„Stabile Bewegung: Über Europa, Völker und Menschen“ – Beitrag zur „Korporative Publikation von MPM (Media Print Makedonija)“, 20. Juni 2014

Stabile Bewegung
über Europa, Völker und Menschen

„Mazedonien, ein Land auf der Suche nach seiner Identität.“ – So liest man es in jedem Bericht. Es klingt wie eine exklusive Nachricht und ist nichts weniger als das. Jedes Land in Europa ist auf der Suche nach seiner Identität. Die Europäische Union als solche rüttelt immer wieder an ihren ältesten Gewissheiten. Sie muss neue finden und sie ihren 500 Millionen Bürgern erklären.

Wen das erschreckt, der sollte sich erinnern: Es war nie anders. Und im Grunde war es gut so. Die Regionalgewalten widersetzten sich allen Versuchen – von den Römern über Kaiser und Päpste bis zu den Diktaturen des vorigen Jahrhunderts, diesem Kontinent ein imperiales Dach überzustülpen. Auch die zahlreichen Versuche, sich mit Kanonen über die Nachbarn zu erheben, blieben blutige und teure Illusion. Es brauchte tausend Jahre, aber dann fand man eine bessere Lösung: Ausgleich der Interessen, gemeinsamer Markt, offene Grenzen. Unterschiede und Vielfalt – früher Anlass für gefährliche Rempeleien – waren nun Reichtum für alle.

Zugegeben, im gemeinsamen Haus knallen noch immer gelegentlich die Türen. Mancher träumt sogar von einem freien Leben in der Fremde. Aber die Welt da draußen ist gefährlich und kalt. Und es finden sich Wege und Mittel, die Wellen zu glätten. Ein Namensstreit ist da eher harmlos.

Aber nichts ist für immer gesichert. Die Altmitglieder neigen zu Behäbigkeit und Arroganz. Sie erwarten von den Neuen, dass sie sich ihrer Blaupause anpassen. Sie versäumen es, sich selber zu befragen und weiterzuentwickeln. Eine Großfamilie mit 28 Köpfen verhält sich jedoch anders als eine mit sechs oder sechzehn. Und weitere stehen vor der Tür. Mit jedem verändern sich die Verhältnisse.

Die sind nur dann stabil, wenn sie in Bewegung bleiben, und sie bewegen sich nicht auf einem starren Schienenstrang, sondern wie ein Radfahrer: schwankend und kurvenreich. Er kommt nur dann voran, wenn er nicht stur den eigenen Lenker sieht, sondern den fernen Punkt am Horizont.

Was in der Gemeinschaft funktioniert, muss auch innerhalb der Staaten gelten: offene Grenzen zwischen den Ethnien, Ausgleich der Interessen, friedliches Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe und demokratische Kontrolle der Macht. Nur dann entsteht ein Überfluss an Alternativen. Man kann die vielleicht bessere wählen und Fehler korrigieren, bevor sie großen Schaden anrichten.

Kein Zweifel. Dabei haben die Medien eine wichtige Rolle. Moderne Staaten sind zu groß und komplex, um die allgemeinen Dinge noch am Dorfbrunnen zu besprechen. Bevor der Wähler sein Kreuzchen macht, will er wissen, worum es geht und wem er sein Vertrauen schenkt.

Das braucht eine freie Presse, die sorgfältig recherchiert, verlässlich berichtet und abgewogen urteilt. Sie unterscheidet das Wesentliche vom Unwichtigen. Sie gibt auch Randgruppen eine Stimme, denn gute Ideen können in der kleinsten Hütte entstehen. Sie ist nicht eine Veranstaltung für die offene Gesellschaft. Sie ist eine Veranstaltung der offenen Gesellschaft. Sie füllt nicht den öffentlichen Raum. Sie erzeugt ihn erst.

Also hat sie auch die Aufgabe, der Macht auf die Finger zu sehen. Diese ist ambivalent. Sie ist nützlich, denn es müssen Entscheidungen fallen, die das Wohl des Landes fördern und Gefahren von ihm abwenden. Sie ist aber auch gefährlich, denn man kann sie zum Schaden des Landes und seiner Bewohner missbrauchen. Leidenschaften kommen ins Spiel (Ehrgeiz, Neid und Besitzgier), ein enormes Verführungspotenzial für starke Temperamente und schwache Charaktere.

Es braucht Politiker und Führungskräfte, die den Augenblick ergreifen und ihn nicht in ängstlichen Skrupeln verstreichen lassen. Es braucht aber auch den Weisen und Erfahrenen mit Sorgfalt, Bedachtsamkeit und langfristiger Perspektive. Und es braucht den Visionär, der die Ängstlichen ermutigt und die Überflieger wieder auf den Teppich holt.

Medien bilden den Zustand der Gesellschaft ab. Sie sind aber auch Teil derselben. Sie helfen beim Aufbau der Demokratie, können ihren Einfluss aber auch destruktiv missbrauchen. Sie können den Mächtigen mit kritischer Distanz gegenüberstehen, sich aber auch kaufen oder einschüchtern lassen. Sie können das Relevante erkunden und kompetent darstellen, aber auch sensationsgeil skandalisieren und Nichtigkeiten auftürmen. Sie können den öffentlichen Raum als den Treffpunkt und Schauplatz des mündigen Bürgers vergrößern. Sie können ihn aber auch einschrumpfen bis er sich nur noch für Verlautbarungen der Obrigkeit eignet.

Europa lebt nur, wenn und so lange seine Mitglieder lebendig sind. Es ist kein Projekt der Staaten, sondern der Völker. Auch die Gemeinschaft ist nicht die Veranstaltung irgendeiner Zentralgewalt für die Menschen. Sie ist eine Veranstaltung der Menschen.

In diesem Sinne: Willkommen Mazedonien!

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