„Heimat im Wandel – Das Wir im Revier“ – Buchveröffentlichung und Expertengespräch, 13. Dezember 2024
Buchveröffentlichung und Expertengespräch
Heimat im Wandel – Das Wir im Revier
in der
FUNKE-Lounge im FUNKE Medien Office
Jakob-Funke Platz 1
45127 Essen
Begrüßung
Professor Bodo Hombach
13. Dezember 2024
Verehrte Gäste, lieber Herr Tyrock,
der Gastgeberin, der ich schnelle und vollständige Genesung wünsche und ihrem Team herzlichen Dank!
Verlegerisches Ethos und unternehmerische Verantwortung wird bewahrt, weil es zusammengehört. Wir alle würdigen das, sehr. Der Zusammenhang unseres Themas und der mediale Auftrag Ihres Hauses liegt auf der Hand. Das überzeugt. Weitere politisch gesellschaftliche Einordnung und empirische Analyse werden folgen. Herrn Prof. Güllner von forsa hat für uns sondiert.
Großer Dank Ihnen, Herr Ministerpräsident Schweitzer. Wenn ein früherer Staatssekretär für Weinbau nun Rheinland-Pfalz regiert, geht unser Thema mit ihm. Erfahrungen einer Kindheit auf dem Binnenschiff, im Gemeinde-, Kreis- und Landtag addieren sich zum Erfahrungstransfer vom Sozialminister zum Superminister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung. Das Studium der Rechte erfolgreich abgeschlossen. Eine unschlagbare Kompetenzpalette. Wunderbar, Herr Ministerpräsident, dass Sie Zeit für uns haben. Die kenntnisreichen Gesprächspartner wird Herr Dr. Korenke in bewährter Weise moderieren. Er wird sie auch protokollgerecht vorstellen. Vorredner sollen nicht vorwegnehmen. Deshalb schadstoffarmes „Vorglühen“.
Es geht um ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Auch um „Heimat im Wandel“ – „Das Wir im Revier“. Eine Publikation der Brost-Stiftung. Namhafte Autoren haben das Thema von rechts nach links und von unten nach oben gewendet. Bitte schauen Sie dem geschenkten Gaul tief ins Maul. Es geht nicht um „Gedöns“. Schon der Begriff „Heimat“ bewegt viele und viel. Da mischt sich Erinnerung und Hoffnung. Erhofft wird Sicherheit und Zugehörigkeit. Heimat ist Wille und Vorstellung. Evolutionsbiologische Gefühls-Reaktionen sind Realität und schaffen Realitäten. Objektivierbar ist das nicht, aber von hoher Wirkungsmacht. Wird das nicht anerkannt, entsteht ein Vakuum. Das instrumentalisieren ideologische Kräfte. Die pflegen die Phantasie eines Zustandes, in dem Fremdheit verschwindet. Geschlossene Gesellschaften neigen zu exklusiven Identitätsfantasien. Sie sind nicht gastlich. Ausgrenzung oder Feindbilder werden gefördert.
Stephan Zweig sprach von der „Erzpest“ des Nationalismus. Der macht den Heimatbegriff zur Waffe. Der produziert massenhaft Heimatlose. Bertolt Brecht erlebte das hautnah. Im Exil schrieb er „Flüchtlingsgespräche“. Heimat als verlorener Ort und zugleich Sehnsuchtsraum. In „Mutter Courage“ zeigt er Heimat als Schauplatz von Krieg, Leid und wirtschaftlicher Ausbeutung. Vormals Idylle, wird sie Kampf ums Überleben. Brecht spiegelt eine persönliche, fast sentimentale Sicht auf verlorene Heimat. In seinen Werken schafft er aber eine Balance zwischen Melancholie und Distanz. Er beschreibt Heimweh als sehnen nach dem Zustand, in dem Menschen frei denken, handeln und kooperieren können. Ethnische oder geographische Grenzen respektierte er. Haydn-Melodie im Ohr, schrieb er die schönste und modernste Nationalhymne der Welt: „Und nicht über und nicht unter andern Völkern woll’n wir sein, da wir dieses Land verbessern, lieben und beschirmen wir’s. Und das Schönste mags uns scheinen, so wie andern Völkern ihrs.“
Eine offene, pluralistische Gesellschaft kann den Wunsch nach Beheimatung positiv gestalten. Das narrative Konstrukt reflektieren und definieren wir immer wieder neu. So verorten wir uns selbst. Fremdes und Neues regen an, aber auch auf. Vertrautheit von Dingen, Menschen und Orten motiviert zur Mitgestaltung. Man fühlt sich als Teil eines größeren Ganzen, wenn Werte gelten, die man teilt und versteht. Im kollektiven Gedächtnis trotzen Rituale, Geschichten und Träume dem Relativen Absolutheit ab. Erinnerungen idealisieren – selbst wenn Zeit, Ort und Beziehungen sich längst verändert haben. Heimweh gilt tatsächlich häufig keinem Ort, sondern einer Epoche.
Für uns liegt nahe, dass Heimat ist, wo die Werte der Freiheit, Vernunft und Toleranz zählen. Nur was ist mit der Ost-Nostalgie? Subjektive Sicherheitswahrnehmung gehört eben auch zum Geborgenheits- und Beheimatungsgefühl.
Karl Popper, dem ich viele Einsichten verdanke, kritisierte, wenn jemand Heimat ideologisch deutete. Das fessele Identität an Herkunft und Tradition. Es vernachlässige die Bedeutung individueller Verantwortung. Heimat dürfe nicht Ort der Verweigerung von Gegenwart sein, sondern Ort der ständigen Verbesserung. In seinem Essay „Alles Leben ist Problemlösen“ warnt er vor den Gefahren der Romantisierung. Sein Credo: „Emotion ist Manipulation“ ergänzte Helmut Schmidt mit „…und die gehört nicht in die Politik.“ Das ist höchstens Appell, nicht Interpretation. Utopieverbot und Realismus ringen ewig miteinander.
Ich danke den Autorinnen und Autoren unseres Buches. Sie nehmen das Bedürfnis nach Beheimatung ernst, indem sie es nicht unter Wert verkaufen, sondern in einem demokratischen Sinn annehmen und gestalten. Es soll schwerer werden, das Beheimatungs-Bedürfnis für propagandistische Zwecke zu missbrauchen. Demokratie definiert sich als Herrschaft durch und nicht Herrschaft über das Volk. „Da, wo ich WLAN habe statt da, wo die Eltern wohnen, ist meine Heimat“ erklärte mir kürzlich ein Student. Ich habe bei Chat-GPT nachgefragt. Die KI antwortete: „WLAN mag das Leben erleichtern, aber wahre Heimat entsteht durch die Menschen, Werte und Erinnerungen, die uns verbinden.“
Ich freue mich nun, echten Menschen zuhören und lernen zu dürfen. Ganz sicher werden wir alle klüger gehen, als wir gekommen sind.
Dafür vorauseilender Dank!