Gabor Steingart „Unser Wohlstand und seine Feinde“ – Rezension, 18. April 2013
18. April 2013
Bodo Hombach
„Wie konnte es dazu kommen?“ – Wo gegenwärtig die Frage fällt, weiß jeder: Es geht um die Finanz-, Schulden- und Eurokrise. Und schon prasseln die Antworten, an den Stammtischen, in den Talkshows, auf den Büchertischen. Man flutet den Markt mit Erklärungen. Man fordert das Spardiktat für die Argumente des Gegners und wünscht sich einen Bullenmarkt für die eigenen. Alle hoffen auf den großen Schuld-Schnitt und schlüpfen unter den Rettungsschirm des Vergessens.
Gabor Steingarts Buch „Unser Wohlstand und seine Feinde“ (270 S., Albrecht Knaus Verlag, München 2013) entzieht sich diesem Getümmel auf überzeugende und erfrischende Weise. Er häuft nicht ein weiteres Buch auf den Stapel, sondern erledigt hundert andere. Wenn diese bald schon als „Mängelexemplar“ auf den Wühltischen liegen, wird seines noch immer nachhaltig inspirieren. Man wünscht ihm Kaffeeflecken und Eselsohren.
Warum?
Steingart schwurbelt nicht mehr um den wölfischen Anteil des Kapitalismus herum, als sei der jemals die einzig wahre und echte Alternative für Sowjetideologie und Planwirtschaft gewesen. Zwar entfesselten Dampfmaschine, Rohstoffimperialismus und Fließband eine ungeheure Dynamik. Zwar fielen vom Tisch der neuen Reichen auch Brosamen für die Massen. Zwar beendeten Arbeitsteilung, Kapitaldruck und technologischer Fortschritt das ökonomische Allzeittief der Subsistenzwirtschaft. Aber das System schuf mit jeder Lösung neue Probleme. Eine Krise folgte der anderen. Der Karren raste enthemmt durchs Gelände. Treibstoff gab es genug, das Gaspedal funktionierte tadellos, nur die Bremse war noch nicht erfunden. Die eigene Schwankungsbreite trug ihn immer wieder aus der Kurve – mit schwersten Folgen für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.
Gegen den Wolf stellt Steingart dessen domestizierten Verwandten, den Hund. Er ist treuer Begleiter des Menschen, hütet die Herde und bewacht das Haus. Er ist – im Bild – nicht das eindimensionale Kapital, immer auf der Fährte des nächsten Beutetiers, sondern der dreidimensionale Markt, ein Raum, in dem komplementäre Kräfte konkurrieren und ihre Interessen zum Wohle der Allgemeinheit, also auch des eigenen, ausgleichen. Der Markt ist kein Idyll. Er hat Gewinner und Verlierer, und auch im Hund stecken Gene des Wolfes, aber exzessive Unwucht (Preisabsprachen, Kartellbildung, Vernichtungskampf) rufen den Selbstschutz der Gesellschaft auf den Plan. Die gewählte Regierung hat nichts gegen Hunde, aber sie nimmt die Pitbulls an die Leine. Sie weiß aus Erfahrung: Wer den Markt beherrscht, macht ihn kaputt. Das ist schon so im Sandkasten des Kindergartens.