„Medien im Wandel“ mit Ulrike Demmer und Jörg Schmitt – Uni Bonn, 5. Mai 2022
Medien im Wandel
„Alte“ und „Neue Medien“ – Friedliches Nebeneinander oder wechselseitige Entfremdung?
Gastreferenten:
Ulrike Demmer
Jörg Schmitt
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
5. Mai 2022
Meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie zur zweiten Folge unseres kleinen Seminars über Situation und Wandel der Medien in der Bundesrepublik Deutschland. Beim ersten Treffen ging es uns um Aspekte, welche die Bedeutsamkeit des Themas für die demokratische Gesellschaft unterstreichen. Unabdingbare Prämisse: Unsere Staats- und Gesellschaftsform steht und fällt mit der Fähigkeit und Bereitschaft, im freien Diskurs ein relevantes und konsistentes Bild der Welt zu gewinnen. Nur dann sind Transparenz und Teilhabe an der politischen Willensbildung möglich.
Die Bereitschaft ist Sache des Individuums. Die Fähigkeit setzt Kenntnisse voraus, die wir primär durch eigene Anschauung und Erkundung oder sekundär durch die Nutzung von Medien erwerben. Von diesen erwarten wir, dass sie uns möglichst umfassend, frei und unabhängig von sachfremden Einflüssen informieren.
Dabei muss uns bewusst sein: Jede noch so bemühte Objektivität ist immer auch subjektiv „kontaminiert“. Wahrnehmung ist Wahr-Nehmung. Das heißt: Jede mediale Kommunikation hat eine pragmatische Komponente. Der Blickwinkel entscheidet. Immer mischen sich persönliche Interessen hinein, Prägungen durch Erziehung, Bildung, Milieu, parteipolitische Präferenzen usw. Das gilt für den Nutzer des Mediums. Es gilt auch für Journalisten und Redakteure. Von ihnen erwarten wir jedoch professionelle Fertigkeiten und die ehrliche Absicht, den Fakten durch sorgfältige Recherche und begründetes Urteil möglichst nahezukommen.
Die technischen Voraussetzungen entstanden im 15. Jahrhundert mit Papier und Buchdruck. Neuzeit und Reformation waren ohne Flugblätter und Streitschriften nicht denkbar. Inhalte und Gestaltungsformen entwickelten sich parallel zu den historischen Entwicklungen. In Europa beförderte die Presse, getragen vom wirtschaftlich erstarkenden Bürgertum, die allmähliche Überwindung des Absolutismus. Republik und Demokratie bekamen ihre Chance, mit Rückfällen in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
Nach dem katastrophalen Zusammenbruch des Dritten Reiches regelten die Siegermächte das Pressewesen in ihren Besatzungszonen. Nach und nach konnten wieder Zeitungen erscheinen, die sich durch Anzeigen, Verkauf und Abonnements finanzierten.
Rundfunk und Fernsehen wurden nach dem Muster der BBC öffentlich-rechtlich organisiert. Durch Gebühren finanziert, sollten sie eine von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen unabhängige Berichterstattung gewährleisten. Adenauers Versuch, 1961 im Handstreich ein regierungsabhängiges Fernsehen zu etablieren, scheiterte am Widerstand der Landesregierungen. Sie verständigten sich auf ein Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), ebenfalls auf öffentlich-rechtlicher Grundlage.
Auch die gedruckte Presse musste sich ihre Freiheit erkämpfen. 1962 zog die Spiegel-Affäre der übergriffigen Regierung eine klare Grenze. Die junge Bonner Demokratie bestand eine wichtige Bewährungsprobe.
Der Aufbau einer kommerziellen Parallelwelt zu ARD und ZDF konnte sich jedoch durchsetzen. Private Sender finanzierten sich durch Werbeflächen oder Abonnements, deren Kosten auf die Preise und damit auf die Allgemeinheit der Verbraucher umgelegt wurden. Die möglichst massentauglichen Programme kauften sie überwiegend auf dem internationalen Markt ein. Mehrere Versuche, die lästige Konkurrenz der Öffentlich-rechtlichen zu verdrängen, scheiterten am Bundeverfassungsgericht. Heute existiert ein duales Nebeneinander der Systeme.
Die Übertragungstechnik machte rasante Fortschritte. Sie ermöglichte immer größere Zahlen von Marktteilnehmern, die sich – auch als Nischenprogramme – behaupten konnten.
Ein neues Kapitel wurde durch die Jahrtausenderfindung des Internets aufgeschlagen. Dessen Nutzer hatten nun einen Weltempfänger in Hand- oder Hosentasche, der sich zugleich als Weltsender für Botschaften aller Art eignete.
Abseits von den klassischen Medien Zeitung, Rundfunk und Fernsehen bildeten sich journalistische Einzelkämpfer, die in Podcasts und anderen Formen Themen und Meinungen verbreiteten. Das wiederum zwang die etablierten Verlage und Sender, sich ihrerseits auf diesem Feld zu tummeln. Journalisten hatten bald nur noch dann Entwicklungschancen, wenn sie sich „cross-medial“ auskannten und betätigten.
Das Internet war und ist ein Quantensprung der Kommunikation. Die digitale Revolution gleicht einer Kettenreaktion, die sich selbst ernährt und exponentiell wächst. Sie wurde euphorisch begrüßt als Möglichkeit, Herrschaftswissen zu unterlaufen und Freiheitsräume zu erobern.
Bald erwiesen sich die Neuen Medien jedoch auch als hocheffizientes Werkzeug für Desinformation, Bespitzelung und Unterdrückung. Sie gaben Hasspredigern und Verschwörungsphantasten ein weites Feld der Betätigung. Lügen und Fake-News waren nicht mehr peinliches Vorkommnis, sondern akzeptierte Methode im Kampf um politische und ökonomische Marktanteile.
Der zeitliche Abstand zwischen Ereignis und Wahrnehmung tendiert heute gegen Null. Die ausgeruhte politische Analyse, der abgewogene Kommentar, die geduldige Recherche und die treffliche Formulierung erscheinen als Tugenden aus einer fremden Welt. Viele Nutzer verfangen sich in einer Meinungsblase, die immer nur ihre eigenen Vorurteile bestätigt. Das zerrüttet nicht nur die Umgangsformen der Kommunikation. Es macht sie zum Spielball für Demagogen und Propagandisten aller Art.
In der neuen Massengesellschaft können radikale Positionen und politische Raubritter das heimlich gesammelte Datenprofil von Millionen Wählern abgreifen und sie mit gezielter Propaganda manipulieren. Im Extremfall führt das zum Zusammenbruch des demokratischen Systems. Autokraten kommen durch legale Wahl an die Macht. Ihre erste Amtshandlung ist dann die Beseitigung der freien Presse. An die Stelle der Demokratie tritt die „repräsentative Diktatur“.
In der Bundesrepublik Deutschland versucht das Presserecht, solche Entwicklungen zu verhindern. Auf der Basis von Artikel 5 des Grundgesetzes verteidigt es die freie Meinung in Wort und Bild. Es schützt aber auch die Rechte der Persönlichkeit, wenn sie in der Berichterstattung missachtet werden. Es wendet sich gegen die schleichende Monopolisierung der Meinungsmacht durch große Konzerne. Eine freiwillige Selbstkontrolle soll Standards auch dort pflegen und schützen, wo das geschriebene Recht nicht ausreicht. Neuerdings gibt es europaweite Bemühungen, die Anbieter sozialer Netzwerke auch für Inhalte haftbar zu machen, die sie zwar nicht verfasst, aber verbreitet haben.
„Medien im Wandel“, so heißt unser Thema. Das klingt aufregend neu, aber sie waren es immer. Sie spiegeln die Entwicklung der Gesellschaft und wirken zugleich selbst darauf ein. Wir stehen nicht vor einer neuen Situation. Wir erleben eine alte Situation immer wieder neu.
Zwei großartige erfahrene Gastreferent*innen sind bereit, uns an ihren Kenntnissen und Erkenntnissen zu beteiligen. Sie sind tagtäglich und sehr konkret mit den Fragen befasst, die uns hier beschäftigen.
Dabei hat besonders Frau Demmer die gleiche Aufgabe der Aufklärung aus zwei ganz verschiedenen Perspektiven kennengelernt. Herr Schmitt gehört zur Zunft der besonders hartnäckigen Rechercheuren.
Ulrike Demmer studierte Rechtswissenschaft und später auch Journalistik in Bonn und Berlin. Sie arbeitete für das ZDF, den Spiegel und Focus und leitete das Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland. Von 2016 bis kürzlich war sie stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung und in der Leitung des Presse- und Informationsamtes. – Auch ihr Dank und ein herzliches Willkommen.
Jörg Schmitt studierte Journalistik, Wirtschaftspolitik und Jura. Mit dem Diplom in der Tasche begann er als Redakteur beim deutschen Ableger der US-amerikanischen Zeitschrift Forbes. Sein weiterer Weg führte ihn über Ressorts des Stern und des Spiegel. Man kennt ihn, und mancher fürchtet ihn als Aufdecker von Schmuddeligkeiten in Wirtschaft und Politik. Heute ist er Leitender Redakteur im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. – Auch Ihnen, Herr Schmitt, Dank und herzlich willkommen!
Was ist los in der Welt der Medien? – Ich bin gespannt auf Ihren Beitrag und die anschließende Diskussion.