„Deutschland im Abstiegskampf“ – 5.Mai 2022
Diskussionsveranstaltung
„Deutschland im Abstiegskampf“ – Ist das Wohlstandsversprechen nur noch Vergangenheit?“
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
05.Mai 2022
Verehrte Damen und Herren,
stellen Sie sich vor, Heinrich Heine wäre unter Ihnen. Er hört den Erhard-Klassiker: „Wohlstand für alle“. Er würde sofort zu Papier bringen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich heut so traurig bin. Ein Märchen aus uralten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.“ Neben Krieg „ante portas“ quält noch anderes. Drei, sogar vier Prozent Inflation seien gesund. So hieß es von der Zinne der EZB.
Zauberlehrlinge warfen die Notenpresse an. Sie schwemmten ungeheure Euro-Mengen in defizitäre Haushalte und Bilanzen. Die den Damm durchstochen haben, gaben sich überzeugt, die Flut zu beherrschen. Es gab warnende Stimmen aus der Bundesbank.
Einsame Rufer in der Medienwüste. Den Mahnern blieb fidele Resignation. Die Inflationsquote kroch vor dem Ukraine-Krieg über die rote Marke. Das Virus wurde uns Pandemüden als Verursacher der 5,2 % vorgestellt.
Das statistische Bundesamt meldet für März einen Geldwertverfall von
7,3 %. Den gab es zuletzt vor 41 Jahren. Neue exogene Ursachen tragen einen Namen: Putin. Wir lernen: Bedrohliches kann man nicht aussitzen. Das Gute kann man nicht herbeihoffen. Melancholiker
rechnen mit 10 % Inflation zum Jahresende.
Soziale Folgewirkungen werden die Preis-Lohnspirale treiben. Ich bin eigentlich trainierter Optimist. Spötter sagen: Pessimist mit Lebenserfahrung. Dazu gehört Goethes Ballade vom Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los.“
Die Geister kennen Sie:
• Die Frage, woher kommt unsere Energie, löst Alpträume aus.
• Notwendige Strukturmaßnahmen schaffen es nur mühsam über
bürokratische Hürden.
• Vom Steuerstand technologischer Entwicklung haben sich viele ins
Bremserhäuschen verdrückt.
• Der notwendige digitale Ruck liegt weit hinter Notwendigkeiten, selbst
Möglichkeiten zurück.
• Die Klimaeinwirkung überholt ambitionierte Sonntagsreden.
Die Folgen sind längst noch nicht eingepreist.
• Die Wohnungsbau-Realität sprengt bezahlbare Grenzen, auch für
diejenigen, die nach Steuertabelle als Reiche gezählt werden.
• Prestigeprojekte laufen finanziell aus dem Ruder. Im Regelfall, nicht mehr
im Einzelfall.
• Gigantische Geldmengen wandern von der Realwirtschaft in den
spekulativen Finanzmarkt .
• Der Neusprech „Sondervermögen“ meint neue Schuldenaufnahme.
Kassandra wird nicht gemocht. Ich will aufhören. Aber: Wer kann ohne zittrige Stimme verkünden: Wir schaffen das! Das Aufstiegsversprechen gilt. Wir haben die Lektionen gelernt, sind realitätssüchtig und werden zupacken.
Der Bundeskanzler diagnostizierte: „Zeitenwende“. Wir suchen heute die Antwort, ob das Appell oder Interpretation, Drohung oder Versprechen ist. Wir fragen: Wer wendet wen? Entstehen neue Chancen, oder leben wir auf lange Sicht in einer „Zwischenzeit“ und einer „brüchigen
Gegenwartswelt“?
Diese Begriffe nahm ich aus dem lesenswerten Buch „Das Ende der Normalität“. Der Autor heißt Gabor Steingart. Von nichts kommt nichts. Gerade lernen wir wieder den Zusammenhang einer auf Gedeih und Verderb globalisierten Welt. Zwischen den Wirtschaftszweigen und
der privaten Haushaltskasse.
Der naiven Zuversicht, Vater Staat wird’s schon richten, glaubt niemand mehr aufs Wort. Ordnungspolitik und Markt verlieren, wenn sie sich gegeneinander versteifen, anstatt komplementär zu agieren. Der Umgangston wird rauer. Das Vertrauen in die Demokratien schwächelt.
Die Bereitschaft, international zusammenzurücken, hat zunehmend rituelle Züge. Die Wahlprognosen aus Frankreich als Menetekel im Kopf stellte ich mir die West-Welt mit Frau Le Pen in Frankreich, Herrn Berlusconi in Italien und Herrn Trump in den USA vor. Wir leben in der neuen Risiko-Gesellschaft.
Wir knüpfen uns Formeln von nie dagewesener Komplexität. Mit Konstanten, die nicht mehr konstant sind. Mit Variablen, die sich täglich ändern. Mit Algorithmen, die niemand durchschaut. Niemand? Das will ich nicht glauben.
Denn wir haben wunderbare kompetente Gäste. Sie kommen aus verschiedenen Richtungen. Sie werden uns auf die Sprünge helfen. Wir werden in 1 1/2 Stunden klüger sein als wir gekommen sind. Dafür vorauseilenden Dank.
Auch in Ihrem Namen, meine Damen und Herren, begrüßte ich also herzlich den Vorsitzenden der Deutschen Telecom AG, Herrn Timotheus Höttges. Wir erwarten – wie schon einmal – seinen orientierenden Vortrag.
Frau Linda Teuteberg ist Bundestagsabgeordnete, prominentes Mitglied des FDP-Bundesvorstands und stellvertretende Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung.
Herr Gabor Steingart ist hellwacher Journalist, Autor und Gründer der Media Pioneer AG.
Die Moderation übernimmt die erfahrene Journalistin Tanit Koch. Sie sagt sicher noch etwas mehr zu unseren großartigen Gästen und zu sich selbst.
Herzlich willkommen Sie alle!
Wir sind offen für etwas mehr Zuversicht in die Selbstheilungskräfte und Spannkraft unserer Gesellschaft. Sie werden unser Hoffen sicher nicht enttäuschen. Ich schalte auf Empfang.