Bodo Hombach und Ursula Gather zum Ruhrgebiet – Interview BILD-Zeitung, 16. Oktober 2014
Mit welchen Argumenten würden Sie auf einer Tagung von internationalen Nachwuchskräften für das Ruhrgebiet werben?
Gather: Das Ruhrgebiet beheimatet die dichteste Hochschul- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland: Mehrere Universitäten, Fachhochschulen und eine große Zahl ausgezeichneter wissenschaftlicher Institute. Dabei ist das Ruhrgebiet alles andere als verstaubt. Ich erlebe es als modern und innovativ. Eine Region die neue Themen setzt und ganz vorne mit dabei ist in der Produktionstechnologie, bei der Erarbeitung neuer Logistikkonzepte und in Zukunftsfeldern wie Energie, IT- und High Tech. Außerdem ist das Ruhrgebiet nicht erst seit RUHR2010 ein Ort von Kreativität und Kultur. An der Ruhr gibt es ein hervorragendes Angebot: zahlreiche Museen, Festspiele, Opern- und Schauspielhäuser von Rang und Namen. Eine Region am Puls der Zeit – in der ich gerne lebe.
Hombach: Ich würde Nachwuchskräften nicht das Blaue vom Himmel versprechen, aber etwas Besseres: eine Region, die man mitgestalten kann und die kreative Köpfe braucht. Hier sind die Probleme oft interessanter als anderswo die Lösungen. Hier leben fünf Millionen Menschen. Hier kann man günstig wohnen und kostenlos studieren. Wir haben eine starke Hochschul- und Forschungslandschaft. – Frau Gather sagte es. – Es gibt Kontakte in alle Welt und gute Jobs. Einstiegsgehälter, Aufstiegschancen und Lebensqualität scheuen keinen Vergleich. Wer weiß, was er will und die Chancen nutzt, hat nur noch ein Hindernis: er selbst.
Gibt es eine Initiative/Innovation aus der Wirtschaft der Region, die Sie als uneingeschränkten Erfolg bezeichnen würden?
Gather: Selbstverständlich. Hier gibt es viele Beispiele. Als Dortmunderin nenne ich den Technologiepark Dortmund, in dem bereits jetzt mehr als 280 High-Tech-Unternehmen und Dienstleister mit Forschungseinrichtungen der Region Dortmund kooperieren und unmittelbar mehr als 8.500 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Hier haben sich darüber hinaus große bekannte Unternehmen angesiedelt. Damit ist der Technologiepark Dortmund nicht nur Deutschlands größter, sondern auch ein Beispiel dafür, wie innovationsgetriebenes Wirtschaftswachstum im Ruhrgebiet aussieht.
Hombach: Ich ergänze: Das EffizienzCluster LogistikRuhr bringt über 120 Unternehmen, elf Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Wirtschaft und Wissenschaft erfolgreich zusammen. Investiert wurden ca. 100 Millionen Euro. Sie verteilen sich auf 33 Verbundprojekte. Die tatsächliche Wertschöpfung ist noch höher: Mit 5.700 Logistik-Unternehmen und 160.000 Fachkräften ist das Ruhrgebiet Deutschlands Logistik-Standort Nummer 1. Ein wichtiges Produkt ist „Nachhaltigkeit“ und „Ressourceneffizienz“. Hier wollen wir uns von niemandem übertreffen lassen.
Welche Leuchttürme sehen Sie – oder geht das Licht bald ganz aus? Taugt der Pott bald nur noch als Freilichtmuseum mit renaturierten Zechengeländen und Kultur-Denkmälern?
Gather: Wir sollten uns eben nicht zum Freilichtmuseum machen. So ästhetisch die Silhouette der Zeche Zollverein ist, wenn wir sie stets als Symbol des Ruhrgebiets verwenden, dürfen wir uns über die Assoziationen anderer nicht wundern. Zechentürme sind natürlich Teil des Ruhrgebiets, aber eben auch Anderes. Das Schauspielhaus in Bochum, die Philharmonie und das Folkwang-Museum in Essen, das Ballett und Konzerthaus in Dortmund zählen zu den sehr renommierten Häusern in Deutschland. Das Dortmunder „U“ mit seinen modernen LED-Bewegtbildern ist neues Wahrzeichen der Stadt – und weithin sichtbar. Lassen Sie uns solche Bilder vom fortschrittlichen Ruhrgebiet zeigen: Kultur und Sport in der Region, Bilder von Hörsälen mit jungen Menschen und moderne Architektur.
Hombach: Den „Pott“ gibt es nicht mehr, und an Leuchttürmen fehlt es nicht. Noch wichtiger: Es gibt nützliche Laternen, kleine und große. Frau Gather nannte einige. – Die Museumslandschaft ist nicht „museal“. Die Industriekultur dokumentiert Geschichte. Sie ist aber nicht „gestrig“, sondern Schauplatz innovativer Kunstkonzepte. Ein grandioses Bespiel: der Gasometer von Oberhausen. – Der Rohstoff der Zukunft steckt in den Köpfen. Die Wertschöpfung der nächsten Generation kommt aus den Hochschulen, mit Hebelwirkung durch Kooperation und Allianzen auf internationaler wie regionaler Ebene.
Angeblich hat die Region Essen und Umland Spitzenwerte beim Stichwort „Aufschwung“ im bundesweiten Vergleich…?
Hombach: Mit der RWE AG, der ThyssenKrupp AG, ALDI Nord, der HOCHTIEF AG und der Schenker AG haben fünf der 50 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands ihren Hauptsitz in Essen (München rangiert auf Platz zwei). Die Stadt bleibt größter Arbeitsplatzstandort im Revier und drittgrößter in NRW. 2012 waren das über 224.000 Einzahler in die Sozialkassen. Tendenz steigend. So auch bei den Einpendlern aus dem Umland. Im Stichjahr 2012 waren das fast 116 Tausend, doppelt so viele wie aus Essen ins Umland pendeln. Das kann man morgens und abends auf den Verkehrsachsen erleben.
Wäre es nicht sinnvoll, ähnlich dem Beispiel der Sorbonne in Paris oder der University of California eine große Universitäts-Allianz zu bilden unter einem Dach, etwa einer einzigen „richtigen“ RUHR-Uni, die mit dann zusammen über 100.000 Studierenden an den verschiedenen Standorten eine auch im internationalen Vergleich bedeutsame Größe darzustellen?
Gather: Bereits jetzt bilden die drei Ruhrgebietsuniversitäten die Universitätsallianz Ruhr. Sie arbeiten in Lehre und Forschung zusammen, haben gemeinsame virtuelle Fakultäten und viele große Verbundprojekte. Die Studierenden genießen kostenlosen Zweithörerstatus und einen gemeinsamen Studierendenausweis. Dieser Verbund ist gelebter Alltag. Er macht uns zweifelsohne stärker und alle profitieren davon. Daher werden wir den Verbund weiter vorantreiben. Drei Universitäten organisatorisch zu einer einzigen großen Massenuniversität mit über 100.000 Studierenden zu verschmelzen ist hingegen nicht nur gegen den Trend, sondern auch nicht effizient. Schiere Größe ist kein Vorteil im Wettbewerb. Wir müssen flexibel, profiliert und innovativ sein, um uns in diesem zu behaupten.
Hombach: Vieles wurde schon erreicht. Aber besser ist es, Ziele zu haben. Wir haben 21 Unis und Hochschulen, aber das Entscheidende geschieht in den Zwischenräumen. Studierenden und Forschern bieten die Allianzhochschulen optimale Möglichkeiten zur Kooperation und Vernetzung. Wir unterstützen gemeinsame Forschungsprojekte, die unter dem Dach der Allianz entwickelt werden und verbessern Infrastruktur und Service. Übrigens mit privaten Geldgebern: Die Stiftung Mercator fördert diesen Prozess.
Im Jahr der Kulturhaupstadt wurden Kunst und Kreativwirtschaft als Treiber der Zukunft gepriesen. Wo ist diese Kreativwirtschaft?
Hombach: Kulturhauptstadt war ein touristischer Erfolg, der noch heute anhält: In der ersten Jahreshälfte 2014 reisten 1.8 Millionen Menschen in die Region, 6,8 Prozent mehr als im Jahr davor, bei Ausländern sogar 15,3 Prozent. – Wir haben vielleicht keine Fachwerk-Romantik oder Seenplatte, aber 3.500 Industriedenkmäler, 250 Festivals und Feste, 200 Museen, 120 Theater, 100 Kulturzentren, 100 Konzertsäle und 2 große Musicaltheater. Wer uns besucht, legt nicht die Beine auf den Tisch, sondern nimmt sie in die Hand, denn hier kann er was erleben. – Die Kreativwirtschaft wächst, besonders stark im Leitmarkt Digitale Kommunikation. 2012 vergab die Bundesregierung den IT-Gipfel nach Essen. Sie wusste, warum.
Ein führendes deutsches Magazin hat geschrieben: „Europa such den Super-Slum – und das Ruhrgebiet liegt weit vorne…“
Gather: Das ist Unsinn. Wir sollten stolzer auf Erreichtes sein. Allein im Kulturbereich fallen mir viele Beispiele ein: Das neue Folkwang-Museum in Essen, die Umgestaltung des ehemaligen Brauereiturms, den heute jeder als „Dortmunder U“ kennt oder das Duisburger Museum für Moderne Kunst Küppersmühle. Diese haben bleibenden Wert und tragen zur Attraktivität des Standortes Ruhrgebiet nachhaltig bei. Slogans wie „Woanders is auch sch…“ halte ich für kontraproduktiv. Wenn schon selbstironisch, so ist „Wir können alles, auch Hochdeutsch“ vielleicht netter.
Hombach: Erstaunlich, was Europa so alles sucht! Da hätschelt jemand uralte Ruhrpott-Klischees und will sie nicht durch Fakten gefährden. Die Ruhris kennen das und winken gelangweilt ab. Ihre Region ist kein Showroom, sondern ein aktiver Lebensraum. Keine vergleichbare Wirtschaftsregion weltweit hat einen so tiefgreifenden Beschäftigungsabbau so sozialverträglich hingelegt. Das hat mit kooperativer Verhandlungskultur zu tun, die auch in Zukunft für Spannkraft sorgt. – Investoren aus der ganzen Welt haben das erkannt. 800 Unternehmen allein aus China haben sich an Rhein-Ruhr angesiedelt. Staatspräsident Xi Jinping besuchte Duisburg und nicht Hamburg oder München. Das „führende deutsche Magazin“ sollte bei uns ein Proseminar für Führungskräfte besuchen…
Warum sitzt Hans-Joachim Watzke in keinem Beratergremium der Ruhrgebiets-Wirtschaft. Er hat doch als einzigen in den letzten Jahren bewiesen, wie man aus einem maroden Laden wieder ein Spitzen-Unternehmen macht.
Gather: Mir ist nicht im Detail bekannt, in welchen Gremien Herr Watzke tätig ist. Jedenfalls ist er zweifelsohne erfolgreich. Aber der BVB ist doch keineswegs die einzige Erfolgsgeschichte hier. Es gibt zahlreiche äußerst bedeutende Unternehmen im Ruhrgebiet bis hin zu Weltmarktführern – nehmen wir die WILO-Gruppe in Dortmund, ABUS mit Hauptsitz in Wetter oder Brabus aus Bottrop. Ein großer Teil der „Hidden Champions“ findet sich hier – öffentlich manchmal wenig bekannte mittelständische Unternehmen, die in ihrem Segment jedoch ebenfalls Marktführer sind.
Hombach: Er ist Persönliches Mitglied im Initiativkreis Ruhr und dort sehr engagiert. Ich konnte ihn 2011 für die Mitarbeit gewinnen. Borussia Dortmund ist ein hervorragendes Beispiel für gelungenen Strukturwandel in der Region. Aus dem Arbeiterverein vom Borsigplatz ist ein Europäischer Spitzenklub geworden. Zur Zeit wünsche ich mir allerdings mehr schwarz-gelbe Tore…
Wieso wandern die qualifizierten Zuwanderer aus Osteuropa gleich weiter in den prosperierenden, verheißungsvollen Süden – und die sozial schwächsten bleiben hier?
Gather: Eine Statistik, die das belegt, kenne ich nicht. Mir ist aber bekannt, dass die Verbleiberate unserer Hochschulabsolventen in der Region bei über 60% liegt.
Hombach: Ein beliebter Albtraum, den die Fakten nicht bestätigen. Aber im Ernst: Wer sich nur ins gemachte Bett legen will, soll ruhig weiterziehen. Wir wünschen uns Zuwanderer, die ausgeschlafen sind und eigene Erfolge schaffen. Das braucht gewiss auch einen Willkommensservice für High Potentials. Und die sozial Schwachen wollen wir auch nicht fallen lassen. Das Geheimnis der Integration heißt Arbeit. Der nüchterne Umgang mit Migrationsproblemen war hier schon immer tägliche Praxis.
In den nächsten Monaten brechen Tausende von Jobs weg, wo und wie kann das kompensiert werden?
Gather: Mich stört die Wortwahl. Zu jeder Zeit hat die Arbeitswelt Verschiebungen erfahren: vom Agrar- zum Industriezeitalter, von der Textil- zur Fahrzeugindustrie. Die einzige Konstante ist die Veränderung – gerade in der Arbeitswelt – und diese müssen wir gestalten.
Aktuell befinden wir uns in einem sehr deutlichen Umbruch von „alter“ zu „neuer“ Industrie: Industrie 4.0 ist hier das Schlagwort. Wieder einmal heißt es, dass Viele ihre Qualifikationen umorientieren und neu ausrichten müssen. Gerade deshalb ist für das Ruhrgebiet Aus- und Weiterbildung sowie das Studium existenzentscheidend.
Hombach: Ich kann nur zustimmen. Verlässlich war immer der Wandel. Der tut manchmal weh, aber es sind Wachstumsschmerzen. Beispiel „Montanindustrie“: Hier sind seit 1960 ca. 1 Million Jobs verloren gegangen, aber 1,2 Millionen wurden in anderen Branchen neu geschaffen. Ich nenne nur die Gesundheitsbranche mit rd. 260.000 Beschäftigten, 80 Tausend mehr als vor fünf Jahren. Logistik, Energie, Chemie, Bauen und Wohnen sind weitere Standbeine. Das ergibt noch keinen Tausendfüßler, aber Verluste in anderen Bereichen bringen uns nicht ins Stolpern.
Wie können die Kommunen aus der Armutsspirale entkommen?
Hombach: Die Frage stellt sich fast überall. Das Ruhrgebiet stand immer für schroffe Gegensätze. Der „arme“ Norden und der „reiche“ Süden sind unmittelbare Nachbarn. Sigmar Gabriel empfiehlt einen „Ruhrplan“ zur Konzentration der Kräfte. Mehr Kooperation wäre ebenfalls nützlich. Nicht jede Kommune muss das ganze Spektrum anbieten. Man könnte Schwerpunkte bilden und so Kosten reduzieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Region hinter dieser Idee versammeln würde.
Das Ruhrgebiet hat wiederholt den Wandel verpasst. Droht das auch gerade bei der Energiewende? RWE und E.on wanken, bei den erneuerbaren sind wir nicht vorne dabei, Stichwort Elektromobilität.
Gather: Die Eingangsbehauptung teile ich nicht. Schon Anfang der 60er Jahre wurden hier Hochschulen gegründet und der Strukturwandel aktiv angegangen. Mancher Wandel ist aber eine komplexe Herausforderung, dem wir uns hier im Ruhrgebiet sehr wohl motiviert und energisch stellen.
Bei der Energiewende ist das Bild grundsätzlich positiv. Sicherlich haben wir noch einen Weg vor uns, aber gerade in der Elektromobilität ist die Wissenschaft im Ruhrgebiet – auch in Zusammenarbeit mit anderen Regionen wie Aachen – sehr gut aufgestellt. An unseren Hochschulen werden zukunftsweisende Mobilitäts- und Speicherkonzepte erforscht und wegen seiner hervorragenden Voraussetzungen – die dichte Forschungs- und Industrielandschaft sowie die geeignete Siedlungsstruktur – wird gerade hier eine der ersten großräumigen Modellregionen Europas zur Elektromobilität realisiert. Das Ruhrgebiet schläft nicht. Wir gestalten die Zukunft.
Hombach: Ich stimme abzugsfrei zu. Natürlich kann man immer noch mehr erreichen, besonders gemeinsam. Das „Schwarze Gold“ war einmal Energielieferant Nummer 1 in Deutschland. Eigentlich eine Pole-Position auch bei der Wende. Und in einer Region mit dieser Verkehrsdichte und so vielen Kurzstrecken sollten bei der Elektromobilität alle Lampen flackern. Das Beispiel InnovationCity Ruhr hat gute Ergebnisse, auch ohne Bundeshilfe. In Bottrop stellt der Autotuner Brabus „Null-Emissionsautos“ auf die Räder, RWE bietet leistungsstarke Schnellladestationen. Wir setzen auf Impulse, die dann den technologischen Kreislauf und Stoffwechsel anregen.
Was läuft wirklich gut in Innovation City Bottrop?
Hombach: Die Beteiligung vor Ort stimmt, und die Bürger ziehen mit. Der energetische Umbau geht schneller voran als gedacht. Das ist beispielhaft für Deutschland und Europa. Bundespräsident Joachim Gauck und EU-Regionalkommissar Hahn haben dies mit ihren Besuchen dokumentiert. Im Moment laufen 200 Projekte und der Masterplan von Albert Speer wird konsequent umgesetzt. Übrigens: Nicht auf der grünen Wiese, sondern in dichter Alt-Bebauung. Das macht neugierig. Wenn es hier gelingt, kann es überall gelingen. InnovationCity Ruhr soll bei der Klima-Expo des Landes Nordrhein-Westfalen entscheidend mitwirken.
Dauernd fordern Politiker aus der Region den „Soli-West“. Dabei hängt das Revier seit Jahrzehnten am Subventionstropf. Behindert diese Mentalität nicht wirklich innovative Initiativen? Berlin konnte/kann ja wenigsten noch sagen „Wir sind arm, aber sexy!“
Hombach: In Sachen Innovation haben wir von Berlin nichts zu lernen. Der „Soli“ war ein großartiges Signal der Solidargemeinschaft Bundesrepublik. Er sollte nicht zur starren Berieselungsanlage verkommen. Wenn die Richtung nicht mehr stimmt, muss man ihn modernisieren dürfen, natürlich immer nur als Hilfe zur Selbsthilfe. Niemand braucht einen Dauertropf mit Traubenzucker.
Gather: Na ja, der Vergleich hinkt ein wenig, da Berlin immer noch vom Länderfinanzausgleich erheblich profitiert. Investitionen sind im Ruhrgebiet und anderswo wichtig und nötig. Erfolgreicher Strukturwandel muss auch bei uns von einer standortbezogenen Wirtschaftsförderung und Ansiedlungspolitik begleitet werden. Anstatt markiger Slogans und Jammern ist es aus meiner Sicht jedoch immer besser, die Ärmel aufzukrempeln, Chancen zu schaffen und diese zu nutzen.
Warum hat eine regionale Entwicklungsgesellschaft wie die Wirtschaftsmetropole Ruhr (wmr) lediglich ein politisches bzw. kommunales Mandat, nicht aber ein sicher sinnvolles wirtschaftliches Mandat? So sind doch gute Ideen schon in der Umsetzung zum Scheitern verurteilt.
Hombach: Einverstanden. Wirtschaftsförderung muss im Ruhrgebiet eine überregionale, kooperative Struktur bekommen. Hier kann die WMR mehr Kompetenzen gut gebrauchen. Sie braucht die Unterstützung der Unternehmer, um sich als Projektentwickler zu entfalten. Wer Gutes tun will, braucht keinen Moment zu zögern.
Müssten die großen Unternehmen nicht schon im Eigeninteresse wesentlich entschiedener dem Kultursponsoring nachgehen, als es etwa bei Ausstellungen im Museum Folkwang oder mit dem Klavierfestival Ruhr noch etwas übersichtlich geschieht, um die weichen Standortfaktoren als Zuzugs-(und Dableib-)Argumente für auswärtige wie ausländische Fachkräfte zu erhärten?
Hombach: Die Unternehmen haben die Chancen des Kultursponsorings längst erkannt. Aber es geht auch um eine Bündelung der Mittel. Im Zuge der Energiewende haben große Konzerne ihre Engagements reduzieren müssen, aber ich bin mir sicher: Nach dem Schock kommt das Umdenken. Der EVONIK-Konzern geht mit gutem Beispiel voran. Und gute Beispiele verderben schlechte Sitten. Bei Kunst und Kultur entscheidet übrigens Qualität, nicht Masse.
Gather: Ich stimme zu, Unternehmen und Stiftungen betreiben Kultursponsoring schon jetzt. Die Liste ist lang: Traditionell engagieren sich RWE AG, ThyssenKrupp AG und viele Banken. Die Krupp-Stiftung hat zudem den Bau des Folkwang Museums finanziert. Ich meine, die weichen Standortfaktoren sind gegeben. Wo finden Sie denn auf so dichtem Raum mehr Kultur, Sport und Kunst?
Das Magazin „Coolibri“ rufte gerade seine Leser auf, Visionen für Bochum einzusenden, Motto: Wie sieht Bochum 2030 aus?“ Wie sieht IHR Bochum 2030 aus?
Hombach: Bochum ist Heimat der größten Hochschule im Ruhrgebiet, prädestiniert als Magnet und Standort mit hoher Lebensqualität und guten Arbeitsmöglichkeiten. Die Stadt wurde schwer gebeutelt (Nokia, Opel), aber sie kann Keimzelle für einen neuen Gründerboom werden. Der Moderator des Initiativkreises Ruhr, Dr. Klaus Engel, hat das erkannt und auf seine Agenda gesetzt: Erstmals findet das Gründer-Forum NRW des Initiativkreises parallel zum Gründergipfel des Landes in Bochum statt. Die Stadt hat große Potenziale. Hier werden die Erfolgsstorys der nächsten Generation geschrieben. Die Kapitel heißen Gesundheit, Energieeffizienz, Geothermie, Kreativwirtschaft und Maschinenbau.
Bei allem Respekt vor den „Älteren“ auf den Korridoren der Macht: Noch lebt das System von der Substanz – doch wer sollen denn die Köpfe der Zukunft sein, wo kommen die Ruhrbarone von morgen?
Hombach: „Barone“ waren gestern. Die Macher der Zukunft denken vernetzt und schmieden Kooperationen. Hier an der Ruhr gab und gibt es keine Dynastien. Jede Generation muss sich fragen: „Can I do the job?“ – Ich bin sicher: Auch diese wird sagen: „Yes I can!“
Gather: Brauchen wir denn Barone? Leben wir wirklich von der Substanz? Mir scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Wertschöpfung kommt heute doch aus Innovation, aus Wissenschaft und Technologievorsprung. Dabei sind die Vorstände der Ruhrgebietsunternehmen nicht älter als anderswo.