„Großprojekte in Politik und Wirtschaft als unternehmerische und politische Herausforderung“ – Forschungsprojekt Uni Bonn, 7. März 2013

Bonn, 7. März 2013

 

Lieber Herr Dr. Großmann,

meine Damen und Herren,

Energiehunger ist ein Grundproblem unserer Existenz. Schon der erste Einzeller hatte damit zu tun. Leben ist durch Stoffwechsel definiert. Dazu braucht es Energie.

Auch unser Körper hat nichts nötiger als Brennstoff. Den finden wir in der Umwelt. Oft müssen wir ihn mühsam erschließen, Kartoffeln pflanzen oder wenigstens zum Bäcker gehen.

Unsere Nahrungsmittel werden in einer hochkomplexen Raffinerie aufgeschlüsselt, verfeinert und bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt. Um allein die chemischen Produkte der Leber herzustellen, hätte man ein Werk von der Größe Bayer Leverkusens nötig.

Ein weit verzweigtes Leitungsnetz bringt die Energie an jede Stelle des Körpers. Wenn auch nur eine Mangel leidet, geht es dem Ganzen nicht gut. 100.000 km Adern stehen dafür zur Verfügung. Die deutsche Netzagentur wäre damit total überfordert.

Wichtig ist auch eine effiziente Vorratshaltung. Zeiten des Mangels – wir nennen das „Hunger“ – sind zu überbrücken. Fettzellen sind unsere Speicher und Batterien.

Eine Schaltzentrale verarbeitet eingehende Informationen und sendet Signale an alle beteiligten Organe. Abfallprodukte werden möglichst unschädlich endgelagert oder ausgeschieden.

Seit der Zähmung des Feuers ist „Energie“ das große Dauerthema auch der menschlichen Zivilisation. In der Altsteinzeit machte jeder Winter den Wärmebedarf unabweisbar. Bronze- und Eisenzeit brauchten Energie für ihre Schmelzöfen. Die Stadt als enorme Verdichtung von Menschen und Kräften war ohne ständige Energiezufuhr nicht möglich.

Die römischen Legionäre waren immer zugleich auch Prospektoren für neue Energiequellen. Jeder Feldzug brachte Sklaven nach Rom. Sie waren die Voraussetzung für Reichtum und Müßiggang der Upperclass. Sie bestellten die Felder, bauten Straßen und Häuser, arbeiteten in den Bergwerken. – Historiker sind überzeugt: Das Imperium scheiterte letztlich an einer Energiekrise. Die Welt war erobert. Es gab nicht mehr genug Sklaven.

Lange waren Wind, Wasser und Nutztiere allein zuständig. Die Dampfmaschine arbeitete unabhängig von Standort und Wetter. Sie führte das Kohle-Zeitalter und die Industrielle Revolution herauf. Verbrennungs- und Elektromotor folgten. Elektronik, Automatisierung, Computertechnik. – Immer ging es darum, die Arbeit weniger gefährlich und anstrengend und das Leben mobiler und komfortabler zu machen. Und immer ging es um Energie.

Zu den Lichtseiten gehören Schatten.

Die moderne Zivilisation ist keinen Moment denkbar ohne ständig verfügbare Energie. Das macht sie verletzlich. Die Ressourcen sind ungleich verteilt. Der Nachschub ist ein geostrategisches Problem. Staaten und Kontinente werden erpressbar. Aus Krisen werden Kriege.

Die Menschheit wächst. Demnächst wollen 10 Milliarden Menschen versorgt sein, und sie alle haben Anspruch auf einen akzeptablen Lebensstandard mit bezahlbaren Kosten.

Im elektronischen Zeitalter können Sabotage- und Terrorakte mit geringem Aufwand ungeheuren Schaden anrichten.

Fossile Energieträger produzieren nicht nur Gewinn und Komfort, sondern auch Folgekosten. Das Ruhrgebiet z.B. wird aufgrund von Bergschäden und notwendiger Wasserbewirtschaftung in alle Ewigkeit für den schwarzen Goldrausch zahlen müssen.

Unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima hat die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomtechnologie beschlossen und hinter sich die Brücke abgerissen. Sie stellt das mögliche Schadensrisiko über das Eintrittsrisiko. Das ist eine Grundsatz- und Wertentscheidung, die offenbar von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert wird.

Der Energiewandel ist ausgerufen. Das Flugzeug ist gestartet. Nun muss man nur noch ein paar Erfindungen machen, dass es auch fliegt. Und die Passagiere an Bord müssen sich nur noch einigen, in welche Richtung es gehen soll. Der Landeplatz wird auch gerade erst konzipiert.

Eine Zwischenlösung durch massive Ausweitung des fossilen Energieverbrauchs ist angesichts der Klimaschäden nicht möglich und erscheint vielen auch als fossiles Denken. Neue Methoden wie das Fracking sind interessante Perspektiven, aber auch hier ist die Risikoabwägung noch nicht abgeschlossen.

Epochale Fragen scheinen mir die Wende zu kennzeichnen, und ich bin gespannt, wie sie sich in praktische Politik übersetzen lassen:

  • Ist der Energiesektor ein Markt wie jeder andere, oder ist er eine gesellschaftliche Aufgabe, über die sich alle künftigen Generationen definieren müssen?
  • Wie sieht eine zukunftssichere Formel aus, welche die Probleme nicht nur verlagert und mit realistischer Kostenrechnung arbeitet?
  • Gibt es die zentrale Lösung oder nur zahlreiche Lösungen, die sich allerdings intelligent und effizient vernetzen?

Alle reden von der Sonne. Als Energielieferant ist sie keine plötzliche Entdeckung. Sie war und ist es nämlich schon immer.

Sie bringt das Wasser auf die Berge, das wir in die Turbinen leiten. Sie erzeugt über die Photosynthese die chemische Energie, die wir im Kamin oxydieren oder als Bio-

Sprit in die Tanks füllen. Sie liefert das kurzwellige Licht, das wir in unseren Kollektoren

in langwellige Wärmestrahlung oder direkt in elektrische Energie verwandeln. Auch Kohle, Erdöl und Erdgas sind Sonnenprodukte aus dem Erdmittelalter. Sie liegen nicht in der Tiefe, damit wir sie schnellstmöglich verfeuern. Nur weil sie dort liegen, haben wir nämlich den Sauerstoffanteil in der Atmosphäre, der uns atmen lässt.

Wir tüfteln seit Jahrzehnten an einem brauchbaren Fusionsreaktor. Die Sonne ist einer. Sie steht in sicherer Entfernung. Sie entsorgt ihre Abfälle selbst und schickt keine Rechnungen.

Noch Märchen, aber nicht mehr Wolkenkuckucksheim. Die Realität ist härter.

Der Energiewandel ist eben nicht nur ein technisches und logistisches Problem. Er ist auch ein politisches. Divergierende Interessen prallen aufeinander. Denkblockaden bremsen aus. Übereilung führt in Sackgassen und auf Umwege. Ideologische Scheuklappen verengen den Blick. – Und nicht zu vergessen: Die billigste, sicherste und sauberste Energie ist die eingesparte.

Ich stelle mir noch andere Fragen:

Ist Deutschland überhaupt noch fähig, eine solche Herausforderung zu meistern? Zurzeit gibt es deprimierende Gegenbeispiele: Großprojekte, die uns zum Gespött der ganzen Welt machen.

Ist die Politik noch bereit und fähig, klare Ansagen zu machen und sie argumentativ in der Gesellschaft zu vertreten? Erkennt sie noch den Unterschied zwischen parteipolitischem Fingerhakeln und nationaler oder gar globaler Verantwortung?

Werden die Unternehmen diese Rolle übernehmen und durch Kompetenz, Transparenz und Beteiligung bei gemeinwohl-orientierten Konzepten für die nötige Akzeptanz sorgen?

Sind auch Bürgergruppen bereit, ihren Tellerrand nicht mit dem Horizont zu verwechseln? So mancher Sturm im Internet geschieht nur in einem überdimensionalen Wasserglas.

Ich übergebe das Wort an Dr. Jürgen Großmann, dem früheren Chef von RWE und erfolgreichen Unternehmer und mit all den angesprochenen Fragen bis zur Schmerzgrenze konfrontiert. – Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Welchen Beitrag leisten die großen Energieversorger?

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