Begrüßungsrede ThyssenKrupp – Salon de la vie, 7. Mai 2013

 7. Mai 2013.
La Vie, Osnabrück

 

Salon de la vie

Entrée für  Dr. Heinrich Hiesinger

Vorstandsvorsitzender ThyssenKrupp

 

Lieber Herr Dr. Großmann,
lieber Herr Dr. Hiesinger,
verehrte Gäste,

ich weiß nicht genau, warum, aber als ich bei der Vorbereitung an unseren Referenten dachte, fiel mir ein Installateur ein. Der besuchte die Niagara-Fälle. Er begutachtete das tosende Chaos. Dann nickte er und sagte: „Das kann ich in Ordnung bringen.“

Wen es von der Schwäbischen Alb ins Ruhrgebiet und von Bopfingen nach Essen verschlägt, braucht Eigenschaften, wie sie Bertolt Brecht einmal beschrieb.

Herr „K.“ (nicht Herr „G.“) wird gefragt, welches Tier er besonders schätze. Er nannte den Elefanten und begründete es: Der Elefant vereint List mit Stärke. Nicht die kümmerliche List, die ausreicht, einer Nachstellung zu entgehen oder ein Essen zu ergattern: List, die Stärke für große Unternehmungen ist.

Der Elefant hinterlässt breite Spuren. Dabei ist er auch gutmütig und versteht Spaß. Er ist gesellig, nicht nur zu seinesgleichen. Er ist ein guter Freund, aber – wenn’s drauf ankommt – auch ein guter Feind. Für beides hilft ihm eine dicke Haut.

Er kann Bäume ausreißen, aber auch mit der Spitze seines Rüssels eine kleine Nuss aufnehmen oder einer Maus aus der Falle helfen. Man sieht es ihm nicht an, aber er hat ein zartes Gemüt; doch wird er manchmal zornig. Dann hat er gute Gründe. Wenn man selbst so einer ist, sollte man nicht in seiner Nähe sein.

Er liebt Kinder und kleine Tiere. Seine Ohren sind nach allen Seiten verstellbar. Zu ihm spricht ringsum der ganze Horizont. Das macht ihn vorausschauend. Es verleiht ihm sogar eine gewisse Eleganz. Er tanzt gern und tut etwas für die Kunst: Er liefert Elfenbein.

Es ist nicht überliefert, ob Brecht beim Schreiben dieses Porträts an einen Vorsitzenden der RWE oder Thyssen-Krupp dachte. Recht hätte er allemal.

Einen Stahlkonzern durch Fährnisse globaler Umbrüche zu steuern, braucht Stärke und List. Dazu gehört Mut: Nicht für das große Unternehmen, aber für große Unternehmungen. Sie erst machen aus Masse wirklich Größe. Führungskraft ist nicht die Mentalität des Panzerführers: „Mir nach! Und sei es ins Verderben!“ Es ist der fein dosierte Ausgleich zwischen Nervenstärke und „dickem Fell“, zwischen Innovation und gesicherter Erfahrung, zwischen weiser Voraussicht und tanzender Entdeckerlust. Sorgen dann die verstellbaren Ohren für räumliches Hören, kann nichts mehr schiefgehen. Dann werden sogar am Ende Stoßzähne künstlerisch wertvolles Material.

Wir sind im „Salon de la vie“. Auch das scheint einiges zu bedeuten: Das Leben als Salon betrachtet. In den französischen Salons des 18. Jahrhunderts trafen sich die unruhigen Geister und erfanden die Aufklärung. Im Tanz-Salon kommt es zu wechselnden Paarungen.

Der Salon ist ein Ort gepflegter Begegnung. Man plaudert. Man nickt sich zu. Es gibt eingeübte Rituale. Selten Überraschungen. Man hat eine gemeinsame Sprache. Auch des Körpers. Jeder spielt überzeugend sich selber.

Wer nur an den Friseur-Salon denkt, liegt nicht ganz falsch, denn dort lässt man bekanntlich Haare. Alles ist irgendwie stabil und zugleich vergänglich. – Wie im richtigen Leben.

Das Beste im „Salon de la vie“ sind die Neuigkeiten, die überraschenden Einsichten und ungelösten Rätsel:

  • Warum kommt beim Schlangestehen die andere Schlange immer schneller voran?
  • Verlangsamt sich die Geschwindigkeit des Lichts, wenn man es durch eine Behörde leitet?
  • Woher weiß eine Thermoskanne, ob das Getränk warm oder kalt bleiben soll?
  • Wenn zwei Patienten dieselbe Medizin einnehmen, haben sie die gleiche Krankheit oder nur den gleichen Arzt?

Im „Salon de la vie“ sind die Irrtümer oft fruchtbarer als die Wahrheiten und die Antworten interessanter als Fragen.

Jetzt denke ich nicht an Brechts Elefanten oder den Klempner der Niagara-Fälle. Ich denke an das alte Ehepaar: Seit 50 Jahren glücklich verheiratet, ohne Seitenspünge, ohne Zoff und Ärger, mit einem Wort: Ein Herz und eine Seele. „Wie habt ihr das geschafft?“ fragen die Freunde. „Das war ganz einfach“, sagt der Mann: „Jede Woche gehen wir in das nette kleine Restaurant in der Altstadt, wo wir uns damals kennenlernten. Jeder bestellt sich sein Lieblingsgericht und trinkt dazu seinen Lieblingswein. – Sie am Dienstag und ich am Donnerstag…“

Lieber Herr Dr. Hiesinger, welches ist Ihr Geheimnis? Wir freuen uns auf Ihren Vortrag.

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