Jedes Ende ist ein Anfang? Die Wirtschaft nach Corona
Einführung:
Prof. Bodo Hombach
Gastreferenten:
Roland Koch
Lisa Nienhaus
Julian Nida-Rümelin
Julia Grimm
24. August 2021
Verehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen in der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Po-litik und an den Bildschirmen. Gut, dass sich das Gewicht unseres Treffens nicht durch die limitierte Zahl erlaubter Anwesender definiert.
Corona kann Abstand erzwingen und Gruppen verkleinern. Esprit und kreative Fanta-sie unserer großartigen Gäste reduziert das nicht.
Geht etwas zu Ende, wartet ein Anfang. Wirtschaft wird nach Corona besonders viel schultern müssen. Für die Impulsrede konnten wir Herrn Professor Roland Koch ge-winnen. Der frühere Ministerpräsident lehrt an der Frankfurter Hochschule für Finan-zen & Management. Wunderbar, dass Sie uns gefunden haben, Herr Koch.
Besonders kluge Köpfe werden mit ihm und Ihnen diskutieren: Frau Lisa Nienhaus, Leiterin des Frankfurter Büros der Wochenzeitung DIE ZEIT, und Herr Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, neben vielen anderen bedeutenden Funktionen und Rollen Philosoph und Staatsminister a.D. Er ist uns zugeschaltet.
Die Moderatorin des Abends, die auch die protokollgerechte Vorstellung übernimmt, ist Frau Julia Grimm. Sie ist stellvertretende Redaktionsleiterin des Senders, der Ge-bühren rechtfertigt – phoenix.
Allen großen Dank und herzlich Willkommen.
Verehrte Gäste,
gut, dass wir im Plural noch nicht gendern müssen. Wenn alle gemeint sind, muss man nicht jeden in seiner selbst empfundenen Geschlechtlichkeit ansprechen. Nach zwei Jahren Pandemie wollen wir über die Long-Covid-Folgen für Staat und Gesellschaft nachdenken. An Kenntnissen fehlt es nicht. Bezüglich der Er-Kenntnisse ist viel Luft nach oben. Man darf über die Weisheit politisch ausgelöster administrativer Maßnah-men sinnieren.
Das gegenwärtige Drama Afghanistan entlarvt das Wort „Alternativlos“ für jegliches Staatshandeln final als zynisch. Damit wäre ein Standpunkt schon eingenommen. Das ändert nichts an der Aufgabe, die Gegenwart zu sondieren und Schlüsse für die nahe und weitere Zukunft zu ziehen.
Traumatische Verletzungen stören und verstören die Koordinaten unserer Welt. In de-nen hatte man sich fidel eingerichtet. Plötzliche Ereignisse von erbarmungsloser Wucht sind nicht in eingeübte Gewissheiten integrierbar. Sie tauchen ins Unterbe-wusstsein ab. Sie erzeugen Belastungsstörungen mit irrationalen Reaktionen. Sie streuen mittels intellektueller Mutation gefährlich langlebige Keime ins System.
Volkswirtschaften der reicheren Staaten mussten und müssen tief in die Tasche greifen. Wichtige und fällige Investitionen geraten auf die lange Bank.
Themen wie Subventionsabbau, Transferleistung und Schuldentilgung werden die ge-genwärtigen Generationen lebenslang bedrängen. Die Pandemie veränderte Arbeits-welten. Zögerlich etablierte Varianten wurden plötzlich zwingend. Wir erleben einen Bewusstseinsschub in Sachen Gesundheitspolitik, Bürokratie-Abbau, technische Innovation, Digitalisierung.
Sehr empfehlenswert dazu ist das Buch unseres Gastes Nida-Rümelin. „Digitaler Humanismus“. Für ihn ist der nicht moralische „Spaßbremse“ des technischen Fort-schritts, sondern „menschliche Gestaltungskraft“ mit neuen Mitteln. Die globalen Ströme sortieren sich neu. Grenzen hemmen Wachstum. Alte Sicherheiten sind nicht verlässlich. Das lockt politische Egomanen und Autokraten aus der Deckung. Regel-basiertes Miteinander erscheint träge und gestrig. Angeblich wohnt neuem Anfang ein Zauber inne.
Wenn nichts mehr sein kann, wie es war, haben neue Ideen eine größere Chance. Tradierte Verhaltensmuster verlieren an starrem Dogmatismus. Experimente schaffen den nötigen Überfluss an Alternativen. Wissenschaft wird politisch salonfähig. Angst-mache vor unleugbarem Risiko sollte dem Training der „Resilienz“ weichen. Es gilt, die Spannkraft aufzubauen, die erlaubt, auf Schock-Ereignisse rational und gestaltend zu reagieren.
Das Bundesverfassungsgericht setzte kürzlich einen epochalen Meilenstein. Wir Heu-tigen dürfen nicht die Ressourcen verbrauchen, von denen die Künftigen leben müssen. Ein neuer Generationenvertrag. Eine Ökonomie des Respekts und der Vernunft.
„So weit musste es ja kommen!“, sagen die einen. „So weit kommt das noch!“, erschrecken andere. „Wohin treibt die Bundesrepublik?“ hieß einmal ein besorgtes Büchlein von Karl Jaspers. Was treibt uns um, und was treiben wir klugerweise voran?
Mein Lerneifer ist unbegrenzt. Wegen unserer besonders kompetenten Gäste werden wir in einer Stunde klüger sein als wir es jetzt sind. Dafür vorauseilenden Dank.
Verehrte Damen und Herren,
ich entziehe mir das Wort. Ich übergebe an Herrn Professor Roland Koch.