„Das große Ringen: Machbar kontra wünschbar?“ – Rede Wirtschaftskongress 2014, 18. September 2014

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Aufzug fragt einer: „Ist das Problem unserer Zeit mangelndes Wissen oder fehlendes Interesse?“ Die Antwort: „Weiß ich nicht. Ist mir auch egal.“ – Der Aufzug fährt nach unten…

„Was war erst? Henne oder Ei?“ Das gesetzte Thema „Machbar kontra wünschbar“ ist nicht unähnlich. Da könnte man in fidele Resignation fallen. In unserer meinungsstarken, aber argumentationsarmen Bloggerzeit gilt dummerweise „sowohl als auch“ als uncool.

2013 suchten wir in einer Jury den Gewinner des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises. Ein Titel von Gunter Dueck war dabei: „Das Neue und seine Feinde – Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen“. Im pessimistischen Teil des Buches überschwemmte der Autor uns mit Wissen über Hindernisse, die sich jeder Innovation entgegenstellen.

Es ging weniger um technische Probleme oder bürokratische Abseitsfallen. Er beschrieb die Feindseligkeit, auf die Erneuerer stoßen. Zwar erlebten Erneuer den glücklichen Moment einer bahnbrechenden Idee. Kaum ist ihr „Heureka!“ verhallt, erführen sie, dass die Welt nicht darauf gewartet hat. Die einen fragten: „Wozu überhaupt Neues?“ Andere sähen das Weltganze in Gefahr. Sie fürchteten um Tradition und Anstand oder ökologisches Gleichgewicht. Morgen soll nicht sein wie heute, lieber wie gestern.

Amtsträger sitzen im „Nebel ihrer Wichtigkeit“ (Lessing) hinter Schreibtischbarrieren. Sie zernörgeln durch Regelwerke und Paragrahen. Der Innovator ähnelt dem Wanderer im Hochgebirge. Er sieht den Gipfel in verlockender Schönheit zum Greifen nah. Aber er muss erst in Schluchten hinabsteigen, Geröllhalden und Gletscherspalten überwinden. Von Steinschlag und Lawine ganz zu schweigen.

Die Innovation mag da sein, aber sie ist noch längst nicht in der Welt. Auf die kurze Freude der Zeugung folgen Schmerzen und Geburt. Ich sehe, in einigen rollen ganze Filme mit frustrierenden Erfahrungen ab. Nicht die Idee, der Durchbruch ist das Entscheidende. Aristoteles machte den Punkt: „Der Anfang ist immer schon die Hälfte.“

Ein Quantum Trost:

Alles, was wir selbstverständlich nutzen, war mal Innovation. Es stand unter Beschuss. Die Waschmaschine würde nie weiße Wäsche hervorbringen. Nur das Rasiermesser, gut gewetzt, sei des gepflegten Mannes würdig. Computer sind Jobkiller. Handys zerfunken das Gehirn.

Man kann also ziemlich sicher sein: Gute Ideen setzen sich irgendwann durch. Erfindergeist wartet nicht auf Parteitagsbeschlüsse. Er beschert uns ein exponentielles Wachstum an neuen Produkten und Verfahren, angefeuert durch Markt und Wettbewerb.

Keine Generation hat eine solche Demokratisierung des technischen Fortschritts erlebt. Früher war Mangel die ständige Herausforderung. Heute überfordert uns Fülle. Es wird drängender, das Machbare vom Wünschbaren zu unterscheiden.

Es ist nicht alles in Ordnung:

Zu viele Schlagzeilen verderben die Stimmung.

  • Lebensmittelskandale und Tierseuchen wecken Zweifel am Sinn industrialisierter Landwirtschaft.
  • Chemische Substanzen belasten Umwelt und erzeugen neue Allergien.
  • Fossile Brennstoffe erwärmen die Atmosphäre.
  • Kernkraftwerke – ursprünglich gefeiert als sicher, sauber und wirtschaftlich – gelten nun als unsicher und unwirtschaftlich.
  • Die Steuerung der Welt- und Finanzwirtschaft scheitert am Egoismus weniger Glücks- und Raubritter.
  • Korruption, Kartelle, Steuerhinterziehung beschädigen Marktwirtschaft und fairen Wettbewerb.
  • Planungsfehler und Schönrechnerei machen Großprojekte zum desaströsen Abenteuer.
  • Misswirtschaft der Öffentlichen Hände setzt Milliarden Steuergelder in den Sand.

Die neue Welt grenzenloser Machbarkeit hat Schattenseiten. Der Verdacht wächst zunächst aus einzelnen Konflikten. Er steigert sich in der Häufung. Er wird zum Gefühl eines permanenten Dilemmas und wächst sich bei labileren Charakteren zum kategorischen Zweifel aus. Dabei mischen sich reale Gründe und Anlässe mit individuellen oder kollektiven Befindlichkeiten.

Der Psychologe Stephan Grünwald hat neulich als Merkmal deutscher Identität den Selbstzweifel benannt. Stets treibe uns die bange Frage um, ob es richtig ist, was wir gerade tun. Wir seien mit uns selbst nicht einig. Wir neigten dazu, alles Neue (frei nach Shakespeare) „von des Gedankens Blässe anzukränkeln“. Wenn wir Gutes erlebten, seufzten wir, es könnte schlimmer kommen.

Vor einigen Wochen verglich eine internationale Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft die gefühlte Wirklichkeit der Deutschen mit der tatsächlichen. Sie fand erhebliche Diskrepanzen. Die Einkommensschere geht bei weitem nicht so weit auseinander. Das Gerechtigkeitsdefizit ist nicht annähernd so groß, wie wir es in unseren liebsten Albträumen glauben. Die Sorge, mit einer Existenzgründung zu scheitern, ist riesengroß.

Das wird nur von den Japanern übertroffen. Die Sorge um den Arbeitsplatz ist in fast allen Ländern geringer, obwohl sie dort berechtigter wäre.

„Die Deutschen fühlen sich gerne schlecht“, titelte dazu DIE WELT.

Differenzierung ist schwer, aber unverzichtbar.

Vorauseilende Melancholie kann lähmen. Sie kann auch aktivieren. Unser trübes Selbstbildnis könnte bedeuten, dass wir ständig an Schwachstellen arbeiten, über den Zweifel das Optimum anstreben. Natürlich gibt es „die“ Deutschen so wenig wie „die“ Amerikaner, Engländer oder Franzosen. Aber das angelsächsische „Es gibt immer eine Lösung!“ geht uns schwer über die Lippen. Wir suchen Erklärungen für den Zweifel des Wünschbaren am Machbaren. – Die sechs Punkte, die ich nenne, werden Sie durch eigene ergänzen:

  1. Wir leben im Zeitalter sich erfüllender Utopien. Wir haben mehr Lösungen als Probleme. Jules Verne musste träumen, was er noch nicht wusste. Heute müsste er träumen, was er schon weiß. Wo Lust an der Utopie schwindet, erlahmt Dynamik.
  2. Entdeckungen und Erfindungen entfesseln ungeheure Kräfte mit unüberschaubaren Wirkungen. Zum Teil sind die nicht rückholbar. Früher stifteten Fehler nur in Teilbereichen Schaden. Heute können sie ein ganzes System destabilisieren.
  3. Innovationen sind ambivalent. Sie enthalten immer Chancen und Risiken. Es gilt, den Nutzen zu fördern und mögliche Schäden zu verhindern. Sie sind Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Wenn es um Zukunft geht, ist jede Sache zugleich Ansichtssache.
  4. Wir beobachten gefährliche Asymmetrien. Einzelne und kleine Gruppen, Spielernaturen oder Fanatiker können immensen Schaden anrichten.
  5. Tempo und Komplexität unserer Lebensverhältnisse überfordern immer mehr Menschen. Manche erliegen der Versuchung einfacher Erklärungsmuster. Die werden von Ideologen und Demagogen spendabel angeboten.
  6. Auf der politischen Entscheidungsebene schwindet die Bereitschaft, mutig für Wünschbares einzutreten und Gegensätze abzufedern. Mangel an fachlicher Kompetenz in politischen Gremien überlässt häufig demokratisch nicht legitimiertem und interessengesteuertem Lobbyismus das Feld.

Neben aktuellen Spannungen wirken die, die schon immer unser Zusammenleben kennzeichneten. Sie beruhen auf unterschiedlicher Wahrnehmung der Wirklichkeit und entsprechender Wert-Akzente. Das zeigt sich in Umbruchsphasen besonders deutlich. Für die einen ist ökonomisches Wachstum Wert und Voraussetzung für Wohlstand, Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich. Für andere ist „Wachstumswahn“ und verbrauchende Ökonomie Quelle allen Übels.

Noch was: Menschen sind kein eindeutiges Ich. Sie haben viele Seelen in ihrer Brust. Mein Nachbar ist Familienvater, kinderlieb, Katholik, Hobbygärtner, Ehrenamtler, Elektromeister, CDU-Wähler und Schützenkönig. Er hat einen bestimmten Erfahrungshorizont, einen Bildungsstand, ein Wertesystem und die damit kompatiblen Argumente. In ihm mischen sich die magische, mythische und rationale Stufe der kulturellen Evolution. Seine moralische Urteilsfähigkeit orientiert sich nicht nur an Lohn oder Strafe. Er kann zwischen Legalität und Legitimität unterscheiden.

Nicht einmal das Vielerlei im einzelnen Menschen ergibt ein verlässliches Bild. Über Nacht kann sich sein Blickwinkel ändern. Eben noch war er begeistert von der Energiewende. Heute protestiert er gegen die Stromtrasse. Die soll durch seinen Vorgarten führen.

Im Westen nichts Neues: Rationale Argumente ringen mit Vorurteilen, Sachfragen gebärden sich als Grundsatzprobleme, Verantwortungsmoral streitet wider Prinzipienmoral, Angst gegen Hoffnung, Schwach gegen Stark, Progressiv gegen Konservativ. Ungleichzeitigkeiten spielen eine irritierende Rolle.

Es gibt die Anekdote vom freundlichen Amerikaner. Der ließ einen Indianer auf der steilen Bergstraße in seinem Wagen mitfahren. Oben angekommen lief jener wieder zurück. Er erklärte dem verblüfften Weißen, seine Seele sei nicht mitgekommen. Er müsse ihr entgegengehen.

Wir beobachten eine Fülle von Blickwinkeln und Befindlichkeiten.

Unsere Medienkultur ist selten Ansporn, das Gemeinsame zu suchen. Unsere Medienkultur sucht wenig den Diskurs geprüfter Argumente und abgewogener Meinungen, sondern die verbale Schlacht. Man stellt das Trennende heraus. Man muss nicht Recht haben, will aber Recht behalten. Gladiatoren des Parteienspektrums leiern in der täglichen Talkshow Statements runter. Sie werden vom Sender nach Beißerqualität, also Unterhaltungswert ausgesucht. Sie werden vom Moderator – nicht moderiert – sondern angestachelt.

Ich übertreibe maßvoll. Aber es gibt Anzeichen – in anderen Ländern heftiger als bei uns -, dass auch harmlose Auseinandersetzungen immer häufiger die ganze Welt erklären wollen. Man kann eigene Projekte nicht durchsetzen, aber die der anderen verhindern. Ich nenne das „Malefiz-Gesellschaft“.

Malefiz war Mitte der 1980er das meist verkaufte Brettspiel. Computerspiele gab es noch selten. Anders als bei „Mensch ärgere dich nicht!“ ging es weniger darum, mit Geschick und Glück selber anzukommen. Es galt, andere daran zu hindern anzukommen. Es galt, ihnen möglichst viele Barrikaden in den Weg zu legen.

Ein solches Verhalten als gesellschaftliche Normalität ist Verfall. Es blockiert, wo es bewegen sollte. Heute kann jeder jerderzeit auf Sendung sein. Aber es hört keiner zu.

Dabei gibt es Strategien, die zwischen „machbar“ und „wünschbar“ vermitteln. Es gibt Wege, die den Konflikt nicht beseitigen, aber auf ein konstruktives Niveau heben. Man kann die Schlüssigkeit und Wertigkeit der Argumente steigern. Selbst der Unterlegene braucht sich dann wenigstens nicht zu schämen. Ich will ein paar Aspekte aufzählen – thesenhaft, und auf anregende Weise unvollständig:

  1. Das Wichtigste sind demokratische Strukturen auf den Entscheidungsebenen. Sie erzeugen einen Überfluss an Alternativen. Man kann die hoffentlich bessere wählen und die schlechtere korrigieren, bevor sie großen Schaden stiftet.
  2. „Transparenz und Beteiligung“ wecken Vertrauen und Engagement, auch bei denjenigen, die geringe Expertise haben. Misstrauen und Apathie könnten beträchtlichen Bremswiderstand erzeugen.
  3. Sachliche Aufklärung erhöht die Komplexität der Argumente. Aber sie reduziert die Komplexität des Konflikts. Sie ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Wer Ängstliche und Feindselige gewinnen will, sollte dafür nicht die Zustimmung der Pragmatiker vergeuden.
  4. Ehrlichkeit ist Voraussetzung des Erfolges. Bürger haben ein feines Sensorium. Sie spüren, ob man sie kenntnisreich informiert. Auch, ob sich hinter Balken- und Tortengrafik nur robuste Interessen verbergen. Sie merken, ob man ergebnisoffen diskutiert oder nur ein Schautanzen veranstaltet.
  5. Die meisten Probleme sind zu vielschichtig, um sie mit einem „Basta“ zu lösen. Man kann sie in Teilprobleme zerlegen. Das nimmt ihnen das global Bedrohliche und irrational Pauschale. „Der“ Fortschritt ist nie erreichbar. Fortschritte sind möglich.
  6. Frühzeitige Einbeziehung aller Betroffenen und Interessierten macht Widerstände sichtbar, bevor sie Selbstzweck werden. Sie macht sogar Korrekturen und Ergänzungen der ursprünglichen Absichten möglich.
  7. Wer immer nur erlebt, dass er die Rechnung zahlt, während andere den Gewinn einsacken, verliert die Lust am Spiel. Zuletzt schmeißt er die Figuren. – Der Nutzen des Neuen muss spürbar werden.
  8. Entscheidend ist die Beziehungsebene und Beziehungspflege. Es fällt schwer, einem unsympathischen Gegenüber zu glauben, 2 mal 2 sei vier. Wenn ein netter Mensch behauptet, es sei 5, werden wir darüber nachdenken. Wenn positive Signale überwiegen, ist Kommunikation möglich.
  9. Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit ist eine zu lange vernachlässigte Kulturtechnik. Wichtiger als Produktwerbung, aber leider weniger entwickelt und professionalisiert.

Hersteller des Neuen beschränken sich gern auf das Machbare und ignorieren das Wünschbare. Sie glauben, dass beides nicht identisch ist. Sie müssen lernen, dass Großprojekte der Infrastruktur sich nicht mehr in Befehlskette von oben nach unten durchsetzen lassen. Sie müssen um Akzeptanz werben und mit guten Gründen argumentieren.

Die Wirtschaft muss sich dem öffentlichen Diskurs stellen. Im Kanzleramt eine Flasche Rotwein leeren – und die Sache läuft – die Zeit ist vorbei. Politik wird für wirtschaftliche Projekte nicht mehr in der vorderen Reihe marschieren. Dafür hat sie zu viel „auf die Nase“ bekommen.

Auch den Adressaten muss man zumuten, rational zu diskutieren. Trillerpfeifendemokratie reicht nicht. Man kann einer guten Sache keinen größeren Schaden antun, als sie mit schlechten Mitteln zu verteidigen.

Gegen die Grundrechenarten hat noch jeder verloren.

  • Beispiel „Fracking“.

Man darf und muss das Für und Wider facettenreich diskutieren. Man kann die möglichen Vorteile oder Gefahren betonen. Ein hysterischer Glaubenskrieg führt in die Sackgasse.

Der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe Hans-Joachim Kümpel hat in diesem Sommer eine Erklärung veröffentlicht. Er nennt die Skepsis gegenüber Fracking aus wissenschaftlicher Sicht „unbegründet“. Er schrieb: „Es kostet Mühe, wissenschaftliche Argumente zu finden, die gegen Fracking sprechen“. Die gegenwärtigen Regulierungsauflagen seien zu restriktiv. Alle 16 geologischen Dienste in Deutschland und alle in Europa seien sich in dieser Beurteilung einig. Die Institute sind staatlich und interessensunabhängig. Die oft benannten Gefahren für das Trinkwasser ließen sich ausschließen.

Leitende Beamte des Berliner Umweltministeriums haben kürzlich in einem Vermerk an die Hausspitze die Entwicklung einer nun möglichen ungiftigen Fördermethode nicht als Lösung eines Problems begrüßt. Sie haben das als Verlust eines liebgewordenen und wirksamen Arguments bedauert. Sie gaben den Hinweis, man müsse sich schnell was Neues ausdenken, um weiter dagegen sein zu können.

So etwas senkt den Level der Auseinandersetzung unter das machbare und wünschbare Niveau. Es ist mehr als ein üblicher Skandal, wenn die Exekutive der Wahrheit nicht treu ist.

Die symbolfixierte Angst und Emotionen schürende Debatte ist Anschauungsmaterial für unser Thema. Die Auslöser, aber auch subtile Interessen und politisch instrumentalisierte Sorgen sind analysewürdig, um den Zustand unseres kollektiven Bewusstseins zu verstehen.

Nicht einmal die Forderung nach Gift und zerstörungsfreier Technologie für Fracking, die auch exportierbar wäre, bleibt undiskriminiert. Der Hinweis, dass in Niedersachsen seit mehr als zehn Jahren 300 Mal erfolgreich gefrackt wurde und dem Bundesland so 10 Milliarden in die Kassen spielte, gilt als unschick. – Der Wunsch nach Probebohrungen, um festzustellen, wie groß die Ressourcen sind, wirkt als Provokation. Mit wenigen Klicks im Internet kann jeder fertiges Protestmaterial (Aufkleber, Plakate, T-Shirts und Banner mit Totenköpfen) bestellen.

  • Beispiel „Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP)“.

Man diskutiert vernünftigerweise über Vor- und mögliche Nachteile. Natürlich soll man Schutzzonen für Kulturprodukte, Verbraucherschutz und transparente Verhandlungen fordern. Wer es aber mit Argumenten aus der NSA-Affäre bekämpft, verwechselt die logischen Ebenen. Man kann völkertrennendes Fehlverhalten von Geheimdiensten nicht damit beenden, dass man zur Strafe auf völkerverbindende Handelswege verzichtet.

Wir erleben eine satte Generation, die sich zu selten die Frage stellt, wie es nach ihr wirtschaftlich weitergehen soll. Wer beim Möglichen nur auf die Risiken starrt, verzichtet auf eine erfolgreich wirtschaftliche Dynamik.

Die jungen Völker und Schwellenstaaten wollen morgen so leben wie wir heute. Sie sind ungeduldig und treiben. Sie warten nicht auf uns und teilen unsere Ängste nicht.

Zeit für ein vorläufiges Fazit.

Die Antinomie zwischen „wünschbar“ und „machbar“ ist kein Dilemma. Sie ist Kennzeichen einer hohen zivilisatorischen Entwicklungsstufe. Diese kann es sich erlauben, neben den Fakten auch Haltungen zu diskutieren.

Eine Innovation soll nicht nur funktionieren. Man will wissen, welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind. Man will eine realistische Kostenrechnung – auch für kommende Generationen. Wenn diese nicht aufgeht, ist es um die Akzeptanz schlecht bestellt.

Es war immer Motor der menschlichen Evolution, das Machbare bis zur Grenze auszutesten und mit dem Wünschbaren darüber hinauszugehen.

Das Unmögliche wollen, um das Mögliche zu erreichen. Vom biblischen „Macht euch die Erde untertan!“ bis zu Karl Poppers Fortschreiten als „Trial and Error“ erleben wir eine elementare Dynamik. Niemand kann sie aufhalten.

Man sollte es auch nicht, wenn man nichts Besseres im Sinn hat, als bequemen Status quo zu konservieren. Man verzichtet darauf, die Entwicklung in eine humane Richtung mitzusteuern.

Max Frisch schrieb einmal, es sei wie eine Häutung. Die alte Haut wird erst dann abgestreift, wenn die neue darunter schon entstanden ist. Alte Leute ängstigen sich, das Überlebte abzustreifen. Sie glauben nicht mehr an das Neue darunter. – Unsere Gesellschaft ist älter geworden.

1985 schrieben wir ins NRW-Wahlprogramm „Nicht alles, was machbar ist, ist wünschbar.“ Damals eine inhaltlich verstandene konsensbildende Ansage. Ich wünschte, wir hätten geschrieben: „Wir tun alles, um das Wünschbare machbar zu machen.“ Zum inbrünstig Gesungenen „Mit uns zieht die neue Zeit“ hätte das besser gepasst. Wer Ängstliche und Feindselige gewinnen will, sollte dafür nicht die Zustimmung der Pragmatiker, die Fortschritt wollen und können, vergeuden.

In aufgeregten Zeiten haben es Abwägende nicht leicht. Es gibt einen Sockelbetrag an Irrationalität, der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen durchzieht. Und es gibt Eigeninteresse, das sich rücksichtslos gegen das Gemeinwohl wendet. Das sind die eigentlichen Feinde des Neuen.

Die Formeln des Lebens gehen nie restlos auf. Auch das Gegenteil der Wahrheit ist nicht ganz falsch. Das bedauern aber nur Ideologen und Demagogen. Vernünftige freuen sich über Vielfalt und den Reichtum des Daseins.

Traumziel der Demokratie ist nicht eine Diktatur der 51 über die 49. Es ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache statt Blockiermentalität. Die am Machbaren arbeiten und die über das Wünschbare nachdenken, sind Partner.

Mehrheitsentscheidungen haben nur dort ihr Recht, wo sie unausweichlich alle betreffen und das kleinere Übel sind. Die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Lebensentwürfe ist zeitgerechte gesellschaftliche Innovation.

So gesehen sind „Machbar“ und „Wünschbar“ Doppelsterne in einem gemeinsamen System. Beide sorgen für Dynamik und Spannung. Die Bewegung des einen bewirkt die komplementäre Bewegung des anderen. Und beide lassen viel Spielraum für gesunden Pragmatismus. Hier liegt nicht das Kontra des vorgegebenen Titels. Für die der Rückwärtsgang das Wünschbare ist, sind die Kontras. Die große Innovation sucht nicht den Verdrängungskampf, sondern die Synthese.

Vielleicht ist es wie bei jenem alten Ehepaar. Im hohen Alter fragten Freunde, wie sie das geschafft hätten: Ein Leben lang treu, rücksichtsvoll, ohne Zoff oder Seitensprünge. – „Das war gar nicht so schwer“, sagte der Mann. „Wir haben da ein kleines Ritual, an dem wir festhalten. In jeder Woche besuchen wir noch einmal das nette Restaurant in der Altstadt, wo wir uns damals kennenlernten. Wir trinken eine Flasche Wein, und jeder bestellt sich sein Lieblingsgericht. – Sie am Dienstag und ich am Donnerstag.“

Ich danke Ihnen.