,,Woanders ist überall“ – Dieter Nuhr im Bayrischen Nationalmuseum in München, 5. November 2024

Woanders ist überall
Dieter Nuhr
im Bayrischen Nationalmuseum in München

Grußwort
Prof. Bodo Hombach

5. November 2024

Verehrte, liebe Gäste, jedweden Ranges und selbst gewählten Geschlechtes!

Dieter Nuhr hat die bildende Kunst studiert. Im Osthaus Museum sah ich seine Arbeiten erstmals. Dann in der historischen Bibliothek am Markusplatz in Venedig. Hier sollte Galileo der wahren Erkenntnis abschwören. Er war klug genug zu überleben. Die Arbeiten von Dieter Nuhr bestanden auch in dieser Umgebung. Später im Palazzo Bonaparte in Rom.
Anschließend im Wiener Kunstforum unter dem Verfassungsgericht. Und von heute bis zum 2.Advent im traditionsstarken Bayrischen Nationalmuseum.

Fotogemälde und Zeichnungen von Dieter Nuhr finden großes Interesse. In ihrem Namen und der Brost-Stiftung danke ich den Ermöglichern sehr herzlich. Dem Generaldirektor dieses großartigen Hauses, Herrn Dr. Kammel. Herrn Hoeneß für seine Gesprächsbereitschaft, Herrn Tönnies der seinen Sportsfreund dafür gewonnen hat und Herrn Hirz der das Moderieren wird. Er ist von dem Sender (Phönix) der Gebühren rechtfertigt und dem Kurator und Galeristen Herrn Geuer.

Herr Nuhr fand Motive im Ruhr-Gebiet und der Welt. Eine Reise durch Raum und Zeit.
Dieter Nuhr vorzustellen würde heimische Eulen nach Athen entführen. Wenn er mit Herrn Hoeneß durch die Kaufingerstraße ginge, würden Leute grüßen: „Hallo Uli, Hallo Dieter“ und andere: „Hallo Dieter, Hallo Uli“. Mit nachdenklichem Witz kommentiert er den Alltag der Republik. Mit geschliffenen Pointen entblößt er unfreiwillige mediale Komik, aber auch die Verlegen- und Verlogenheiten des Alltags und von Wohlstands- und Steuerversenker. Dieter Nuhr weitet den Blick, wenn andere den verengen wollen. Er begnügt sich nie mit dem ersten Blick. Hätte er Oskars Blechtrommel, würde er Sprechchöre und ideologische Aufmärsche aus dem Takt bringen. Realität beugt sich keiner Ideologie.

In der Nachkriegszeit eingeschlafen sind wir in der Vorkriegszeit aufgewacht. Mit fideler Hybris wird polarisiert. Da macht Nuhr nicht mit. Das Wort „alternativlos“ gehört nicht zu seinem Vokabular. Es ist selten geworden und darum kostbar: Sein Werkzeug ist nicht der schwere Haudrauf-Säbel. Er ficht mit dem Florett. Er tritt an gegen geistige Obdachlosigkeit und intellektuelle Verwahrlosung. In der gegenwärtigen Welt fühlen sich einige wie in einem kratzigen Pullover. Die wollen sich richtigen Sprech oder korrekte Denke nicht verordnen lassen. Dass die nicht falsch abbiegen, ist ständiges Bemühen von Dieter Nuhr.

Der Wohlfühlfaktor einer ideologisch „betreuten“ Gesellschaft ist begrenzt. Dieter Nuhr macht uns ein Bild der unruhigen Zeit. Bild-Kunst ist eine wichtige Tranche seiner Kreativität. Er zeichnet und beobachtet durchs Objektiv. In einem komplexen Prozess entstehen mit Computerhilfe neue Gebilde von Landschaften und Menschen. Die durchkreuzen dressierte Sehgewohnheiten. Das ist Impuls von Kunst schlechthin. Jemand überschreitet eine Grenze. Er erschafft gestaltete Auch-Welt. Das ist spannungsreich wie jeder Akt von Emanzipation. Die Erfindung der Zentralperspektive in der Frührenaissance war nicht nur neue Zeichentechnik. Es war auch eine neue Weltanschauung.

Eine Landschaft, eine Architektur, ein Gegenstand ist plötzlich nicht mehr statischer Zustand,
sondern Vorgang und Ereignis. Dieter Nuhr macht uns zu Zeugen visueller Erfindungen. Wirklichkeit entdeckt an sich Geheimnisse, die sie selbst noch nicht kannte. Ich werde ihnen nicht vorgreifen und mich nicht überfordern. Kunst, die man restlos beschreiben kann, braucht man nicht erschaffen. Rilke schrieb in sein „Stundenbuch“ „…mal es auf Goldgrund und groß. / Und halte es hoch, und …/ löst es die Sinne los.“

Erlauben wir diesen Bildern, unsere Sinne zu lösen! Ich bin sicher: Wir gehen anders hinaus als wir hereingekommen sind. Dafür vorauseilenden Dank.