„Mitsprache erwünscht?“ – Handelsblatt, 3. Januar 2014

Die Gründerväter des Bankhauses Merryll & Lynch hatten ein Erfolgsrezept: Merryll suchte ständig nach neuen Geschäftsidee. Lynch fragte unbeirrbar nach den Risiken. – Eine kluge Arbeitsteilung. Sie verhinderte manchen hitzigen Supererfolg. Sie sorgte aber für Durchblick, Verlässlichkeit und stetigen Gewinn.

Aktivisten in Politik und Wirtschaft sind stärker auf Hoffnung als auf Befürchtung programmiert. Das macht sie zu Motoren des Fortschritts. Sie sind aber gefährdet, die Risiken kleinzureden, die Kosten lässig zu berechnen und die Trägeren in der Gesellschaft aus dem Auge zu verlieren.

Die haben manchmal erschütternd gute Gründe, auf die Bremse zu steigen. Großprojekte fahren gegen die Wand. Finanzierungspläne explodieren, falsche Kostenrechnungen, Korruption, Preisabsprachen, Fusionierungswahn lenken viel Geld in falsche Kanäle.

Es stimmt, was die Spatzen von den Dächern pfeifen: Wir erleben einen enormen Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit und die Weisheit von Entscheidungsträger.

Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Sie welkt rasch und braucht lange, um sich zu erholen. Sie lässt sich nicht befehlen und ist  durch Zahlen, Diagramme und verbale Argumente zu wenig beeindrucken. Sie wächst aber, wenn man sie mit Substanzen wie „Transparenz“ und „Mitsprache“ bewässert.

Das ist hartes Brot für Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Nach notwendigen Reformen abgestrafte Politiker sind kaum noch bereit, sich für wenig populäre Projekte zu exponieren. Unternehmen müssen selbst für Akzeptanz sorgen. Selbsterklärung ist angesagt – sich dem öffentlichen Dialog stellen und bestehen. Es gibt  nicht nur den mündigen, rationalen und offenen Bürger, sondern auch den irrationalen, stimmungsabhängigen, egoistischen, der vor allem eines ist: dagegen.

Ergebnisoffene Mitsprache nimmt auch diese mit. Konsensbildung durch Volkes Wille. Die Reichstagsinschrift: „Dem Deutschen Volk“ war ein Geschenk von Kaisers Gnaden. Der kluge Schweizer Botschafter Guldimann fragte kürzlich, wer  dabei das Subjekt hinter dem Objekt sei. Über dem Schweizer Bundesrat steht: „Öffentliches Wohl sei das oberste Gesetz“. Was das ist, bestimmt der Schweizer selbst.