„Vom Bergbau zum Bild“ – Zeche Zollverein, 27. Juni 2022

Diskussionsveranstaltung
„Vom Bergbau zum Bild –
Zur Gründung des Bundesinstituts für Fotografie“

Begrüßung:
Prof. Bodo Hombach

27.Juni 2022

Verehrter Herr Oberbürgermeister Kufen,
verehrte Gäste,
lieber Herr Tönjes,

Ihr eindrucksvolles Plädoyer für diesen Standort und dessen aktueller und historischer Einbettung überzeugt nicht nur die Bonner Universitätsakademie BAPP, sondern es nimmt auch die Brost Stiftung in fröhliche Pflicht.

In argumentationsarmer Zeit haben Sie ein Füllhorn Überzeugendes präsentiert. Die dramatische Lernerfahrung vom Wert eigenständiger Energieversorgung haben Sie aus Bescheidenheit nicht thematisiert. War auch nicht nötig, denn die Zahl der Traumtänzer wurde gerade recht klein gebombt.

Sie haben auch eindrucksvoll den Bogen von Technik zur Malerei und Kunst geschlagen. Dazu eine kleine Geschichte: Der bekannte Maler bekam den Auftrag, eine Kirchenversammlung ins Kolossalgemälde zu bannen. Die Auferstehungshoffnung der frommen Männer – es waren nur Männer – war ausgeprägt. Die Versuchung war groß, auch in der hiesigen Nachwelt zu überdauern.

Der Maler hörte von der neuen Methode des Ablichtens. Er verbündete sich mit einem Alchimisten des Neuen. Dieser erzeugte von jedem Frommen eine Kopie aus Licht und Schatten. (Herr Tönjes sagte es: Schnell ging das nicht.) Er fixierte sie auf einer geheimnisvoll mit Silbersalz beschichteten Glasplatte. Der Maler übertrug sie auf Leinwand. Auftrag erfüllt.

Eine Sternstunde künstlerischer Reproduzierbarkeit. Auch eine produktive und lukrative Innovation. Von nun an gingen Malerei und Fotografie getrennte Wege. Sie waren einander zu nahegekommen.

Im Vergleich mit dem Anderen wird man seiner selbst bewusst. Flüchtiges festhalten – war Sache der Fotografie. Die Wirkung ähnelte der Erfindung der Schrift.

Wir haben einige Übung darin, kritisch zu hinterfragen, was wir hören. Ähnliche Skepsis gilt zunehmend für das, was wir lesen. Nachholbedarf haben wir bei dem, was wir sehen. „Es war im Fernsehen“ war lange die Gewissheit großer Authentizität.

Inzwischen wissen wir um die Manipulierbarkeit auch des Bildes. Aber noch immer fehlt uns ein implantierter Sensor des Zweifels. Man muss mit „Photoshop“ gearbeitet haben, um dessen Notwendigkeit zu erleben. Medienkunde ist unverzichtbares Fach.

Frei nach Brecht’s Keuner gäbe es eine besonders originelle Variante. Keuner wird gefragt, was er bei einer neuen Bekanntschaft mache. „Ich mache mir ein Bild von ihr und suche, dass es ähnlich wird.“ – Er folgt damit Ihrem Foto-Aufruf, Herr Tönjes.

Frage: „Das Bild dem Menschen?“ Antwort: „Nein – der Mensch dem Bilde.“

Wir machen sehr begrenzt Primärerfahrungen. Vor Sekundärwissen aus verschiedensten Medien gilt es, Zweifel zu säen. Es gilt, Methoden einzuüben, sich Wirklichkeit annähern zu wollen. Es braucht Wissen und Wollen, sich ein realistisches Bild unserer Welt zu verschaffen. Manchmal trauen wir unseren Augen nicht. Sieht doch oft jeder dasselbe anders. Wer manipulieren will und es im Auftrag wuchtiger Interessen tut, entwickelt besondere Fähigkeiten und Techniken.

Nicht von ungefähr trauen Demagogen der Kraft der Bilder mehr zu als der Kraft inhaltlicher Aufklärung. Das Bild oder Filmchen erscheint als unschlagbares Argument. Also: Wer und was uns hilft, eine kritische Distanz zu entwickeln, ist willkommen. Wer uns lehrt, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden, ist auf der Höhe der Zeit. Das zu würdigen und zu unterstützen sind wir hier. Die Guten sollen nicht das Nach-Sehen haben.

Gerade haben wir im Ruhrgebiet nach den Leica-Werken von Till Brönner eine Wanderausstellung mit Bildern von Dieter Nuhr. Der ist bildschirmvertrauter Meister ironischer Aufklärung. Er ist auch Weltreisender in Sachen Fotografie. Aber kein „Knipser“. Er stanzt Momente aus der Realität. Sie werden in der „Dunkelkammer“ seines Computers zu neuen Kreationen. Die ragen behutsam und leise, mit lyrischer Kraft über den Rand der Wirklichkeit hinaus. Seine Methode der Verfremdung erzeugt eine neue Art von Verstehen. Er beteiligt mich am Prozess seiner Entdeckungen. Der „Schnapp-Schuss“ – ein ungewollt mörderisches Wort – bekommt neue und wundersame Langsamkeit. Mich wundert es nicht, dass große Galerien in aller Welt nachfragen. Sogar die Sixtinische Kapelle steht im Herbst auf dem Plan. Das wird mindestens
eine „niedere Weihe“.

Auch ich freue ich mich über den Anlass dieses Treffens. Die Gründung des Bundesinstituts für Fotografie ist – wie man heute inflationär sagt – ein Schritt in die richtige Richtung. Wir wollen die Fotografie als Medium in der Breite ihrer Anwendungen. Und auch in ihrer historischen und identitätsstiftenden Bedeutung wahrnehmen. Das besonders gern am Beispiel des Ruhrgebiets. Hier verbindet sich die Wucht einer mächtigen Vergangenheit mit der Dynamik einer unbändigen Zukunftssuche.

Unsere Welt ist immer die Welt unserer Bilder. Ich bin neugierig auf das Gespräch. Sicher ist, wir werden in einer Stunde klüger sein als wir es jetzt sind.
Dafür vorauseilenden Dank.