in der Medien- und Protestgesellschaft – Universität Leipzig, 27. November 2014

Universität Leipzig:            Beiträge zur Debatte um Akzeptanz, öffentliches Vertrauen, Transparenz und Partizipation

Herausgeber:                         Günter Bentele, Reinhard Bohse, Uwe Hitschfeld & Felix Krebber

Erscheinungstermin:         Herbst 2014

 

Ein Vorwort

Entdeckerfreude, Erfindergeist, Made in Germany. Wir könnten mit uns zufrieden sein, denn Deutschland gehört zu den innovativsten Nationen der Welt. Jedes zehnte Patent kommt aus unserem Land, und die Produkte sind Verkaufsschlager auf den internationalen Märkten. Über 90 Prozent der Wirtschaftsleistung entsteht in mittelständischen Betrieben. Deren Spannkraft und langer Atem hat auch die Turbulenzen der exogenen Krisen abgefedert.

Aber das schöne Selbstbildnis hat Flecken. Während Produktion und Dienstleistung, Wissenschaft und Forschung florieren, kommen große Projekte der Infrastruktur nicht aus den Puschen. Sie springen als Tiger und landen als Bettvorleger. Sie verirren sich im Dschungel der Verwaltung. Ihre Planung verstolpert sich bis zur Lachnummer. Ihre Kosten explodieren. Das ist oft systemisch. Öffentliche Auftraggeber, die die Öffentlichkeit fürchten, setzen die zu erwartenden Kosten bewusst niedrig an. So können sie es leichter, auch in Räten und Parlamenten durchsetzen. So lief es zu oft. Das hat Misstrauen gesät. Und wird in Zukunft einer realistischeren Kostenkalkulation und größerer Ehrlichkeit weichen müssen. Jahrhundertprojekte wie die Energiewende verreiben sich, aber nicht nur deshalb, in falsch gesetzten Regelkreisen. Sprungbereiter Lobbyismus besiedelt das Vakuum der Politik.

Die Chaostheorie erklärt uns die Unvorhersehbarkeit der Vorgänge in komplexen Systemen. Nähert sich die Komplexität moderner Gesellschaften dem Chaos? – Ist deren Derivat dann Entscheidungsangst der Politik und Akzeptanzverweigerung der Gesellschaft? Mephistos Spruch in Goethes „Faust“ hängt offenbar wie eine Selbstverpflichtung über Behörden und Parlamenten: „Drum besser wär’s, wenn nichts entstünde.“

Lamentieren gehört zum Problem und nicht zur Lösung. Wer auf sich hält, fragt nach den Voraussetzungen und Eigenschaften der neuen Situation. Er sucht Schritte, Maßnahmen, Formen, die konkret nötig und realisierbar sind. Und er analysiert die langfristigen Folgen für die Gestaltung des Gemeinwesens, in dem wir leben?

Wenn sich die Politik vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, müssen Unternehmen und Gruppen eine neuartige Kommunikationskultur entwickeln, um wichtige Konzepte gesellschaftsfähig zu machen. Viel Vertrauen wurde zerstört, aber man kann es zurückgewinnen. Die Zauberformel heißt „Transparenz und Partizipation“.

Autokratische Systeme verzichten auf Teilhabe. Widerspruch ist nicht vorgesehen. Widerstand wird geahndet. Das bedeutet ideologische Dogmatik und Verzicht auf mögliche Alternativen. Entscheidungen fallen rasch, denn sie gelten als unfehlbar. Fehlsteuerungen sind deshalb kaum revidierbar. Sie werden mit Machtmitteln durchgesetzt – bis zum bitteren Ende.

Demokratie ist Teilhabe. Sie fördert nicht nur, sie ist das öffentliche Selbstgespräch der Gesellschaft und erzeugt so einen Überfluss an Alternativen. Man kann die (vielleicht) Bessere wählen. Es geht nicht um die schnelle Entscheidung, sondern um den Ausgleich der Interessen. Was sich nicht stört, darf nebeneinander existieren. Nur wenn es sich gegenseitig ausschließt, soll die Mehrheit entscheiden. Die Wege sind langwierig, oft auch langweilig. Aber Experimente sind erlaubt. Sie dürfen sogar scheitern. Fehler werden relativ früh erkannt und ohne große Schäden korrigiert.- Das klingt gut und schön, ist aber mühsam. Die Formel hat Charme, aber sie geht nicht restlos auf.

Es gibt unberechenbare Ereignisse. Gegensätzliche Interessen, weltanschauliche Zielkonflikte und unterschiedliche Wahrnehmungen von Realität prallen aufeinander. Menschliche Schwächen und Irrtümer mischen sich subkutan ein. Im raschen Takt der Wahl-Termine fehlt es an langfristigen Perspektiven. Prestigebedürfnis kollidiert mit Grundrechenarten. Die öffentlichen Kassen sind leer.

Unter dem Stress der Finanz- und Schuldenkrise steigt die Temperatur der Konflikte, oft bis zum Siedepunkt, hoffentlich nicht bis zur Kernschmelze. Gewissheiten und Traditionen stehen auf dem Prüfstand. Parteien und Kabinette delegitimieren sich schleichend. Auch der liquid-demokratische Bürger ist seiner selbst nicht sicher. Umfragen sind morgen das Papier nicht mehr wert, auf dem sie heute stehen. Wichtige Strukturentwicklungen ermüden am Territorialverhalten der Kleingärtner. Die Theorie erscheint ihnen plausibel. Kommt es dann zum Schwur, stehen eher die Preise im Vordergrund. Ein gutes Gewissen ist schön, darf aber nichts kosten.

Zwischen den Fronten: Die Unternehmen und Betriebe. Sie stehen im weltweiten Wettbewerb. Sie haben Umsatzinteressen. Das ist ihre Natur. Sie haben aber auch Know-how und Erfahrung. Sie verfügen über flexible Organisation, Erfindungsreichtum und eine kompetente Belegschaft. Sie brauchen jedoch verlässliche Rahmenbedingungen, und die kommen nicht mehr frei Haus.

Strukturelle Großprojekte werden nicht mehr im Hinterzimmer der Politik besprochen, verabredet und dann durchgesetzt. Sie entstehen nicht nur auf dem Reißbrett, im Labor und Windkanal. Heute sind sie auch das Ergebnis einer klugen und geduldigen Kommunikation. Die beste Idee muss sich erst einmal in einem diffusen Umfeld durchsetzen, das nicht auf sie gewartet hat und ihr oft mit dumpfem Widerstand begegnet. Unternehmen brauchen schon intern ein innovatives Klima, das neue Ideen nicht als Stör- und Kostenfaktor empfindet, sondern als eigentlichen Daseinszweck. Sie sind aber nur dann auch extern erfolgreich, wenn sie die Strukturen der Öffentlichkeit kennen und sich adäquat verhalten. – Was sagt uns das?

Der bisherige Mindeststandard für die Öffentlichkeitsbeteiligung in Genehmigungsverfahren reicht nicht mehr aus. Die bloße Chance, Einwendungen vorzubringen und an einem Erörterungstermin teilzunehmen, kann Konflikten nicht vorbeugen und sie schon gar nicht befrieden.

Der Prozess hat nur dann Erfolg, wenn er von beiden Seiten positiv gesehen und konstruktiv geführt wird. Bürgerbeteiligung ist eben nicht die „bittere Pille“ oder „Durststrecke“, die man hinter sich bringen muss, um endlich wieder freie Bahn zu haben. Die Leute spüren es sehr genau, ob sie nur Statisten sind, oder ob sie mit ihren Sorgen und sachlichen Einwänden ernst genommen werden. Sie wollen ergebnisoffen diskutieren und nicht mit Herrschaftswissen gedemütigt werden, zumal sie selbst oft große Sachkompetenz haben. – Die Kompetenz der Betroffenen haben sie ohnehin.

Eine breite Beteiligung im Vorfeld ermöglicht auch dem Betreiber des Vorhabens, bisher unbekannte Probleme und neue Lösungen zu finden. Teilziele der Skeptiker können im Gesamtkonzept berücksichtigt werden, was ihnen die Zustimmung zum Ganzen erleichtert. Mögliche Konflikte werden erkannt und benannt. Das reduziert die Menge der „Jedermann-Einwendungen“ und verschiebt sie von der Gefühlsebene auf die der rationalen Argumente.

Das bedeutet einen Mehraufwand an Zeit und Geld. Er dient jedoch dazu, das anschließende Verwaltungsverfahren optimal vorzubereiten und so zeitintensive Konflikte zu verhindern. Bei einer Gesamtbetrachtung ist somit auch aus wirtschaftlicher Sicht eine Effizienzsteigerung zu erwarten.

Es gibt Erkenntnishunger und Forschungsbedarf. Es geht um neue Mittel und Wege, aber auch um eine neue Haltung auf beiden Seiten. Die kann man leider nicht einfach einschalten. Man muss sie trainieren. Die meisten Probleme entstehen im Kopf. Was wir für „alternativlos“ halten, ist nur Denkblockade. Wir blicken durch die Schießscharte oder den Tunnel unserer Prägungen, unseres Parteibuchs, der lieben Gewohnheiten und anderer Denkblockaden. Ein kleiner Standort- oder Blickwechsel genügt, und alles sieht anders aus.

Betriebe, die das verstanden haben und sich auch auf diesem Gebiet professionalisieren, sind nicht nur erfolgreicher als andere. Sie leisten einen Beitrag zur Sozialkultur der Gesellschaft.

Einen wichtigen Beitrag leistet auch das vorliegende Buch. Es sammelt Fakten und Meinungen. Es formuliert Thesen und Fragen. Es ist Verstehensversuch und Appell zugleich. Es ist auf der Höhe der Zeit, und das heißt: Es hat einen weiten Blick. – Ich wünsche ihm, wovon es selbst nur träumen kann: Eselsohren und Kaffeeflecken.

Bodo Hombach

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