„Medien im Wandel“ mit Dr. Tobias Korenke und Dr. Hajo Schumacher – Uni Bonn, 22. Juni 2022
Medien im Wandel
„Alte“ und „Neue Medien“ – Friedliches Nebeneinander oder wechselseitige Entfremdung?
Gastreferenten:
Dr. Tobias Korenke
Dr. Hajo Schumacher
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
22.Juni 2022
Lieber Studierenden,
Wir beschäftigen uns mit den Medien im Wandel.
Nach längerer Pause. Deshalb kurz und knapp: Was bisher geschah.
Es geht uns um eine Sondierung der gegenwärtigen Medienlandschaft. Die erlebt, wie alle Bereiche der Zivilisation – einen Wandel von Technik, Organisation, Verbreitung und Selbstverständnis. Sie erlebt ihn besonders heftig. Schließlich ist kaum ein anderer Bereich so eng mit den Prozessen verwoben, die er zugleich spiegelt und mitsteuert.
Grundsätzlich und auch grundgesetzlich geht es in unserem Land um die Befähigung der offenen Gesellschaft, sich selbst realistisch wahrzunehmen. Nur dann können sich Bürgerinnen und Bürger am Diskurs über politische und kulturelle Entscheidungsprozesse beteiligen. In dieser Hinsicht sind Medien nicht nur eine Eigenschaft des geltenden Menschenbildes, nicht nur ein Transportmittel der Kommunikation, sondern auch eine relevante „Struktur der Öffentlichkeit“ schlechthin. Ich verweise noch einmal auf Jürgen Habermas, der Wesentliches dazu gesagt und geschrieben hat.
Wir haben betont: Der moderne demokratische Verfassungsstaat kann nicht existieren ohne einen jederzeit freien Zugang seiner Bürgerinnen und Bürger zu wichtigen Fakten und Informationen. Ebenso hat jeder das Recht, sich öffentlich zu äußern, solange er dabei nicht andere Grundrechte verletzt. Die „Hausordnung“ der Bundesrepublik ist da ganz eindeutig. Ich verweise auf Artikel 5 des Grundgesetzes, der zum unkündbaren Bestand der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten gehört.
Unser zweites Treffen hatte eine historische Perspektive. Freie und unabhängige Medien konnten sich erst in einem langen und opferreichen Kampf entwickeln und etablieren. Das nötige Bewusstsein entstand in der Aufklärung. Der moderne Verfassungsstaat machte daraus einklagbares Recht. Das muss genutzt werden. Ungenutzt verkümmert es wie ein nicht genutzter Muskel.
Die Ausgestaltung ist und bleibt immer auch Projekt. Technischer und
gesellschaftlicher Wandel zwingen dazu und ermöglichen es, dynamisch zu reagieren. Die gesetzlichen Grundlagen sind sowohl Appell an die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger, als auch Interpretation der aktuellen Sachlage. Das Ziel ist ein Rahmen aus Ordnungsformen, der die freiheitliche Entfaltung des Gemeinwesens nicht einengt und Fehlentwicklungen korrigierbar macht.
Heute geht es mir um die speziellen Herausforderungen für informative Medien in unserer Zeit. Dabei erspare ich Ihnen auch hier einen enzyklopädischen Rundumschlag. Hilfreich erscheint mir dazu ein Dossier aus Beobachtungen und Einsichten. Sie markieren – problem-orientiert – weniger Positionen als Bewegungen und Trends. Alles fließt. Der Thesencharakter ist gewollt, weil unvermeidbar.
Die Pressefreiheit ist in Gefahr. Das Modell des Obrigkeitsstaates hat nicht ausgedient. In vielen Ländern sind autokratische Macht-Junkies auf dem Vormarsch. Sie wollen keinen öffentlichen Diskurs über den – vielleicht – richtigen Weg, sondern regieren über Verlautbarung und Befehl. In der Bevölkerung haben sie willige „Follower“ und Vollstrecker. – Im Extremfall kann dann wieder ein Machthaber mit allen Mitteln der Gewalt versuchen, Grenzen zu verschieben, souveräne Staaten zu vernichten und so
die regelbasierte Ordnung der Internationalen Beziehungen in Frage zu stellen. Das verstößt dann nicht nur gegen die UN-Charta, die alle Staaten unterschrieben haben. Es geschieht auch in einer Zeit globaler Bedrohungen, die ein solidarisches und konstruktives Bündeln aller Kräfte und Ideen nötig hätte.
Stattdessen sinkt der Pegel für höfliche Umgangsformen und Geduld. Fanatische Hassrede – und in deren Gefolge, Hasskriminalität – gegen Menschen, die sich für das allgemeine Wohl exponieren. Es wird zusehends schwerer, öffentliche Ämter durch besonnene Leute zu besetzen. Die Unbesonnenen springen gern in das Vakuum.
Weitere Beobachtungen: Meinungen gerieren sich als Tatsache und werden mit der entsprechenden Wucht vorgetragen. Die Bereitschaft schwächelt, sich ergebnisoffen mit komplexen Vorgängen zu befassen.
Zu viele Leute richten sich in ihrem beschränkten Weltbild ein und nehmen andere Positionen nicht mehr zur Kenntnis. Die Sozialen Netzwerke bieten ihnen das bestätigende und angenehme Gefühl, einer großen Mehrheit anzugehören.
Wissenschaftliche Expertise und Beratung im Vorfeld wichtiger Entscheidungen wird immer seltener abgefragt und kaum beachtet.
Politische Entscheidungsträger äußern sich nur noch in kurzen Textportionen. Differenzierendes Erklären gilt vielen als Schwäche und Tempoverlust. Die Kunst des Erklärens wird verdrängt durch das Handwerk des „wordings“. Es verschleiert unangenehme Sachverhalte durch wohlklingenden Etikettenschwindel.
Journalisten leben gefährlich. Bei Aufmärschen und Kundgebungen sind sie immer häufigen gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Dabei müssen sie sich selbst fragen, wie sehr sie das Ansehen ihrer wichtigen Rolle durch Unprofessionalität beschädigt haben.
Zum Beispiel
• durch das Ausblenden wichtiger Themen,
• durch Skandalieren, Personalisieren, Dramatisieren, Emotionalisieren
sachlicher Aspekte,
• durch missionarischen Eifer und Zuspitzung,
• durch verarmte Argumentation
• durch Unterwerfung unter den Einfluss starker Interessen
• durch eigenes Politisieren anstelle von Berichterstattung.
Pauschale Qualifizierungen sind immer falsch. Aber auf wichtige Themen hat der Journalismus nicht hellhöriger reagiert als die Politik. Heute muss er aufpassen, dass er nicht in Alarmismus verfällt oder sich unkritisch vor den Karren der Aktivisten spannen lässt. Die Klimafrage z. B. erscheint dann vor allem als Unglück, Desaster und Schreckensmeldung. Nicht als Herausforderung und Chance.
Neben der Chronisten- und Informationspflicht sollten auch Lösungen sichtbar werden. Gerade auch solche, die in der Nähe und im Alltag der Leute umsetzbar sind. Hier sind diese nämlich oft die Experten. Eine wichtige Rolle für z.B. für guten Lokaljournalismus. Der wurde aber in den letzten Jahrzehnten ausgedünnt und verelendet.
Bei allem spielt das Internet eine verschärfende und verstärkende Rolle. Der Konformitätsdruck erscheint mir heute höher als von mir bisher erlebt. Das klassische Dilemma des Journalisten: Er ist immer der Zweite. Er kann nur im Nachhinein berichten. Heute fallen Ereignis und Bericht quasi zeitgleich zusammen. Abstand durch Langsamkeit wäre jetzt eine Tugend. Sie gäbe Raum für Nachdenken und Analyse. Die totale Besetzung der Aufmerksamkeit durch rasche und wechselnde Hypes verzerrt die Realität.
Ich zitiere Frank Überall, den Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten Verbands: „Natürlich kann Journalismus nicht immer nur berichten, was uns persönlich gefällt. Man kann und darf Kritik üben und an der Auswahl von Nachrichten, an der Darstellung von Sachverhalten und an der Selektion veröffentlichter Meinungen. Es gehört aber
zur Professionalität und zum Berufsethos, nach bestem Wissen und Gewissen redaktionell auszuwählen, was wie veröffentlicht wird. Das Vertrauen in Medien ist in den vergangenen Monaten bei der Mehrheit der deutschen Gesellschaft zu Recht wieder gestiegen.“ Für mich ist das eher Appell als Interpretation.
Heute haben wir wieder großartige Gäste. Ausgewiesene Kenner und Könner von Rang. Persönlichkeiten, die erwiesenermaßen theorie- und praxisfest sind.
Ich begrüße herzlich und danke den Herren Dr. Korenke und Dr. Schuhmacher.
Herr Dr. Tobias Korenke hätte als Medienwissenschaftler eine große Karriere machen können. Aber er hat sich für das harte praktische Mediengeschäft entschieden. Er ist gestaltungsstarker Medienmanager der Funke Mediengruppe GmbH & Co KGaA, die sich in den letzten Jahren als wichtiger Stichwortgeber im Nachrichtengeschäft profiliert hat. Sie hat ein breites Medienangebot. Ein journalistischer Schwerpunkt ist noch der Lokaljournalismus. Dessen Notwendigkeit und Zukunft ist drängendes und
bedrängendes Thema und Tagesgeschäft für unsere heutigen großartigen Gäste.
Herr Dr, Hajo Schumacher arbeitete nach dem Studium der Journalistik,
Politikwissenschaft und Psychologie von 1990 bis 2000 beim Spiegel – zuletzt als Co-Leiter des Berliner Büros. Von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur der Lifestyle Zeitschrift Max in Hamburg.
Heute schreibt Schumacher als freier Autor für Tageszeitungen, Magazine, Hörfunk, Online und Fernsehen. Für RTL, N24, WDR und RBB kommentiert er das politische Geschehen.
Beide Herren habe ich gebeten, uns zu ihrem interessanten Werdegang zusätzlich selbst noch ein paar Einblicke zu gewähren.