„Medien im Wandel“ mit Anja Bröker und Sarah Kähler – Uni Bonn, 29. Juni 2022

Medien im Wandel
„Alte“ und „Neue Medien“ – Friedliches Nebeneinander oder wechselseitige Entfremdung?

Gastreferenten:
Anja Bröker
Sarah Kähler

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

29.Juni 2022

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie zum vierten und letzten Treffen dieses kleinen Seminars über ein großes Thema.

Die Medienlandschaft erweckt den Eindruck einer enormen Unübersichtlichkeit. Sie scheint sich ständig zu diversifizieren. Wir sprechen von der digitalen Revolution, und das impliziert – so meinen wir – einen ungeheuren Zuwachs an technischen und organisatorischen Möglichkeiten, in Tateinheit mit immer neuen Formen der Kommunikation.

Abonnenten und Inserenten brechen weg. Die klassischen „Holzmedien“ Zeitung, Buch, Zeitschrift sind existenzbedroht, wenn es ihnen nicht gelingt, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Längst gib es keinen Printbereich mehr ohne gleichzeitiges Standbein mit elektronischen Angeboten. Von Reportern und Redakteuren wird selbstverständlich erwartet, dass sie in beiden Welten heimisch sind. Manche wechseln ganz zu den neuen Medien, produzieren auf sich selbst gestellte Beiträge oder bilden Netzwerke, um der hierarchischen Struktur der Verlage zu entkommen.

Auch Rundfunk und Fernsehen sind in Bedrängnis und müssen sich anpassen. Hinter dem Bildschirm sind mehr als 1000 Kanäle auf Knopfdruck abrufbereit. Sie bedienen jedes Interesse und jeden Geschmack. Große Gesellschaftsschichten erwarten sich von ihnen nur noch Unterhaltung. Ihren schwindenden Bedarf an Information decken sie in kleinen Häppchen, die ihnen auf den Plattformen des Internets mitgeliefert werden.

Im Internet multipliziert sich dieses Angebot millionenfach. Ein gezielt erzeugter Suchtfaktor hält die Nutzer an der kurzen Leine. Jeder ist jederzeit auf Sendung oder Empfang. Descartes würde heute formulieren: „Ich daddel, also bin ich.“

Die meisten Anbieter verfolgen rein kommerzielle Interessen. Für sie ist die bunte Medienwelt ein Markt. Sie berichten nicht, sondern verkünden und preisen an. Wie bei jeder Werbung spielt die Realität nur eine Nebenrolle. Im Hauptfach geht es um die Weckung von Bedürfnissen und Glücksversprechen.

„Verdrängung oder friedliches Nebeneinander?“ Wer diese Frage stellt, hält beides immerhin für möglich. Er leistet dem Optimismus Vorschub. Vermutlich wird es immer Menschen geben, die sich aus seriösen Medien informieren wollen, besonders in Krisen wie Pandemie, Krieg,
Energieversorgung oder Klimawandel. Vielleicht ist es demnächst nur eine Elite (war sie das nicht immer?), die sich nicht dummschwätzen lässt und auf Mit- und Selbstbestimmung besteht.

Ein Nebeneinander wird es also geben, ob aber auch ein friedliches, steht noch dahin. Wo nur noch Marktgesetze gelten, ist Verdrängung vorprogrammiert. Das so genannte „freie Spiel der Kräfte“, das alles zum Besten regelt, ist eine Illusion. Es gibt keinen Marktteilnehmer, der nicht
gern Marktführer wäre. Für manchen heiligt dieser Zweck dann auch die Mittel. Der gebührenfinanzierte Öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein deutscher Sonderfall. Bisher wurde er gegen Vernichtungsattacken der Kommerziellen durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts abgesichert. Was aber ist, wenn diese auf seinem Terrain durch seriöse Information wildern und jene durch immer mehr seichte Unterhaltung punkten wollen? Das Nebeneinander würde zur Verwechselbarkeit.

Der Philosoph und Publizist Gerd Scobel arbeitet für den Sender 3sat und steht dort für große Themenabende mit Horizont und Tiefenschärfe. In einem brillanten Podcast fasste er einmal die sieben zentralen Dilemmata und Irrtümer der menschlichen Zivilisation zusammen. Fast alle mussten und müssen zum größten Teil noch immer in schmerzhaften Prozessen bearbeitet werden.

Dass die Erde nicht mehr im Mittelpunkt des Universums steht, haben wir inzwischen akzeptiert. Dass der Mensch nicht absoluter Souverän der Evolution ist, sondern mit allen Lebewesen in einem Zusammenhang wechselseitiger Abhängigkeiten steht, bestreiten nur noch ein paar religiös verstrahlte Kreationisten. – Alle weiteren „Kränkungen“ unseres Selbstgefühls sind nie versiegende Spannungsquellen:

So die freud’sche Entdeckung von der ständigen Mitsprache des Unterbewusstseins bei unseren Handlungen und Beziehungen.

So unsere Unfähigkeit, komplexe Systeme zu begreifen und die Folgen unseres Handelns verlässlich vorauszusehen.

So unsere Meisterschaft im Verdrängen unangenehmer Wahrheiten und damit die unstillbare Sehnsucht nach Bestätigung unserer Vorurteile.

So auch die ungemütliche Tatsache, dass uns unsere Werkzeuge heute schon in fast allen Disziplinen überlegen sind?

Und bei alledem:

Den Menschen gibt es nicht. Immer haben wir es mit einzelnen Individuen zu tun. Herr Müller und Frau Schulze sind keine Konstante, sondern eine ständige Variable. Sie sind heute Andere als gestern und morgen. Sie haben Eigenschaften, die einander widersprechen. Sie folgen ihren Bedürfnissen, auch wenn sie sich dadurch gefährden. Sie entwickeln und üben Verhaltensweisen, die sie aber immer wieder von neuem lernen müssen.

Wie sonst ist es möglich, dass sich ein Autokrat seine Rückwärtsträume mit einem brutalen Angriffskrieg erfüllen und an der Atombombe zündeln kann, ohne dass die Weltgemeinschaft der Staaten in der Lage wäre, ihm Einhalt zu gebieten?

Unser Verstand hat uns enorme technische und kulturelle Möglichkeiten beschert. Unser Mangel an Weitsicht und Vernunft bedroht unsere Existenz im „Raumschiff Erde“. Vom Wissen zum Wollen und Handeln ist es ein weiter Weg.

Ein Dilemma ist ein Widerspruch in sich, aber es wirkt wie ein Katalysator. Es erzeugt Wirkungen, ohne sich selbst zu verändern. Es belastet unser Dasein, ist aber auch immer Herausforderung. Es erzeugt Ängste, aber auch Hoffnungen, Ideen und Widerspruch, bei den einen Resignation, bei den anderen Neugier und Tatenlust.

Und immer erzeugt es Kommunikation. Vom Gespräch am Gartenzaun bis G7-Gipfel oder UN-Vollversammlung. Vom einsamen Forschungsergebnis bis zur Generaldebatte im Parlament: Immer sind Medien im Spiel. Es liegt an uns, wie wir sie nutzen, gestalten, kritisch beobachten und – wenn nötig – gegen manipulativen Missbrauch schützen.

Sie selbst konkurrieren um unsere Aufmerksamkeit und miteinander um Aktualität und Relevanz, um die beste Gestaltung und die treffsichere Wirkung. Und natürlich auch um Marktanteile. – Gefährlich werden sie, wenn sie nur noch den Interessen einzelner Gruppen oder Machthabern dienen. Und das heißt ja dann, ihre wichtigsten Eigenschaften verlieren: Freiheit und Vielfalt.

Vielleicht ist unser Problem nicht mangelnde Information, sondern überbordende Desinformation. Extreme Gruppen sind immer laut und selten zahlreich. Die wichtigste Zielgruppe für seriöse Aufklärung sind die Unentschiedenen. Sie fremdeln bei globalen Konzeptionen, sind aber
medial zugänglich für das, was ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit betrifft.

Es gibt mancherlei Formen eines friedlichen Nebeneinanders. Eine gibt es nicht. Es gibt keine friedliche Koexistenz von Wahrheit und Lüge. Und manchmal ist es eine Kunst, das eine vom andern zu unterscheiden.

Friedrich Schiller hielt den „spielenden Menschen“, den Homo ludens für dessen höchste Erscheinungsform. Ich stelle den „fragenden Menschen“ daneben. – Woody Allen fragte einmal: „Wenn sich das Universum doch ständig ausdehnt, wieso finde ich dann in New York immer seltener einen Parkplatz?“

Ich danke Ihnen und übergebe das Wort an unsere großartigen und kompetenten Referentinnen des heutigen Seminars:

Ich beginne mit Frau Sarah Kähler. Deren Berufs- und Erfahrungswelt ist in besonderer Weise die Welt der sogenannten Neuen Medien. Wahrscheinlich ist sie der Medienwelt, in der Sie Zuhause sind, deshalb besonders nah. Frau Kähler ist Nachrichtenchefin Redaktion Markenportale der Funke Mediengruppe NRW; NRW-Newsdesk Online und Print.

Frau Anja Bröker studierte Journalistik und Politikwissenschaft in Dortmund und Washington D.C. Sie ging zum Westdeutschen Rundfunk als Redakteurin und Reporterin, auch für die ARD. Von Moskau aus berichtete sie in zahlreichen Dokumentationen und Reportagen über Russland und angrenzende Staaten. Dann ging sie als Korrespondentin der ARD nach New
York. Wieder zurück in Deutschland arbeitete sie beim ARD-Morgenmagazin und für den investigativen Rechercheverbund NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Ihre spannende heutige Funktion wird sie sicher nicht verschweigen.