„Gorleben – und kein Ende“ – Handelsblatt, 7. Mai 2013

03.05.2013

Gorleben – und kein Ende 

Einmal angenommen: Irgendwann ist es gefunden, das Endlager für hochstrahlenden Atommüll. Alles ist, wie es sich gehört. Die geologischen Gegebenheiten sind vertrauenswürdig. Die Schächte und Stollen sind voll, die Fässer gut verstaut. Ein letztes Mal fährt der Aufzug nach oben. Die Tür fällt ins Schloss.

Fehlt nur noch eines: Der zuständige Beamte muss ein Schild anbringen. Darauf wird etwas stehen wie „Achtung, Lebensgefahr!“ oder „Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder.“

„Nichts leichter als das“, denkt sich der Beamte, aber dann kommt er ins Grübeln. Das Zeug da unten gehört zu den giftigsten Substanzen, die es gibt. Ein paar Gramm können eine Region entvölkern. Und die Halbwertszeit von Neptunium 237 beträgt 2,1 Millionen Jahre. Wie also muss ein Schild beschaffen sein, das so lange hält? Holz vermodert. Metall rostet. Kunststoff zerbröselt. Wie stellt man sicher, dass dieses Schild immer wieder erneuert wird, frei und lesbar ist?

Apropos „lesbar“. In welcher Sprache müsste die Botschaft abgefasst sein, damit sie noch in 2,1 Mio. Jahren verstanden wird? Die Bestehenden kommen nicht in Frage. Sie sind alle viel, viel jünger. Vor 2.000 Jahren sprach man Latein oder Althochdeutsch. Auch die Schriften reichen nicht weit zurück. Hieroglyphen und Keilschrift bringen es gerade mal auf 5.000 Jahre, und es hat lange gedauert, bis wir sie entziffern konnten.

Da kommen neue Bedenken. In 2,1 Mio. Jahren könnte es Kriege und Katastrophen geben. Völker wandern und sterben aus. Ganze Kulturen verdämmern. Der Urwald erobert das Gelände. Neue Völker dringen vor, roden, erkunden, suchen. Was ist, wenn sie die gefährliche Tür entdecken? Das letzte Schild ist vor – sagen wir – 50.000 Jahren zerfallen…

Der Beamte steht vor einer unlösbaren Aufgabe. Er sucht Rat bei Fachleuten, Linguisten, Historikern, Etymologen. Vergeblich. Stundenlang sitzt er am Schreibtisch und starrt vor sich hin, oder er wandert geistesabwesend durch die Korridore. Die Kollegen gehen ihm aus dem Weg. Hinter seinem Rücken feixen sie und tippen sich an die Stirn. „Überfordert“, sagen sie, „total überfordert“. – „Wo bleibt das Schild?“, fragt der Chef in jeder Konferenz. Der Betriebsarzt hat das letzte Wort und schickt ihn frühzeitig in Rente. „Klarer Fall“, sagt er, „Burn out!“

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