Begrüßungsrede Deutsch-Chinesisches Akademisches Forum in Zhaoqing – BAPP, 26. Mai 2013

26. bis 28. Mai 2013 – Zhaoqing, China

Sehr geehrte Damen und Herren,

in einem deutschen Roman kommt der Weltumsegler Franklin nach vielen Jahren in sein englisches Heimatdorf zurück. Abends im Pub staunen die Leute über ihn und seine Abenteuer. Ein alter Schäfer ist nicht beeindruckt. Er raucht seine Pfeife und sagt: „Was soll das denn – die Welt umsegeln! Die Erde dreht sich. Man kommt doch auch so überall hin.“ Franklin ist irritiert und antwortet: „Wenn man sich nicht bewegt, bleibt man doch immer nur an einer Stelle.“ – „Na ja“, sagt der Schäfer und bläst den Rauch in die Luft, „zuweilen muss man natürlich die Füße heben…“ So ist es. Die Erde dreht sich. Wir haben die Füße gehoben, und nun sind wir hier.

Wir danken Ihnen für die freundlichen Worte und den liebenswürdigen Empfang. Wir sind gekommen mit unseren Erfahrungen und Fragen. Wir sind gespannt auf Ihre Erfahrungen und Fragen. Jede Begegnung mit einem anderen Land, mit seiner Kultur und Geschichte, vor allem mit seinen Menschen und seiner Gegenwart ist ein Abenteuer. Man weiß nicht, wohin es einen führt, aber es lockert alte und vielleicht erstarrte Gewissheiten, es zeigt manches in einem neuen Licht, es bereichert die Kenntnisse, und vor allem: Es knüpft neue Beziehungen.

Es ist gut, voneinander zu wissen. Besser ist es, einander persönlich zu begegnen. Das Beste ist, etwas gemeinsam zu tun.

Als Deutschland wiedervereinigt wurde, sagte man: „Es wächst zusammen, was zusammengehört.“ – Das war damals zu klein gedacht. Heute wissen wir: Auf dem ganzen Globus wächst zusammen, was schon immer zusammengehörte. Alte Grenzen und geografische Hindernisse verlieren ihre trennende Wirkung. Satelliten umkreisen die Erde. Kabel, Straßen, Fluglinien verbinden die Kontinente. Es geschieht kaum etwas, das nicht bald darauf an anderen Orten spürbar ist. Gute Ideen haben die Neigung, sich auszubreiten. Wo man sie behindert, überlässt man schlechten Ideen den Raum.

Das Thema unserer Begegnung – so global und theoretisch es klingt – hat seinen Sitz mitten in der Gegenwart. „Klimawandel und neue Weltordnung“, das ist die entscheidende Erzählung des 21. Jahrhunderts. Hier sind zahlreiche Rollen zu spielen: Technik, Produktion und Dienstleistung, Wissenschaft und Forschung, Ausbildung und Lehre, Politik und Kultur. Es gibt keinen Bereich der Gesellschaft, der dadurch nicht tangiert ist und seinen Beitrag leisten kann. Die besten Absichten werden nur gelingen, wenn die internationale Kommunikation funktioniert.

China und Deutschland spielen eine Schlüsselrolle. Chinas Größe und Kraft kann starke Wirkungen entfalten und kostspielige Fehler vermeiden. Das sehr viel kleinere Deutschland kann mit einer hoch entwickelten Technologie und einem drängenden Bewusstsein für die anstehenden Probleme wirken.

Schon immer waren die großen Handelswege die wichtigsten Transportmedien für Neuigkeiten und Austausch aller Art. Gemeinsamer Nutzen überwand Misstrauen und Berührungsangst. Wer unter vergleichbaren Problemen leidet, findet leicht gemeinsame Lösungen. Und wir haben gemeinsame Probleme: die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Gebrauchsgütern und Energie, den Klimawandel, die Ressourcenknappheit, den Aufbau guter Schulen und Ausbildungsplätze, die Erforschung ungeklärter Fragen der Wissenschaft, die Einschätzung von Risiko-Technologien, die Steigerung der Lebensqualität.

Und dies alles für eine wachsende Weltbevölkerung, in der jeder Einzelne ein Recht darauf hat, seine Möglichkeiten zu entfalten und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Also bedarf es auch einer globalen Ordnung, in der Umwege und Auswüchse vermieden und die gedeihlichen Kräfte gefördert werden.

Alle Staaten der Welt sind in einer schwierigen Umbruchsphase. Sie suchen nach Wegen, ihre Produktionskräfte zu steigern. Sie versuchen, durch innovative Ideen auf dem Weltmarkt mitzubieten. Sie bemühen sich, über den Tag hinaus zu denken und auch den künftigen Generationen eine Perspektive zu bieten.

Dabei haben sie unterschiedliche Traditionen und in ihrer Kultur und Geschichte einen reichen Schatz von Erfahrungen. Nur das kann wachsen, was mit guten Wurzeln verbunden bleibt, zugleich aber auch offen ist für den Austausch mit der nahen und weiten Umgebung.

China und Deutschland haben gute Kontakte. Wir werden erkunden, wie man sie noch verbessern kann. Hier sind vor allem Experten aus Forschung und Lehre beisammen. Sie wissen eines:

Beide Länder haben einen Rohstoff, viel reicher und wertvoller als „seltene Erden“ oder Kohle. Es ist die junge Generation, die ihre Zukunft gestalten will. In ihren Köpfen stecken die Prozessoren und Reaktoren für neue Ideen. Hier entstehen interessante Verfahren und Gebrauchsmuster, die den Alltag erleichtern und das Leben verbessern, vielleicht verlängern. In ihren Köpfen arbeitet ein Kraftwerk, auf kleinstem Raum, aber mit unglaublicher Effizienz. Es ist die komplexeste Struktur, die das Weltall hervorgebracht hat. Sie bezieht ihre Energie aus einer täglichen Portion Reis, Shop-Suey und Peking-Ente (oder aus Kartoffeln, Sauerkraut und Currywurst). Und wenn ein gut versorgtes Gehirn in einem mutigen Körper steckt, kann es die Welt verändern.

Forscher, Professoren und Politiker wissen: Auch das Leitungsnetz muss stimmen. Auch Gedanken brauchen offene Wege und eine kluge Logistik.

Internationale Begegnungen auf allen Ebenen erweitern den Horizont und multiplizieren die Erfahrungen. Das bewahrt vor Einseitigkeit, Ängstlichkeit und fantasieloser Enge.

Bei uns erzählt man die Geschichte von dem jungen Fisch. Im Meer begegnete er einem Älteren und fragte ihn begierig nach dem Weg zum Ozean. Er bekam die Antwort: „Mein junger Freund, du bist mitten drin. Das Wasser, das dich umgibt, das dich atmen lässt, ernährt und trägt, das ist der Ozean.“ – Kopfschüttelnd schwamm der Junge davon. „Die Alten sind schon sehr merkwürdig“, dachte er.

So „merkwürdig“ wollen wir sein und bleiben. – Die Erde dreht sich. Wir heben die Füße. Ich bin gespannt, wo wir am Dienstagabend angekommen sind.

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