„Unternehmenskommunikation: Die Notwendigkeit zur Selbsterklärung“ mit Ulrich Winkler (Berater) – HBRS, 21. Oktober 2014

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren Gast, Ulrich Winkler. Er hat Germanistik und Politikwissenschaften studiert und ist Spezialist für interne und externe Kommunikation. 20 Jahre Berufserfahrung in Schaltstellen der Mineralölindustrie mit Stationen bei Aral, VEBA und BP geben ihm das Prädikat „besonders wertvoll“ für unser Seminar. Heute führt er sein eigenes Büro und berät Unternehmen in Krisenfällen. Die Klügeren rufen ihn schon vorher, um solche durch den Aufbau eines geordneten Krisenmanagements zu vermeiden. Schön, dass Sie kommen konnten und herzlich willkommen!

Um seinen Spielraum nicht zu schmälern, will ich nur ein paar einführende Bemerkungen machen. Dabei geht es mir nicht um fertige Erkenntnisse, sondern um eine Art archäologische Grabung in die Historie. Wie jede Spurensuche bedarf sie der Interpretation.

Unser Seminar untersucht einen Verdacht. Es gibt Indikatoren für eine strukturelle Veränderung im Kommunikationsgefüge der Gesellschaft. Entscheidungswege und Abläufe folgen nicht mehr dem klassischen Muster.

Früher wurden Großprojekte der Infrastruktur in kleinen Zirkeln aus Politik und Wirtschaft verabredet und dann mehr oder weniger robust und konsequent durchgesetzt. Visionäre preschten vor, Experten rechneten, zeichneten und konstruierten. Wenn das Modell funktionierte, der Nutzen erkennbar und auch die Finanzierung geerdet war, ergriff die Regierungsmehrheit die Gesetzesinitiative.

Die beteiligten Unternehmen konnten sich auf klare Bedingungen und langfristige Perspektiven verlassen. Die Öffentlichkeit sah Ergebnisse. Sie sah nicht die Prozesse. Wenn die Planung vorgelegt wurde, war sie kaum noch zu beeinflussen. Der Bürger überließ sie den Fachleuten. Bis etwa Mitte der 1960er Jahre des vorigen Jahrhunderts bestand ein Urvertrauen, dass „die da oben“ wissen, was sie tun.

Mit der „68er“ Jugendrevolte kam Bewegung auf. Die neue Generation definierte sich nicht mehr über Krieg und Nachkriegszeit. Sie litt unter den Widersprüchen in der Gesellschaft. Ihre Probleme lagen auf höherem Niveau als Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Sie wollte ihrer Zeit den eigenen Stempel aufdrücken, zunächst allerdings in einer diffusen, manchmal konfusen Befindlichkeit. Oft verhakte sie sich in den erschrockenen Reaktionen des „Establishments“, wie sie die Vätergeneration abschätzig nannte.

Die Palette politischer Ausdrucksformen wurde breiter. In den 1970er Jahren kanalisierte sich die vagabundierende Energie in „Bewegungen“ wie der Frauenbewegung, der Friedensbewegung und der Anti-Atom-Bewegung. Gleichzeitig gab es zahlreiche Bürgerinitiativen mit Volksfestcharakter.

Diese kristallisierten sich jetzt an umstrittenen Großprojekten, noch immer mit Gesinnung und Leidenschaft, aber auch mit einem Zuwachs an Sachkenntnis. Es blieben jedoch überschaubare Gruppen, und sie wurde von den sogenannten „Ordnungskräften“ kurzgehalten. Die „gutbürgerliche“ Mehrheit beobachtete das Gerangel um Kernkraftwerke oder neue Startbahnen ohne Emphase. Die Mehrheit fand sich noch immer damit ab, dass die Maßgaben der Politik „upside – down“ erfolgten und nicht „downside – up“.

Wesentlicher Faktor dieses Grundmusters waren die Medien. Es gab sie nur als „Einweg-Kommunikation“, und zwischen Ereignis und medialer Vermittlung verging viel Zeit. Das machte Spontaneität zum Einzel- und Sonderfall. Die öffentlich-rechtlichen Medien waren viel zu ängstlich und gesittet, um Volkes Stimme ungefiltert zuzulassen. Allenfalls in den Dritten Programmen tauchten neue Sendeformen auf, wo sich nach dem Motto „Anruf erwünscht“ Zuschauer in die laufende Sendung einmischen konnten. Echter Bürgerrundfunk gelang nur im lokalen Bereich der ersten Kabel-Versuche.

Das hat sich mit dem explosiven Auftauchen des Internets radikal verändert. Es ermöglichte jetzt hemmungslose Grenzüberschreitung in allen Bereichen und alle Richtungen. Ich nenne nur vier Eigenschaften:

  • Die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Wahrnehmung in einer denkbar breiten Öffentlichkeit.
  • Der schwellenlose Zugang zu Informationen, auch zum früheren Herrschaftswissen der Macht.
  • Eine rasch anwachsende Ubiquität durch immer mobilere und handliche Geräte.
  • Die Vernetzung gigantischer Nutzermengen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“.

Die politische Klasse brauchte lange, um auf die neuen Verhältnisse zu reagieren oder ihre Bedeutung überhaupt zu erkennen. (Der Fall „Snowden“ zeigt die totale Asymmetrie zwischen dem Einfluss eines einzelnen Kenners und den von ihm vorgeführten Groß- und Supermächten.)

Die Politik ist zutiefst verunsichert. Sie verzichtet – nach meinem Eindruck – auf die dezidierte Gestaltung der neuen Situation. Wir beobachten eine schleichende Selbst-Delegitimierung von Regierung und Parteien. Man wartet ab, man hält hin, man verzettelt sich in verbalem Geplänkel. Man sucht nicht mehr den gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Die anstehenden Jahrhundertaufgaben (Domestizierung der Finanzmärkte, Euro- und Schuldenkrise, EU-Turbulenzen usw.), aber auch die Durchsetzung wichtiger Großprojekte der Infrastruktur wie etwa die Energiewende verheddern sich in den täglich wechselnden Ansagen.

Zugegeben: Auch die Wirtschaft hat in puncto Glaubwürdigkeit noch Luft nach oben. Prestigeprojekte, die als Leuchtturm angekündigt und dann als Glühwürmchen dahindämmern, Bestechungsskandale, Missmanagement und Marktmanipulationen schwächen das Vertrauen.

Und schließlich ist eine überbürokratisierte Verwaltung Teil des Dilemmas. Der Verzicht auf Politik in den gewählten Gremien überlässt ihr eine unangemessen große Macht. Der jährliche Verschwendungsbericht des Bundes der Steuerzahler bleibt ohne Lernzuwachs und Folgen.

Die Schwierigkeiten auf der Entscheidungsebene korrespondieren mit chaotischen Verhaltensmustern an der Basis. Dort werden wichtige gesamtgesellschaftliche Vorhaben zwar theoretisch befürwortet, praktisch aber boykottiert, wenn sie zu Unbequemlichkeiten im Nahbereich führen.

Soviel ist klar: Wirtschaft und Gesellschaft stehen nicht nur vor neuen Aufgaben wie technischen Herausforderungen. Sie stehen auch vor neuartigen Aufgaben. Es geht nicht nur – wie schon immer – um innovative Ideen für erfolgreiche Produkte. Jetzt geht es auch um Initiativen und eine glückliche Hand, um sich für neue Konzepte die Akzeptanz zu besorgen, ohne die auch die besten Ideen nicht mehr durchsetzbar sind. Das technisch Machbare, ethisch Wünschbare und politisch Durchsetzbare stehen in einem komplexen Dreiecksverhältnis. Das Thema heißt „Kommunikation“ und „Dialog“.

Lieber Herr Winkler, wie beurteilen Sie die Situation? Ich frage nicht nur den Wissenschaftler, der die Fakten untersucht und die Faktoren analysiert. Ich frage auch den Hermeneutiker, der verstehen will und das Verständnis in der Öffentlichkeit fördert. – Sie haben das Wort.

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