„Medien und Skandalisierung in der Gesellschaft“ – Rede, 3. Oktober 2013

Meine Damen und Herren,

– Eigene Erfahrungen ……. (frei)…………….

Als in einem – sagen wir – oberbayerischen Dorf ein Mädchen „nebenher“ schwanger wurde, zerrissen sich die Bewohner das Maul. Auch im Wirtshaus ging es hoch her. Jeder, der auf sich hielt, empörte sich möglichst lautstark über die „Schande“, die das lose Frauenzimmer über das ehrenwerte Dorf gebracht hatte. Da schlug ein alter Bauer mit der Faust auf den Tisch und rief: „Was regt ihr euch so auf? Sie hat’s doch nicht aus Bosheit getan!“

Bekannt ist auch das Erlebnis jenes Bischofs, der zum ersten Mal die USA besuchte. Noch auf dem Flugfeld fragte ihn ein Reporter: „Werden Sie denn auch ein Bordell besuchen?“ Schlagfertig gab der Bischof zurück: „Gibt’s denn hier Bordelle?“ – Anderntags lautete die Schlagzeile: „Erste Frage des Bischofs: Gibt’s hier auch Bordelle?“

„Medien und Skandalisierung“ – Beides hat miteinander zu tun. Und das Thema spielt offensichtlich eine beachtliche Rolle. Die meisten – auch von Ihnen – konnten entsprechende Erfahrungen machen, vielleicht als Täter oder Opfer, gewiss als Zeitungsleser, Fernsehzuschauer oder Surfer im Internet. Gerade ging ein Wahlkampf zu Ende: Hochkonjunktur für Skandalisierer.

Ich gestehe freimütig, in dieser Materie nicht ganz unerfahren zu sein. Wer im politischen Alltag um die bessere Lösung ringt, wer also auch an die Schaltstellen will, für den ist der Parteigegner zwar kein Feind, aber doch eher an der Peripherie der Nächstenliebe.

• Man freut sich klammheimlich, wenn er vom hohen Ross fällt.

• Man wartet darauf, dass er sich verstolpert.

• In schwachen Momenten ist sogar die Versuchung groß, ihm selbst ein Bein zu stellen.

Wenn man dann die Hebelwirkung der Medien kennt und sie zu bedienen weiß, geht das Opfer vielleicht beschädigt vom Platz. Man will nicht wirklich Schaden stiften, aber kräftig Spott oder Austricksen möchte wohl sein. Der Gegner täte es ja auch. – Wie sagte der Kanzler mit der „geistig-moralischen Wende“? „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“

Nach diesem Prolog lade ich Sie zu einem kleinen Überblick ein. In fünf Stufen wollen wir zu Kennern der Materie werden. Vielleicht folgen Sie mir auch noch aus den Niederungen des Handwerks in die Höhenluft allgemeiner Erkenntnis.

 

 Überblick

1

Das Phänomen

Es gibt den Faux-pas, den harmlosen Fehltritt, das berühmte Fettnäpfchen, das man dem Ahnungslosen vor die Füße schiebt. Es schadet relativ wenig, solange es nicht gehäuft auftritt. Jüngst musste ein SPD-Kandidat erleben, wie schwierig es ist, sich in einem solchen Minenfeld zu bewegen.

Ärgerlicher ist der Eklat. Er erzeugt ein größeres Beben, ist aber nur kurzfristig virulent, und somit eher folgenlos. Immerhin belebt er das Geplauder der Par-tygäste.

Eine Affäre ist die nächste Brennstufe der Rakete. Da kocht etwas auf langer Flamme. Es gibt einen kurvenreichen Verlauf mit Spannungs- und Entspan-nungsphasen. Und es gibt Opfer.

Die nächste Steigerung bringt der echte oder deftige Skandal. Er ist das volle Programm und – wie der Berliner sagt – „der richtje Jenuss“.

Der Begriff stammt vom altgriechischen „skandalon“ und bezeichnete ursprünglich das Stellhölzchen einer Tierfalle. Wird es berührt, schnappt die Falle zu und man sitzt im Käfig – zum Gespött des Publikums.

Der Skandal ist die unerwartete Störung einer scheinbar geregelten Realität. Er erregt ein großes Umfeld, vom einfachen Regelverstoß bis zum Tabubruch, der eine ganze Ordnung in Frage stellt. Er durchbricht den vertrauten Gefühlshaushalt der Leute, zeigt aber auch dessen Brüchigkeit. Frei nach Konrad Lorenz ist er oft nur das „sogenannte Böse“ und gehört schon immer zum Stoffwechsel der Gesellschaft.

In jedem Fall ist er eng mit ihr verbunden. Je fester gefügt sie erscheint, je strenger und starrer ihre Regeln, desto leichter kann schon eine harmlose Ab-weichung von der Norm heftige Irritationen auslösen.

• In einer geschichteten Klassengesellschaft, ist es das unstan-desgemäße Verhalten eines Mitglieds.

• In einer klerikal beherrschten Umgebung genügt eine abweichende wissenschaftliche oder theologische Entdeckung.

• Für ein kleinbürgerlich-spießiges Milieu sind Widerspruch und Freiheitsdrang inakzeptabel.

• In einem Ambiente von enger Moral und Sozialkontrolle reicht sexuelle Spiel- und Entdeckerfreude, sobald sie „zur Schau“ getragen wird.

Die Breitenwirkung des Skandals hängt von der Größe der betroffenen Gruppe ab. Das reicht von der Familie über Verein, Betrieb und Gemeinde bis in die Gesamtgesellschaft. Im Zeichen globaler Verflechtung kann ein Skandal durchaus internationales Echo haben. Denken Sie an die NSA-Affäre.

Das Ereignis erscheint im Normalbetrieb der Gesellschaft zunächst nicht integ-rierbar. Es kommt zu Reaktionen der Immunabwehr. Die Binnenhitze der Öffentlichkeit schwillt an. Das äußert sich in Kontroversen, Kommentaren, Leser-briefen. Unter Umständen erreicht es die Gerichte. Nach und nach wird der Ausbruch wieder eingefangen. Man kehrt zum Alltag zurück, vielleicht ein wenig beschämt und nachhaltig beunruhigt. Oft aber auch irgendwie gestärkt.

Der Vorgang ähnelt einer Infektion. Ein unerwünschter Erreger dringt in den Organismus ein. Der schickt seine Fresszellen aus. Zuckungen, Fieber, Durchfall sind die Symptome des inneren Kampfes. Die Krise ist der Umschwung. Der Körper ist zunächst noch geschwächt, hat aber auch Antikörper entwickelt, die ihn künftig besser schützen. – Die Ärzte der Antike sagten: „Wer jederzeit ein Fieber erzeugen kann, kann jede Krankheit heilen.“ (Hippokrates)

So gesehen ist der Skandal nicht nur ein Ereignis, sondern eine Methode, mit der sich die Gesellschaft ihrer selbst vergewissert, vielfach auch reinigt.

 

2

Die Rolle der Medien

Wir brauchen sie. – Frühere Generationen erwarben ihr Lebensgefühl, ihre Maßstäbe und ihre Identität ganz überwiegend durch Primärerfahrungen. Was sich außerhalb dieses engen Horizonts ereignete, tangierte sie nicht. Der Ein-fluss des Individuums war gering. Die Mächtigen entschieden über den Gang der Dinge und ihre Deutung. Die Leute wurden nicht gefragt. Sie hatten nur die Kosten zu zahlen.

Heute leben wir in einer hochkomplexen Welt. Wichtige Informationen können wir nur noch „sekundär“ erfahren. Das geschieht über Medien. Wir müssen hoffen, dass sie uns ein zutreffendes Bild von der Wirklichkeit zeichnen.

Medien sind aber nicht nur Spiegel der Realität. Sie sind auch Hohlspiegel. Sie wählen aus. Sie blähen auf oder verdichten. Sie verzerren. Sie sind nicht nur Faktum, sondern auch Faktor der Gesellschaft. Wie bei jedem Werkzeug hängt der Nutzen davon ab, welchen Gebrauch man davon macht.

In den Händen des Meisters kommt Gutes zustande. Der professionell geübte und verantwortliche Journalist kann enthüllen, aufklären, einordnen. In den Händen des Dilettanten und gewissenlosen Profiteurs entsteht Schaden. Ein solcher wird vernebeln, demagogisieren, sinnlos polarisieren und eben auch skandalisieren.

Medien haben eine enorme Verstärkerwirkung. Bei großer Verbreitung und durch die Kraft der Inszenierung können sie den Stummen eine Stimme geben, Ideen zum Durchbruch verhelfen, aber auch banalen Sachverhalten den Anschein von Bedeutsamkeit geben. Dort wo sie Persönlichkeitsrechte verletzen, kann für den Betroffenen ein irreparabler Schaden entstehen.

Medien berichten über Skandale. Dann sind sie – zumindest tendenziell – nicht selber Teil des Geschehens. Es gibt aber auch „Medienskandale“. Dann sind sie selbst Ursache, Akteur, Schauplatz und Gegenstand.

Lange Zeit waren es vor allem Bücher, Pamphlete, Streitschriften, deren Inhalt von bestimmten Gesellschaftsgruppen als skandalös empfunden wurde. Mehr und mehr mischten sich Zeitungen und Zeitschriften ins Geschehen. Auch das Theater war für große Aufregungen gut. Dann verbreiterte das Kino das Angebot. Zuletzt testete das Fernsehen die Grenzen, und heuer sucht das Internet nach den letzten Tabus, die man noch brechen könnte.

Die sogenannten Neuen Medien sind für’s Skandalisieren wie gemacht.

• Ihre Mobilität macht sie überall verfügbar.

• Ihre Allgegenwart schrumpft den Abstand zwischen Ereignis und Wahr-nehmung gegen NulI.

• Ihre anarchische Struktur lässt Gegensätze ungebremst zusammenpral-len.

• Ihre grenzenlosen Speicher machen heilsames Vergessen unmöglich.

In Sekundenschnelle entsteht eine gewaltige Öffentlichkeit. Aus der privaten Deckung heraus kann praktisch jeder einen Sturm entfesseln, dessen Wirkung niemand mehr steuern kann und auch nicht verantworten muss.

 

Intermezzo

Mit einem Studienseminar auf Exkursion in der Wolfenbütteler Bibliothek. Thema: Große Skandale der Geschichte. Die Studenten machten in den uralten Büchern und Schriften eine verblüffende Entdeckung. Das Grundmuster war immer das gleiche und dem heutigen überaus ähnlich. Die Deutung war immer Propaganda und hing allein von der Interessenlage der Parteien ab. Der Sieger bestimmte die Erinnerung. – Es ging sehr robust zu. Mit Erfindung des Buchdrucks eskalierten die Möglichkeiten. Im Jahrhundert der Re-formation galt die Skandalisierung des Glaubensgegners als göttliches Gebot. Am Ende stand der Dreißigjährige Krieg.

Später versuchte das bürgerliche Gesetzbuch, mediale Vernichtungskämpfe einzudämmen. Persönlichkeitsrechte legten enthemmte Verleumder an die Kette. Verleumdung wurde teuer. Ein zivilisatorischer Fortschritt. Die Gesellschaft wurde erwachsen und vernünftig.

Das Internet infantilisiert sie wieder. Es erlaubt den Rückfall in die Anarchie. Skandalisieren ist nicht mehr harmloser Klatsch und Tratsch. Es ist – vom Mob-bing über Shitstorm bis hin zur erbarmungslosen Treibjagd – gezielt instrumen-talisierte Vernichtungsabsicht.

Früher war dem Genie fast alles erlaubt. Goethe („Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“) war lebenslang ein Schürzenjäger. Beethoven („Alle Menschen werden Brüder“) war ein unerträglicher Hausgenosse. Er verschliss alleine in dem Jahr, wo er die 5. Symphonie schrieb, 18 Dienstmädchen.

Heute hält sich jeder kleine Blogger für ein Genie und überlässt die Anstands-regeln den anderen.

Es gibt nicht nur den allgemeinen Frust, der sich ein Ventil und ein beliebiges Opfer sucht. Skandalisieren ist auch ein lukratives Geschäftsmodell. Früher mietete man einen Auftragskiller. Heute findet der „Unmensch“ in seinem Branchenverzeichnis den Auftrags-Skandalierer. Der will nur noch wissen, wen er sich vornehmen soll und was es ihm einbringt. Meinen Studenten hat sich ein solcher „Profi“ vorgestellt.

Wir brauchen eine neue Wehrhaftigkeit. Wir können nicht hoffen, dass sich die Sache irgendwann abflacht und totläuft. – Medienrecht, Persönlichkeitsschutz, Gegendarstellungsmöglichkeit, Unter-lassungsanspruch – all das darf mit den Printmedien nicht aussterben. Zu lange hat die Politik sich mit den neuen Risiken des Netzes nicht beschäftigt.

 

Zunächst ein kleiner Methodenwechsel:

 

3

Der Normal-Skandal. Drama in fünf Akten

 

 

(Musik: „Verleumdungsarie“ des Don Basilio aus Rossinis „Der Babier von Sevilla“)

Don Basilio

Die Verleumdung, sie ist ein Lüftchen,

Kaum vernehmbar im Entstehen,

Still und leise ist sein Wehen:

Horch, nun fängt es an zu säuseln –

Immer näher, immer näher kommt es her. –

Sachte, sachte! – Nah zur Erde!

Kriechend, schleichend! – Dumpfes Rauschen!

Wie sie horchen, wie sie horchen!

Wie sie lauschen, wie sie lauschen!

Und das zischelnde Geflüster,

Dehnt sich feindlich, dehnt sich feindlich aus und düster,

Und die Klugen und die Tröpfe

Und die tausend hohlen Köpfe

Macht sein Sausen voll und leer! –

Und von Zungen geht’s zu Zungen –

Das Gerede schwellt die Lungen –

Das Gemurmel wird Geheule –

Wälzt sich hin mit Hast und Eile;

Und der Lästerzungenspitzen

Zischen drein mit Feuerblitzen,

Und es schwärzt sich Nacht und Schrecken

Schaurig immer mehr und mehr.

Endlich bricht es los das Wetter,

Unter grässlichem Geschmetter!

Durch der Lüfte Regionen

Tobt’s wie Brüllen der Kanonen,

Und der Erde Stoß und Zittern

Widerhallt in den Gewittern,

In der Blitze Höllenschlund! –

Und der Arme muss verzagen,

Den Verleumdung hat geschlagen. –

Schuldlos geht er dann, verachtet,

Als ein Ehrenmann zugrund.

 

Auf der Bühne wusste man schon immer Bescheid. Ohne Verleumdung, Skandal und Intrige wäre sie ein öder Ort. Schöner kann man es nicht vortragen als in der berühmten „Verleumdungsarie“ des Don Basilio im Rossinis „Der Babier von Sevilla“.

Jeder Skandal ist anders. Er ist situativ und personal. Die Bühne ändert sich, das Stück ist ein anderes, das Ensemble wechselt, und auch das Publikum ist heute nicht mehr das von gestern. Ein Skandal ist nicht zuverlässig planbar.

Und doch kann man idealtypische Merkmale und Phasen ausmachen, in denen er abläuft. Sie entsprechen ziemlich gut dem Grundmuster der klassischen Tragödie. Öffnen wir also den Vorhang!

 

3.1

Exposition (1. Teil des Dramas)

Den Anfang macht die Exposition (Vorgeschichte). Sie braucht ein Milieu, einen Schauplatz, eine bestimmte konflikthaltige Situation. Sie braucht ein Ereignis mit möglichst breitem Interesse und einen Protagonisten. Günstig ist eine hohe Prominenz des Betroffenen, besser noch eine selbsternannte moralische Autorität, deren Fassade zusammenbricht. Je größer die Fallhöhe, desto dramatischer und ergiebiger der Vorgang.

Wer im Licht der Öffentlichkeit steht, sollte immer bedenken: Er steht ebenfalls im Suchscheinwerfer der Skandalisierer. Sie sind Tag und Nacht unterwegs, um dunkle Punkte zu finden, die man bei Gelegenheit ausspielen kann. Die Pädophilie-Sünde aus den „wild days“ der Grünen lag schon lange in den Archiven und wurde im geeigneten Moment hervorgeholt. Sie hat zwar wenig mit der heutigen Partei, und ihren Zielen zu tun, kann aber im Wahlkampf die Stimmung verhageln.

So geht es los: Die Presse eröffnet mit einer Schlagzeile. Sie weiß angeblich noch nicht viel. Also stellt sie bohrende Fragen. Das Publikum spürt eine gewisse Vibration, ist aber noch nicht sehr engagiert. Da helfen „Wir“-Botschaften, wie sie die BILD Zeitung meisterlich beherrscht. Sie vermitteln das Gefühl, als Kollektiv tangiert zu sein und reagieren zu müssen.

Es kommt zur so genannten …

 

 3.2

Schürzung des Knotens

Ankläger und Verteidiger betreten die Bühne. Die Medien wachen insgesamt auf. Was der eine nur vermutet, hält der nächste schon für erwiesen.

Der Beklagte wehrt sich impulsiv, empört, ungeschützt. Er macht erste Fehler, streitet alles ab, fährt Hilfstruppen auf. Das steigert den Jagdeifer der Meute. Die sammelt scheinbare oder echte Fakten.

Das Publikum sitzt jetzt senkrecht vorn auf der Stuhlkante und schaut zu. Der Erregungszustand wächst. Die Auflage oder Einschaltquote steigt.

 

3.3

Höhepunkt

Der Beklagte gilt nun als Täter, jede Gegenwehr als Eingeständnis. Für ihn rächt es sich, dass er nicht sofort alle Karten auf den Tisch gelegt hat. Wer im-mer nur das zugibt, was ihm gerade öffentlich vorgehalten werden kann, ist nicht mehr Herr des Verfahrens. Er folgt widersprüchlichen Ratschlägen, verliert immer mehr die Übersicht.

Auf allen Kanälen ist Dampf, besonders in der Kanalisation der Skandalie-rungspresse. Sie hat nun die Chance, sich als Tugendwächter aufzuspielen und überspielt so unlautere Methoden oder Absichten.

Talkshows, Leserbriefe, Blogger überbieten sich. Auch am Gartenzaun, am Arbeitsplatz und in jeder Menschenansammlung ist der Skandal Thema.

Er wird zum Selbstläufer und im günstigsten Fall zur Projektionsfläche für alles, was man immer schon mal sagen wollte.

Der Fall Kachelmann steht dann symbolisch für den Geschlechterkampf, die Affäre Wulff für das angeblich korrupte System der politischen Klasse bis in die höchsten Ämter. Bischof Mixa wird in die Rolle des Prototypen des moralischen Heuchlers gedrängt, der Baron zu Guttenberg wird zur Symbolfigur des notorischen Hochstaplers umgedeutet und aufgebaut.

Wenn es der Fall hergibt, greifen die Staatsanwälte öffentlichkeitswirksam zu. Das hebt die Geschichte auf eine neue Ebene. Nun führen Anwälte das Wort. Sie sind rhetorisch geschult, bewerten Indizien, um ihren Mandanten in ein günstiges Licht zu setzen und den Gegner anzugreifen. Natürlich beherrschen sie auch die Tricks des Verfahrens. Das Ganze wird vollends zum Schauspiel.

In dieser Phase geschieht nicht selten ein …

 

3.4

Umschwung

Ein bisher unbekannter Zeuge taucht auf. Ein Ereignis lenkt die Aufmerksamkeit ab oder polt die Einschätzung um. Ist Edward Snowden ein Verräter oder ein Held? Ist Christian Wulff ein Amigo und Vorteilsnehmer oder das unschuldige Opfer einer Medienkampagne? Ist Peer Steinbrücks Stinkefinger eine kesse Antwort auf die Hetzjagd der skandalisierenden Presse oder eines künftigen Bundeskanzlers nicht würdig?

Wir merken uns: Im Ablauf eines Skandals spielt oft der Zufall eine Rolle. Er kann einen Stimmungsumschwung bewirken bis hin zum Rollentausch von Kläger und Beklagtem. Der Könner weiß das und versucht, das Heft in der Hand zu behalten. Deshalb geht er mit seinen Kenntnissen sparsam um. Er verschießt nie sein ganzes Pulver im ersten Anlauf, sondern kocht die Angelegenheit auf kleiner Flamme. Das zieht sie in die Länge, steigert den Effekt und den Gewinn an verkauften Exemplaren.

So oder so. Irgendwann kommt das Ende. Die Sache verläuft im Sand, sie ent-hüllt sich als Farce, und man kann darüber lachen oder sie wird für den Prota-gonisten zur…

 

3.5

Katastrophe

Dann hat der Skandal schwere Folgen. Die Karriere bricht ab. Er verliert sein Amt, sein Ansehen, sein Vermögen. Oft kann er nur noch untertauchen und innerlich erlöschen. Er versteht die Welt nicht mehr. Das Übermaß der öffentli-chen Anschuldigung lässt ihm keine Chance, die tatsächliche persönliche Schuld wahrzunehmen.

Wenn die Sache gerichtsanhängig wurde, fällt irgendwann ein Urteil. Dabei stellt sich oft heraus, dass die juristische Substanz des Fehlverhaltens in kei-nem adäquaten Verhältnis zum Grad der öffentlichen Erregung steht. Der Fall Wulff erschütterte monatelang die ganze Republik. Er beschädigte das höchste Staatsamt, zerstörte die Ehe eines „Traumpaares“ und die innere Konsistenz eines Menschen. Der justitiable Schaden beläuft sich unterm Strich auf 719 Euro. Auch er ist noch umstritten.

Eine öffentliche Rehabilitierung will niemand mehr wissen. Im Gegenteil. Wer dem zu Unrecht Angeklagten medial wieder aufhelfen will, wird beschimpft oder verdächtigt, bestochen zu sein. Medialer Freispruch ist beim Publikum unerwünscht. – Wer will schon ein Vorurteil loswerden oder gar unter einem schlechten Gewissen leiden!

Skandale können für die Gesellschaft zum traumatischen Erlebnis werden. Das heißt: Sie finden kein richtiges Ende, sondern werden nur ins Unterbewusstsein verwiesen. Von dort streuen sie immer wieder Erreger in den Kreislauf und erzeugen irrationale Verhaltensweisen.

Es schließt sich der Vorhang. Das Publikum klatscht Beifall oder geht betreten und nachdenklich zur Garderobe. – Dazu ein paar …

 

4

Einsichten und Aussichten

Werkzeuge und Verfahrenstechniken reichen nicht aus. Das Skandalisieren ist ein grobes Handwerk, in den richtigen Händen aber auch eine verfeinerte Kunst. Der Könner sollte nicht nur wissen, was er tut, sondern auch warum er es tut.

Eines darf er nie vergessen: Träger des Geschehens sind einzelne Personen. Die innere Geschichte steuert jedoch …

 

Kollektives Verhalten

Wer weiß, worüber sich eine Gesellschaft empört, findet Rückschlüsse auf deren jeweiligen Norm- und Wertvorstellungen bzw. Konventionen. Grenzen werden durch Grenzüberschreitung sichtbar.

Der Skandal ist deshalb ein ergiebiges Forschungsfeld der Soziologie. Er er-möglicht ihr Erkenntnisse über die innere Struktur der Gesellschaft. Man unter-sucht Verlauf und Auswirkungen auf das politische Bewusstsein. Früher inte-ressierte man sich besonders für das Phänomen der „Masse“. Man stellte fest, dass sich das Verhalten des Einzelnen verändert, wenn er sich als Teil eines größeren Kollektivs erlebt.

Heute spricht man lieber von einer Sozialpsychologie des kollektiven Verhal-tens. Sie erlaubt ein differenzierteres Bild kleiner Gruppen und ihrer Dynamik. Diese reagieren relativ spontan, sind anfällig für Modeerscheinungen und da-rauf durch die Medien gezielt ansprechbar. Vieles läuft subkutan und in kom-plexer Vernetzung mit anderen Ursachen und Wirkungen. Entsprechend vor-sichtig ist die Wissenschaft mit simplen Wenn-Dann-Formeln.

Medienkonsum und Massenkommunikation sind mit diesem schwer greifbaren Mechanismus eng verbunden. Symbolische Inhalte werden über technische Mittel verbreitet. In komplexen Gesellschaften sind sie von großer Bedeutung für die Integration der Gesellschaft. Sie spiegeln nicht so sehr Überzeugungen und Kenntnisse, sondern seelische Zustände, die unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegen.

Es geht also nur zum Teil um Tatsachen. Ganz überwiegend geht es um Mei-nungen, Anmutungen, Gefühle und Leidenschaften. Was wirklich geschehen ist, bewegt die Leute nicht annähernd so stark wie die Vorstellung, es könnte etwas geschehen sein. Eine besondere Eigenschaft des Skandals ist deshalb seine …

 

Mehrdeutigkeit

Der eigentliche Skandal entsteht im Kopf. Deshalb entscheiden der Blickwinkel und die allgemeine Stimmungslage, wie das Ereignis zu bewerten ist.

In Shakespeare’s „Romeo und Julia“ ist das skandalöse Verhalten der Lieben-den das eigentlich Normale und Wünschenswerte. Skandalös ist die Hassge-sellschaft, die sie umgibt.

Als Bundestagspräsident Philipp Jenninger am 10. November 1988 im Bundestag die Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht hielt und dabei die Verführbarkeit der Deutschen durch die Anfangserfolge der Nationalsozialisten erwähnte, entstand in wenigen Minuten eine latente und noch unartikulierte Bereitschaft, Anstoß zu nehmen. Zwei Kameraeinstellungen machten daraus den ganz großen Skandal.

Die eine zeigte die jüdische Schauspielerin Ida Ehre, die in der ersten Reihe saß und sich mit der Hand die Augen bedeckte. – Später erfuhr man, dass sie sich nur vor den starken Scheinwerfern schützen wollte. Hier jedoch wirkte die Geste als resignierte Verzweiflung vor den Einlassungen des Redners.

Dann stand eine Abgeordnete der Grünen auf und verließ scheinbar unter Protest den Saal. Später erfuhr man, dass sie einen dringenden Termin hatte, nichts weiter.

Die Katastrophe war nicht mehr aufzuhalten. Ungeschickte Versuche des Redners, sich zu erklären oder zu rechtfertigen, bewirkten das Gegenteil. Seine politische Karriere war beendet. Man zog ihn rasch aus dem Verkehr und entsorgte ihn als Botschafter beim Vatikan. Jenningers Rede gilt noch heute als Musterbeispiel für die mediale Verwandlung eines Inhaltes durch die Gestik der Bilder und Worte.

Die Kommunikationswissenschaft fand heraus, dass analoge Botschaften ab-hängig von der Beziehungsebene zwischen Sender und Empfänger höchst unterschiedlich interpretiert werden.

Wenn ich ein gutes Eheleben führe, kann ich meiner Frau abends einen Blu-menstrauß mitbringen. Sie wird sich freuen. Ist das Verhältnis jedoch gestört, wird sie glauben, ich hätte mal wieder was ausgefressen. Die Blumen seien dafür der klare Beweis. – Gegenteilige Beteuerungen bewirken das Gegenteil. Der Abend wird ungemütlich.

Wer diesen Mechanismus nicht kennt oder nicht beachtet, wird es mit dem Skandalisieren nicht weit bringen. – Ein anderer Aspekt ist der …

 

Gewöhnungseffekt

Eine scharfe Waffe nutzt sich schneller ab. Man kann einen Reiz durch „mehr desselben“ eine Weile steigern. Irgendwann jedoch wendet sich das Publikum ab. Es durchschaut die Absicht und ist verstimmt. Auch der Unterhaltungswert vergilbt.

Horst Köhlers Rücktritt, Margot Käßmanns Alkoholfahrt, Thilo Sarrazins The-sen, Verteidigungsminister zu Guttenberg, die Boni der Manager, Steinbrücks Redehonorare, die Drohnen-Affäre: Immer dichter folgen die Einschläge. Kaum ein Begriff hat eine solche Inflation erlebt. Die boulevardisierte und total kommerzialisierte Presse benötigt gegenwärtig offenbar jeden Tag einen neuen Aufreger, um das schnelle Netz zu bedienen, die Konkurrenz aus-zustechen und sich beim Publikum bemerkbar zu machen.

Zunächst hilft noch eine Art Pawlowscher Effekt. Ein skandalöses Ereignis erzeugt eine aufgeregte Presse. Folglich deutet eine aufgeregte Presse auf ein skandalöses Ereignis hin. – Nach wenigen Tagen stellt sich das Ganze aber als Luftnummer heraus. Die Presse verliert einmal ein bisschen mehr an Glaubwürdigkeit. Überdruss kommt hinzu. Die Klügeren merken bald: Auf der Jagd nach dem nächsten Hype bleiben wirkliche Skandale unbemerkt und folgenlos. Manche Pseudo-Skandale werden mit großer Theatralik bewusst inszeniert, um von den echten abzulenken.

Permanente Empörung demoralisiert die öffentliche Moral. Der Pranger verliert seine abschreckende Wirkung. Das Sensationelle wird zur Routine. Der Skan-dal als allergische Überreaktion desensibilisiert das soziale Immunsystem.

Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Frage nach den tieferen …

 

Wirkungen

Skandale können schwerste politische Ereignisse auslösen, sogar Revolutionen oder Kriege. Dann nämlich, wenn sie die Lunte am schon gefüllten Pulverfass entzünden. Die berühmte „Halsbandaffäre“ trug wesentlich zum Ausbruch der Französischen Revolution bei. Sie wurde durch ein paar Betrüger inszeniert, sorgte aber für den rapiden Verfall der staatlichen Autorität, der jeder Revolution vorausgeht.

Der Anlass ist oft unscheinbar. 1830 war es eine Opernaufführung: Auber’s (Obeers) „Die Stumme von Portici“. Das hoch erregte Publikum drängte auf die Straße und begann die Juli-Revolution.

Skandale können die Verlogenheit einer Gesellschaft entlarven und so das reinigende Gewitter werden.

• Der Hauptmann von Köpenik hielt dem preußischen Militarismus den Spiegel vor.

• Die Dreyfus-Affäre enthüllte den massiven Antisemitismus im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts. Damals berichtete der Wiener Journalist Theodor Herzl über die Ereignisse. Er zog daraus den Schluss, nur ein eigener Nationalstaat könnte die Juden vor der ewigen Pest des Judenhasses retten. Seine Idee wurde zur Bewegung. 54 Jahre später wurde der Staat Israel gegründet.

• 1951 platzte der Spielfilm „Die Sünderin“ in die heile Welt der Adenauer-Ära. Von allen Kanzeln wetterten die Kirchen gegen eine Sequenz von ca. 30 Sekunden, in der Hildegard Knef einem Maler Modell lag, wobei die Voyeure kaum auf ihre Kosten kamen. Der Vorfall kennzeichnet bis heute die spießige Moral der Adenauer-Zeit.

• 1963 schäumte Ingmar Bergmanns filmisches Meisterwerk „Das Schweigen“ die Gemüter auf. Zwei Sex-Szenen, für die heute niemand mehr ein Augenlid heben würde, schienen den Untergang des Abendlands anzukündigen.

• Die Spiegel-Affäre von 1962 wurde zum Mythos der Pressefreiheit ge-genüber der staatlichen Macht. In Gutsherrenmanier hatten Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß versucht, das ihnen unleidliche Magazin mundtot zu machen. Der Schuss ging jedoch nach hinten los. Am Ende musste der Minister seinen Hut nehmen, und auch für den Kanzler war es der Anfang seines politischen Endes.

• Die Jugendrevolte von 1968 setzte auf skandalöse Gesten und Aktionen, um sich gegen verkrustete Strukturen der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Sexuelle Freizügigkeit galt als Freiheit und führte zu einem nachhaltigen Mentalitätswandel.

Mit den Rechtsreformen der sozial-liberalen Koalition zog sich der Staatsanwalt aus den bundesdeutschen Schlafzimmern zurück. Der Kunstvorbehalt wurde immer großzügiger ausgelegt. Sogenannte „Aufklärungsfilme“ wie „Helga“ oder die Unterrichtsstunden des Oswald Kolle schäumten das Medieninteresse noch einmal auf, aber immer seltener waren Tabu-Brüche zu vermelden, weil es keine Tabus mehr gab.

In den 1970er Jahren löste sich die Symbiose von Kirche und C-Parteien auf. Medienskandale waren jetzt nicht mehr so leicht wie früher zu inszenieren. Dass ein bundesdeutscher Politiker handgreiflich gegen abstrakte Malerei vor-ging, oder die Aufführung Brecht’scher Theaterstücke als „Wehrkraftzersetzung“ im Kalten Krieg zu verstehen sei, verlor nach und nach an Überzeugungskraft. Dergleichen „Eklats“ waren schließlich nur noch lächerlich und verschwanden aus dem Repertoire.

Die Medien selbst wurden immer wieder Opfer von Skandalen. 1983 fiel die Illustrierte „Stern“ mit großem Aplomb auf die sogenannten „Hitler-Tagebücher“ herein. Auch öffentlich-rechtliche Sender werden durch Skandale erschüttert. Schleichwerbung, Korruption, verantwortungsloser Umgang mit Gebührengel-dern sorgen für Schlagzeilen.

Dergleichen bleibt in der Regel folgenlos. Die Skandalpresse provoziert immer wieder Rügen des Deutschen Presserates, ist davon aber nicht sehr beein-druckt. Als der Schriftsteller Günter Wallraff mit Undercover-Recherchen 1977 Methoden auf dem Boulevard entlarvte, liefen die Justitiare der Betroffenen Sturm. Man versuchte, den Bösewicht mit Prozessen niederzumachen, ihn kampagnenartig zu diffamieren und – das hatte früher oft funktioniert – ihn als fünfte Kolonne Moskaus und der DDR abzustempeln. – Wallraff gewann die Prozesse. Seine Methode bekam höhere Weihen. Das Wort „wallraffen“ fand Eingang in die Lexika.

Skandale können eine Gesellschaft aufwecken und ihr den Spiegel vorhalten. Hemmungsloses Skandalisieren kann sie beschädigen und auf Dauer zerrütten. Ich nenne das die …

 

Malefiz-Gesellschaft

Das meistverkaufte Brettspiel in Deutschland war der Klassiker „Mensch ärgere dich nicht“. Man muss seine Figuren an einen sicheren Ort bringen. Es gibt so viel Orte wie Spieler. Unterwegs kann man rauswerfen oder rausgeworfen werden. Das ist ärgerlich, aber es liegt am Gedränge auf dem gemeinsamen Parcours. Und so ist halt das Leben.

Vor 16 Jahren verlor das Spiel seinen Spitzenplatz an ein anderes. Es heißt „Malefiz“. Auch dort muss man die eigene Figur ins Ziel bringen. Gewinner wird aber nun, wer die anderen raffiniert und erfolgreich behindert. Die Barrikade, das Ausbremsen des Gegners sind das eigentliche Ziel.

Spiel-Bestseller verraten sozial-psychologische Befindlichkeiten.

Können wir es uns leisten, jede Persönlichkeit, die aufsteht, um eine wichtige Rolle zu übernehmen, gezielt zu demontieren? Wird das Blockadedenken zum Volkssport, der wichtige Großprojekte der Infrastruktur verhindert?

In den USA können wir beobachten, wie sich Demokraten und Republikaner gegenseitig lähmen. In einem Land, dessen politischer Pragmatismus lange als demokratische Reife bewundert wurde. Aus parteipolitischen Gegnern wurden Feinde. Was bei ruhiger Betrachtung von einer wohlmeinenden Mehrheit getragen werden könnte, wird blindwütig niedergemacht. Es braucht unnötig viel Zeit, geht kostenzehrende Umwege.

Dabei ist die Skandalisierung der handelnden Personen ein probates Mittel. Exzessiv betrieben könnte es zwei systemgefährdende Wirkungen haben:

• Es finden sich immer weniger Bürger, die noch bereit sind, sich für be-deutende Projekte zu exponieren.

• Das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit ihrer Reprä-sentanten unterschreitet die erträgliche Linie.

 

Ich will Sie nicht melancholisch stimmen. Meine Begabung für Pessimismus ist eher beschränkt. Deshalb will ich in meinem Fazit betonen:

 

5

Der Skandal ist eine menschliche Konstante

Es wird ihn immer geben. Er ist eine Form der Auseinandersetzung, aber auch des Zusammenlebens. Er gehört zur sozialen DNA unserer Spezies.

Man regt sich auf, „endlich ist mal was los“. Man empört sich über das Verhal-ten des Anderen und kann raffiniert von sich selbst ablenken. Was gestern Schlagzeilen machte, ist heute ein Schmarren. Das Phänomen selbst ist in seinen Erscheinungsformen schillernd und unkaputtbar. Es gehört zur menschlichen Kulturgeschichte wie die Wasserspeier zu den Kathedralen. Es wechselt die Kulissen und Kostüme. Das Stück ist fast immer das gleiche. Es ist das kleine Chaos inmitten der geordneten Gesellschaft. Es attackiert die vertrauten Gewohnheiten und belebt die Widerstandsfähigkeit des Organismus. Es ist somit ein Zeichen für die Lebendigkeit und Offenheit einer Kultur. – Diktaturen haben keine Skandale.

Von Goethe können wir lernen: „Die Flöhe und die Wanzen / gehören mit zum Ganzen.“ – Der Volksmund sagt: „Bei allem is wat!“ – Die Bibel empfiehlt: „Lasst das Unkraut mitwachsen, denn oft weiß man nicht, wozu es gut ist.“ – Und von der Natur können wir lernen: Erfolgreiche und dynamische Systeme finden sich damit ab, dass man schädliche Errungenschaften der Evolution nicht ausmerzen kann. Man kann sie nur einkapseln. Darum muss es nach der umstürzenden Umwandlung der Medien durch die sogenannten „Neuen Medien“ gehen. Man kann die nützlichen Elemente verstärken und aus Fehlern lernen. Gute Beispiele verderben schlechte Sitten.

Erich Kästner machte aus dieser Weisheit einen klugen Vierzeiler, den ich mir gern an die Bürowand hänge. Er nannte ihn „Ratschlag für Damokles“:

Schau prüfend himmelwärts!

Die Nähe des möglichen Schadens

liegt nicht in der Schärfe des Schwerts,

sondern in der Dicke des Fadens.

 

Ich danke Ihnen.

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