„Woanders ist überall“ – Dieter Nuhr im Palazzo Medici Riccardi in Florenz, 13. Mai 2025
Woanders ist überall
Dieter Nuhr
im
Palazzo Medici Riccardi in Florenz
Grußwort
Prof. Bodo Hombach
13. Mai 2025
Verehrter, liebe Veranstalter und Möglichmacher,
lieber Dieter Nuhr,
lieber Herr Francini,
Verehrte Damen und Herren,
das deutsche Fernsehen verbreitet Nuhrs Gesicht und Stimme. Mit hintergründigem Witz und zugespitztem Zwischenruf seziert er Sprech und Taten der sich Selbstguten im Staate. Deren Hybris lieferte den alten Griechen Stoff für ihre Tragödien von Krieg und Elend.
Vom 1. bis zum 2. Weltkrieg dauerte es 249 Monate und 21 stürmische Tage. Stürmische Zeiten sind gute Zeiten für Ideologen. Die verursachen regelmäßig Rückschritt, Abstieg un Untergang. In der Nachkriegszeit eingeschlafen sind wir in der Vorkriegszeit aufgewacht. Hart erarbeiteter Wohlstand erodiert. Voltaire wusste: „Wenn du wissen willst, wer dich beherrscht, musst du nur herausfinden, wen du nicht kritisieren darfst.“
Von Dieter Nuhr Kritisierte werden böse. Das löst sein bestimmtes Lächeln aus. Er rüttelt an Fundamenten der Lüge. Wer an Fundamenten rüttelt, lässt Mauern wanken. Er macht sich Feinde, gewinnt dadurch aber viele Freunde. In Deutschland füllen sich Stadien, um ihm zuzuhören. Hannah Arendt verstand: „Wahrheit hat eine Kraft, die selbst totalitäre Regime fürchten.“ Da hat einer was zu sagen. Nicht als solistischer Sprechchor.
In Zuschauerdemokratien tönt der Gewählte: „Ich bin ganz meiner Meinung!“. Nuhr ist eine Aufforderung zum Diskurs. Ende offen. Bereit, an der Wirklichkeit zu scheitern. George Orwell erkannte: „In Zeiten universeller Täuschung ist das Aussprechen der Wahrheit ein revolutionärer Akt“. Wer Klartext redet, erlebt Widerstand und Zustimmung.
Dieter Nuhr mag die Menschen. Das die eine Naturkatastrophe sind, glaubt er nicht. Bislang habe ich ihn als Multitalent tituliert. „Wer bin ich? Wenn ja, wie viele?“. Ein Buchtitel und schöne Frage für die changierende Wahrnehmung von Person und Welt. Heute nenne ich Dieter Nuhr einen multipolaren Künstler. Nicht konzentriert auf ein Medium. Mit mehreren „Polen“. Vielseitigkeit der Ausdrucksform. Interkulturelle und interdisziplinäre Ausrichtung.
Und ästhetische und politische Offenheit. Mich fasziniert die Art „kreativer Zerrissenheit“. Das spannungsreiche Navigieren zwischen Gegensätzen.
Wenn Dieter Nuhr ganz bei sich selber ist, macht er Bilder. Große Formate. Die nehmen Maß an Gegenständen, Motiven und Orten, die ihm unterwegs begegnen.
Er hält sie mit der Kamera fest. Daheim am Computer verwandeln sie sich. Aus Dokumenten werden Impressionen. Aus Erinnerungen, Neuerfindungen. Formen und Farben entdecken sich gegenseitig. Sie zeigen sich ihre Eigenschaften, erproben und riskieren ganz neue Dialoge. Ich ahne, da hat einer zwei Seelen in seiner Brust. Er erlebt und lebt. Das multipolare Wesen unserer Gegenwart, ihren Zustand permanenter Transformation.
Ich empfinde große Freude, Sie alle und das bildnerische Werk von Dieter Nuhr hier im Palazzo Medici in Florenz begrüßen zu dürfen. Die Ausstellung, die die Brost-Stiftung mit Freude fördert, hat schon einen erstaunlichen Parcours erlebt. Florenz ist für mich unbestrittener Höhepunkt. Die Arno-Stadt ist ultimative und ewig blühende Kulturhauptstadt der europäischen Kunst. „Anderswo ist überall“, aber nirgendwo lebendiger als hier.
Der Impuls des 13. Jahrhunderts, sich immer wieder neu der Wirklichkeit zu stellen, ist und bleibt Erzählung. Er wird nie Geschichte. Und nie Archiv. Ihnen allen Dank und ein herzliches Willkommen!